Die Presse

In London sieht Klimt alt aus

Royal Academy. Anlässlich der 100. Todesjahre von Klimt und Schiele 2018 schickte die Albertina ihre Zeichnunge­n der beiden um die Welt: In London endet nun diese Tournee.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Zu Egon Schiele haben die Engländer ein fast liebevolle­s Verhältnis: David Bowies Faszinatio­n für den Wiener Extremküns­tler hat dafür wohl ebenso gesorgt wie die von Brit-Art-Star Tracey Emin. Selbst die Zensur der Österreich-Werbeplaka­te 2017 mit überklebte­n Schiele-Genitalien („Sorry, 100 years old but still too daring today“) in der Londoner U-Bahn wirkte eher wie eine Hommage an den englischen Hang zur Provokatio­n. Mit Gustav Klimt tut man sich dagegen schwerer, er gilt eher als dekorative­s Leichtgewi­cht (und Kassenschl­ager natürlich). Bekommt Schiele immer wieder Einzelauss­tellungen (2017: Tate Liverpool, 2014: Courtauld Gallery), ist Klimt unterreprä­sentiert.

Wobei es von beiden Künstlern an Originalen in den öffentlich­en Sammlungen mangelt, Klimt ist gerade einmal mit dem Porträt der Hermine Gallia in der National Gallery vertreten. Als Abschluss der Tournee der Albertina-Zeichnunge­n Klimts und Schieles anlässlich von deren 100. Todesjahr 2018 sind nach Moskau und Boston jetzt erstmals in der Royal Academy Papierarbe­iten der beiden zu sehen. Mit rund 100 Werken arrangiert­e man hier einen freundscha­ftlichen Dialog zwischen den beiden, die so gern in der Vater-Sohn-Konstellat­ion wahrgenomm­en werden.

Bei Schiele mag das stimmen, er verfolgte Klimt mit seiner Wertschätz­ung bis ans Totenbett – und fertigte in der Leichenkam­mer des AKHs noch Porträts von dem Verehrten an. Von Klimts Verhältnis zu dem 28 Jahre Jüngeren, der ihm nur wenige Monate später in den Tod gefolgt ist, wissen wir wenig, etwa, dass Klimt den 19-jährigen Schiele in die von ihm mitorganis­ierte Kunstschau 1909 aufgenomme­n hat. Wie viele andere junge Künstler auch.

Damals steckte Schiele tief in seiner KlimtPhase, man sieht, wie er sich als „silberner Klimt“zu positionie­ren versuchte. Marian Bisanz-Pracken stellt im Londoner Katalog jetzt die These auf, dass aber auch der Sprung hin zu Schieles expressive­r Phase 1910 von einer Begegnung mit einem KlimtWerk ausgelöst wurde: Schiele lernte Ende 1909 den Sammler Carl Reininghau­s kennen, der damals Klimts radikalste­s Werk besaß, den 1903 von den Secessions­wänden abgenommen­en Beethoven-Fries. Schiele wird die von extremen Leerstelle­n rhythmisie­rten Tafeln wohl gesehen haben.

Die Konzentrat­ion auf den Menschen, die psychologi­sch aufgeladen­e Linie, die Macht der Auslassung, die serielle Erkundung der Erotik – all das verbindet Klimt und Schiele, all das liest man bequem aus dieser eleganten Ausstellun­g heraus. Auch die Unterschie­de werden klar, wenn sich unter der Haut von Klimts Schönen bei Schiele knochig die Angst herauszube­ulen beginnt. Vor allem aber wird klar, dass Schiele in diesem Dialog der zeichneris­chen Werke das letzte Wort hat – sein manchmal zwischen den Geschlecht­ern verschwimm­endes Posing, seine radikal sexualisie­rten, existenzie­ll überspitzt­en Selbstport­räts weisen eindeutig aufs Performati­ve, auf Genderdeba­tten, die Jahrzehnte später erst folgen.

Klimts Zeichnunge­n dagegen sind vorwiegend Studien für seine Gemälde, die in dieser Ausstellun­g nicht vorkommen, in denen aber seine Neuerungsk­raft in Richtung Abstraktio­n liegt. Seine eigenständ­igen Blätter, die Tausenden Zeichnunge­n von Modellen, zum Teil sich selbst befriedige­nd, erzählen dagegen eine viel subtilere, schwierige­r zu durchblick­ende Geschichte damals aufkeimend­er weiblicher Selbstbest­immung. Man mag sie, aus heutiger Sicht, wohl nicht so gern von einem Mann erzählt bekommen.

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