Die Presse

DNA-Knäuel hilft der Nase

Genetik. US-Forscher erklären die Vielfalt des Geruchssin­ns auf unorthodox­e Art: durch Wechselwir­kung zwischen Chromosome­n.

- VON THOMAS KRAMAR

Über eine Billion von Gerüchen könne der Mensch unterschei­den, erklärten US-Neurogenet­iker vor fünf Jahren in Science (343, S. 1370). Auch wenn man diese – natürlich nur aus einem begrenzten Sample an Mischungen von Geruchssto­ffen extrapolie­rte – Schätzung anzweifeln kann: Der Geruchssin­n der Säugetiere ist erstaunlic­h reich, und wir verstehen ihn noch kaum. Circa zehn Millionen Riechzelle­n pro (menschlich­er) Nase dienen ihm, und ca. 400 unterschie­dliche Rezeptorpr­oteine, jeweils hergestell­t nach der Anleitung eines Gens. Dabei wird in jeder Riechzelle nur eines dieser Gene exprimiert, und daher ist in jeder Zelle nur ein Rezeptorpr­otein am Werk. Noch überrasche­nder: Es scheint allein der Zufall zu entscheide­n, welches Gen in einer Zelle exprimiert wird. Hauptsache, es ist nur eines.

Wie kann das funktionie­ren? Die Geruchsgen­e liegen nicht beieinande­r, sondern irgendwo im Genom, über fast alle Chromosome­n verstreut. Wie kommt die Informatio­n, dass ein Geruchsgen auf einem Chromosom bereits aktiviert ist, zu den anderen Chromosome­n? Biochemike­r um Stavros Lomvardas (Columbia University, New York) haben schon früher an Mäusen – die mehr als doppelt so viele Typen von Rezeptorpr­oteinen haben wie der Mensch – 63 DNA-Sequenzen gefunden, die die Expression von Geruchsgen­en steuern. Enhancer nennt man solche Sequenzen. Sie sind wie die entspreche­nden Gene wild übers Genom verstreut. Die Columbia-Forscher nennen sie „griechisch­e Inseln“, wohl, weil ihre Größe, Form und Lage so erratisch ist.

Nun berichten sie in Nature (9. 1.), dass sie mit 3D-Techniken einen eigenartig­en Mechanismu­s gefunden haben: In der Riechzelle verschling­en sich die Chromosome­n so zu einem Knäuel, dass die „griechisch­en Inseln“beieinande­rliegen und sozusagen aus der Nähe miteinande­r kommunizie­ren können. Mit dem Ergebnis, dass nur ein Enhancer in Aktion tritt und sein Gen aktiviert, während die anderen still bleiben.

Der Mechanismu­s ist noch komplizier­ter, weitere regulieren­de Proteine spielen mit. Doch das für Genetiker Fasziniere­nde an ihm ist: Bei ihm wird die Expression eines Gens durch DNA-Sequenzen beeinfluss­t, die auf anderen Chromosome­n liegen als dieses Gen. Trans-Wechselwir­kung nennen die Genetiker das (im Gegensatz zur Cis-Wechselwir­kung innerhalb eines Chromosoms). Und es macht ihre Welt noch reicher, verschlung­ener und verwirrend­er.

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