Verlieren wir den „Kampf der Systeme?“
Wirtschaftspolitik. Der chinesische Staatskapitalismus ist dabei, das Dogma von der Überlegenheit des wirtschaftlich und politisch liberalen westlichen Systems zu erschüttern. Die EU hat der chinesischen Offensive noch wenig entgegenzusetzen.
Kampf der Systeme“klingt relativ martialisch. Bezeichnet aber das Bild recht gut, das der Bundesverband der Deutschen Industrie gestern vom wirtschaftlichen Verhältnis Westeuropas zu China entwarf: Das Reich der Mitte steige mit fragwürdigen Methoden – Dumpingpreise, mit staatlichem Geld unterstützte Käufe von Hightech-Unternehmen, Behinderung von Auslandsinvestitionen in China selbst – rasant zur globalen Wirtschaftssupermacht auf. Europa habe dem nichts entgegenzusetzen.
Die deutschen Industriellen machen 54 Vorschläge, wie gegenzusteuern sei. Unter anderem durch die „Nachschärfung“von Antidumpingregeln und Subventionskontrollen bei der Übernahme europäischer Hightech-Unternehmen und Lockerung der EU-internen Fusionskontrollen.
Das ist eben Interessenpolitik. Aber ist die Lage wirklich so dramatisch, dass man von einem „Kampf der Systeme“sprechen könnte? Eigentlich schon: Die Chinesen sind gerade dabei, eine spätestens seit Francis Fukuyamas „Das Ende der Geschichte“zum Dogma erhobene Theorie zu erschüttern. Einen Glaubenssatz, der lautet: Die Kombination von liberaler Marktwirtschaft und westlicher Demokratie ist das einzige Wirtschaftsmodell, das Massenwohlstand schaffen kann. Und: Politische und wirtschaftliche Freiheit bedingen einander. Marktwirtschaft kann sich ohne politische Freiheit nicht entfalten. Eine Liberalisierung der Wirtschaft führt deshalb zwingend zu Demokratie westlichen Zuschnitts. Kurz zusammengefasst: Wir haben das überlegene Modell.
Das staatskapitalistische chinesische Modell wäre demnach chancenlos: Dort können große, auch private Unternehmen zwar nach Marktregeln agieren, der Staat greift aber stark lenkend ein. Nicht ins operative Geschäft (was die alten kommunistischen Planwirtschaftsmodelle umgebracht hat), sehr wohl aber strategisch. Beispiele dafür sind etwa die Zielvorgaben des Strategieplans „China 2025“und die darin enthaltene Seidenstraßeninitiative („One Belt, One Road“), die das Land im kommenden Jahrzehnt zur wirtschaftlichen Supermacht machen sollen (und wohl auch werden). Der Staat unterstützt Unternehmen im Rahmen dieser Strategie mit irren Milliardenbeträgen.
Nach der reinen westlichen Lehre hätte die chinesische Führung jetzt ein Problem: Relative wirtschaftliche Freiheit würde ja zu politischer Liberalisierung führen. Genau das ist aber nicht der Fall. Im Gegenteil: Politisch zieht Peking die Zügel immer straffer an. Ohne dass sich das negativ auf das Wachstum auswirkt.
Und die strategische Fokussierung trägt Früchte: China ist gerade dabei, sein Werkbankimage abzuschütteln und mit Hochtechnologie (deren Basis vielfach von amerika- nischen und europäischen Unternehmen im Rahmen von Joint Ventures geliefert wurde) den Weltmarkt aufzumischen. Und sich bei der Gelegenheit in großem Stil in europäische Hochtechnologiefirmen einzukaufen.
Wobei der damit unterschwellig verbundene Vorwurf des „Technologiestehlens“nicht ganz gerechtfertigt ist. Eine umfassende Bildungsoffensive mit Schwerpunkt auf naturwissenschaftlichen Fächern und sehr hohe Aufwendungen für Forschung und Entwicklung (gelenkt von Staatsfonds) schaffen auch im Land selbst viel Know-how.
Amerika hat dem wenig, die EU so gut wie gar nichts entgegenzusetzen. Kein Wunder, dass die europäische Vorzeigeindustrie in Deutschland langsam nervös wird. Derzeit ist ja gerade ein krasses Beispiel für die strategische Schieflage zwischen den beiden Wirtschaftsblöcken sozusagen auf Schiene: Die EU-Wettbewerbsbehörden sind dabei, den Zusammenschluss der Eisenbahntechnik von Alstom und Siemens zu unter- sagen. Das Projekt wäre die Antwort auf die Bildung des chinesischen Bahntechnikriesen CRRC, der gerade aggressiv dabei ist, den Weltmarkt zu erobern.
Hier zeigt sich der Unterschied: Die EU-Wettbewerbshüter setzen den Fusionsplan in Relation zu den relativ kleinen Eisenbahnmärkten der Mitgliedsländer. Die Chinesen dagegen sehen strategisch den Weltmarkt als Benchmark.
Politische Unterstützung zur Bildung von globalen Champions auf der einen, politische Behinderung auf der anderen Seite: So wird Europa den Kampf der Systeme verlieren. Die Amerikaner beginnen auf die aggressive Ausdehnung der staatlich gelenkten Marktwirtschaft chinesischen Musters bereits zu reagieren. Wenngleich der daraus resultierende Handelskonflikt nicht immer rational geführt wird.
Die EU liegt noch im Dornröschenschlaf. Und in einzelnen Mitgliedsländern, etwa in Österreich, hat man Pekings Strategie vielerorts noch gar nicht richtig begriffen, wie die außerordentlich naive Annäherung an die Seidenstraßeninitiative etwa in Wien zeigt.
Das Dogma von der Überlegenheit unseres Systems ist also schwer erschüttert. Auf EU-Ebene wird man aber bald Maßnahmen setzen müssen, um den „Krieg der Systeme“in ein Fair Play zwischen diesen Systemen umzugestalten. Das heißt Reziprozität der Bedingungen beispielsweise für Investitionen und Handel. Die beiden Systeme bilden die wichtigsten Wirtschaftsräume dieses Globus. Sie werden miteinander leben müssen – aber auf Augenhöhe.