Die Presse

Das Haus der unvergesse­nen Wiener Volksschau­spieler

Geschichte. Das Volkstheat­er beeindruck­te in seinen Glanzzeite­n – als Bau und durch ein Ensemble, das stilbilden­d Nestroy wie auch Brecht spielte.

-

Sollte das Ronacher mit dem Volkstheat­er Plätze tauschen (siehe oben), wäre das eine historisch­e Pointe. Sind doch das Ronacher wie das Volkstheat­er nicht nur fast gleichzeit­ig entstanden (1887/88 bzw. 1887–89), sondern sogar als Produkte desselben Unfalls. 1884 brannte das Stadttheat­er innen aus; da nach den neuen Brandschut­zvorschrif­ten (eine Folge des Ringtheate­rbrandes drei Jahre davor) das Theater nicht wie gehabt wiederaufg­ebaut werden konnte, beschloss man den historisti­schen Neubau am Ring, frei stehend und mit breiten Fluchtwege­n. Und aus der Ruine wurde ein Variet´etheater.´

Ein Theater mit rein elektrisch­er Beleuchtun­g – damit brachte das Volkstheat­er bereits die erste Premiere. Auch architekto­nisch machte der Bau Schule, wurde in der Monarchie viel imitiert (Dutzende weitere Theater baute allein das zuständige Architekte­nduo Hermann Helmer und Ferdinand Fellner). Inhaltlich sollte das Volkstheat­er einen Kontrast zur Burg bieten, Theater fürs Volk („No Du?“waren die ersten Worte, in Ludwig Anzengrube­rs Volksstück „Der Fleck auf der Ehr“) – und zwar für viel Volk: Mit 1900 Plätzen, die das Theater damals hatte (heute sind es nicht einmal 900), war das Volkstheat­er zwischendu­rch das größte Sprechthea­ter im deutschspr­achigen Raum. Das erlaubte günstige Karten, für teils fantastisc­he Aufführung­en deutscher und österreich­ischer Klassiker (Raimund, Grillparze­r, Nestroy). Zu den Stars der Vor- und Zwischenkr­iegszeit zählten etwa Adele Sandrock (die dort nicht nur Schnitzler-Frauen spielte, sondern auch Schnitzler­s Geliebte war), Raoul Aslan, Rosa Albach-Retty, Alexander Girardi oder Fritz Kortner.

In der NS-Zeit war das Theater für die „Deutsche Arbeitsfro­nt“gedacht, nach dem Krieg wurde es zur GmbH. Der Österreich­i- sche Gewerkscha­ftsbund gründete die Volkstheat­er-Gemeinde mit dem Ziel, „gutes und billiges Theater für die arbeitende­n Menschen“zu ermögliche­n. Mehr als gut wurde es – damals begann, was im Rückblick als die „goldenen Jahre“des Volkstheat­ers bezeichnet wurde, mit einem legendären Ensemble (Fritz Muliar, Hilde Sochor, Kurt Sowinetz, . . .). Schon 1963 hatte der damalige Volkstheat­er-Direktor Leon Epp mit „Mutter Courage und ihre Kinder“den inoffiziel­len Boykott der Werke Bertolt

seit 2015 Volkstheat­er-Intendanti­n, wollte ihren bis 2020 laufenden Vertrag nicht verlängern. Die Auslastung in den vergangene­n Jahren war dramatisch gering (kaum 60 Prozent, trotz Freikarten­anteil von mehr als acht Prozent). Die Subvention betrug zuletzt 12,4 Mio. Euro (für die Burg 47,3 Mio. Euro, für die Josefstadt 14,17 Mio. Euro). Brechts in Österreich durchbroch­en (auf den vor allem Hans Weigel und Friedrich Torberg gedrängt hatten). In der Aufführung u. a. mit Muliar, Sochor und Sowinetz führte Gustav Manker Regie. Er brachte nach dem plötzliche­n Tod Epps selbst als Direktor noch jede Menge Brecht, außerdem eine Nestroy-Renaissanc­e und riskante Ur- und Erstauffüh­rungen wilder junger Österreich­er wie Wolfgang Bauer und Peter Turrini.

Direktorin Emmy Werner (1988 bis 2005) behauptete sich noch gegen Claus Peymanns Burgtheate­r, brachte Erstauffüh­rungen von Jelinek und Jonke, füllte mit österreich­ischen Klassikern in eigener Regie das Theater. Doch es kamen härtere Tage. Unter Michael Schottenbe­rg und Anna Badora schwand viel Publikum, das Theater war unterdotie­rt – es wurde zum kulturpoli­tischen Sorgenkind, das es bis heute ist. (sim)

Newspapers in German

Newspapers from Austria