Musikalische Entdeckungen sonder Zahl
Musikverein. Im kommenden „Philharmonischen“präsentiert sich nicht nur Daniil Trifonov als virtuoser Solist.
Solisten begegnet man im Wiener philharmonischen Abonnement eher selten. Hie und da werden es aber sogar mehr, als auf dem Plakat stehen. Aber der Reihe nach: Am Mittwoch musizierte das Orchester im „Meisterinterpreten“-Zyklus der Gesellschaft der Musikfreunde eine Voraufführung des Programms, das im kommenden „Philharmonischen“zu erleben sein wird. Daniil Trifonov macht auf seiner Werbetour für seine jüngste CD, die Werken Sergei Rachmaninows gilt, in Wien Station.
Das führt zur seltenen Begegnung mit dem vierten und letzten der Klavierkonzerte des russischen Meisters, im vorrevolutionären Moskau skizziert, aber erst nach Jahren im amerikanischen Exil vollendet, gilt dieses Stück als Musterbeispiel für eine typische „Spätphase“, die jeglicher Pose und – bei diesem Komponisten muss man das dazusagen – jeglichem Anflug von Kitsch abhold ist. Vor allem, wenn man Partituren so liest wie Trifonov.
Im Verein mit dem Dirigenten Alain Altinoglu bot der Pianist eine Rachmaninow-Lesart, die wohl viele Hörer überrascht, wenn nicht vor den Kopf gestoßen hat: Trocken, glasklar und ohne donnernde Virtuosengeste arbeitete Trifonov jedes Detail des Soloparts heraus, immer bedacht auf die klangliche Integration in das große Ganze: Die Philharmoniker fügten sich ins bemerkenswert kontrapunktische Gefüge ein.
So hat man Rachmaninow noch nie gehört, stehen doch die oft scharf geschnittenen, in vielfältigen Farbmixturen gezeichneten Klänge eher Strawinskys „Petruschka“als Tschaikowskys „Schwanensee“nahe. Im Mittelsatz scheint Rachmaninow gar Bela´ Bartoks´ visionäre Klangwelten vorauszuahnen, die dieser in seinem späten, dem Dritten Klavierkonzert im Mittelsatz beschwört: Schon bei Rachmaninow setzt das Orchester einen ruhigen Choral einer karg meditativen, leidenschaftlich anwachsenden Improvisation des Solisten entgegen.
Da braucht es Fingerfertigkeit der höheren Ordnung, die ganz im Dienste der Durchleuchtung harmonischer und motivischer Strukturen steht – Trifonov bietet sie auf dem Bösendorfer (wer hätte das bei Rachmaninow gedacht!) in technischer Vollkommenheit; und Altinoglu hält das Orchester zu entsprechend analytischer Gangart an. Die Geigen schwingen sich im Ausklang des ersten Satzes einmal zu einer „typischen“Rachmaninow-Kantilene auf – Erinnerung an ferne Schönheitsideale.
Das philharmonische Debütprogramm bescherte dem aus der Staatsoper bestens vertrauten Maestro einen geradezu triumphalen Erfolg. Verdient, denn auch RimskijKorsakows „Goldener Hahn“funkelte edelmetallisch glänzend herausgeputzt und in Ravels mitreißend tänzerischer Ballettsuite aus „Daphnis und Chloe“, aber auch schon zu Beginn, in Debussys „Nachmittag eines Fauns“brillierte eine zweite, exzellente Solistin dieses Abends: die junge Flötistin des Orchesters, Silvia Careddu, die mit warmem Ton und geschmeidiger Eleganz für sich einnahm. Noch ein Einstand von vielversprechendem Format.