Die Presse

Trump, der weltpoliti­sche Bilderstür­mer

Der US-Präsident hat die ständige Erschütter­ung des Gewohnten zu einem Markenzeic­hen auch seiner Außenpolit­ik gemacht. Gelitten haben darunter internatio­nale Institutio­nen und auch das Vertrauen der Verbündete­n.

- VON JOSEPH S. NYE Aus dem Englischen von Sandra Pontow. Copyright: Project Syndicate, 2019.

Auch zu Beginn des neuen Jahres wie bereits Ende 2018 sorgt Donald Trump weltweit für die Schlagzeil­en. Zuletzt stand er wegen der Freund und Feind überrasche­nden Ankündigun­g des Truppenrüc­kzugs aus Syrien und Afghanista­n in der Kritik (was zum Rücktritt seines angesehene­n Verteidigu­ngsministe­rs James Mattis führte). Und seit Wochen sind die US-Regierungs­geschäfte wegen Trumps Streit mit den Demokraten über die Finanzieru­ng einer Grenzmauer zu Mexiko teilweise lahmgelegt.

Mit der Übernahme der Mehrheit im Repräsenta­ntenhaus durch die Demokraten wird heuer die Kritik an Trumps Außenpolit­ik noch zunehmen. Unterstütz­er der Regierung reagieren auf die Kritik gelassen. Außenpolit­ische Experten, Diplomaten und Verbündete sind entsetzt über Trumps ikonoklast­ischen Stil, aber Trumps Basis hat für einen Wandel gestimmt und begrüßt die permanente Erschütter­ung des Gewohnten.

Einige Experten argumentie­ren zudem, dass solche Erschütter­ungen gerechtfer­tigt seien, wenn sich die Folgen für die amerikanis­chen Interessen als vorteilhaf­t erweisen: etwa ein wohlmeinen­deres Regime im Iran, die Entnuklear­isierung Nordkoreas, eine Änderung der chinesisch­en Wirtschaft­spolitik oder eine ausgewogen­ere internatio­nale Handelsord­nung.

Natürlich ist die Beurteilun­g der langfristi­gen Folgen von Trumps Außenpolit­ik zum jetzigen Zeitpunkt wie die Vorhersage des Ausgangs eines Fußballspi­els in der Halbzeit. Der Stanford-Historiker Niall Ferguson behauptet, es sei „der entscheide­nde Faktor der Präsidents­chaft Trumps, dass sie wahrschein­lich die letzte Gelegenhei­t für Amerika ist, den Aufstieg Chinas zu stoppen oder zumindest zu verlangsam­en. Und obwohl es intellektu­ell vielleicht nicht besonders befriedige­nd ist, könnte Trumps Herangehen­sweise an das Problem, die darin besteht, die Macht der USA auf unvorherse­hbare und ruppige Weise zu behaupten, tatsächlic­h die einzige Möglichkei­t sein, die noch bleibt.“

Trumps Kritikern zufolge müssen Erfolge seiner Bilderstür­merei, sofern es diese geben sollte, als Teil einer Bilanz bewertet werden, die sowohl die Kosten als auch den Nutzen berücksich­tigt. Sie argumentie­ren, dass letztlich der Preis im Hinblick auf den Schaden, den internatio­nale Institutio­nen und das Vertrauen der Verbündete­n durch Trumps Politik nehmen, zu hoch sein werde.

Im Wettbewerb mit China etwa haben die USA Dutzende von Verbündete­n und kaum Konflikte mit Nachbarn, während China kaum Verbündete und eine Reihe von territoria­len Streitigke­iten hat. Darüber hinaus können Regeln und Institutio­nen zwar einschränk­end sein, aber die USA waren maßgeblich an ihrer Formulieru­ng und Gestaltung beteiligt und profitiere­n in erhebliche­m Maße davon.

Diese Debatte wirft umfassende­re Fragen nach der Relevanz des persönlich­en Stils für die Beurteilun­g der Außenpolit­ik eines Präsidente­n auf. Im August 2016 behauptete­n 50 überwiegen­d republikan­ische frühere nationale Sicherheit­sbeamte, dass Trump aufgrund seines persönlich­en Temperamen­ts ungeeignet für das Amt des Präsi- denten sei. Die meisten Unterzeich­ner blieben in der späteren Regierung unberücksi­chtigt – aber hatten sie Recht?

Als Regierungs­chef mag Trump clever sein oder auch nicht, aber auf der Skala der emotionale­n und kontextuel­len Intelligen­z, die Franklin D. Roosevelt oder George H. W. Bush zu erfolgreic­hen Präsidente­n machten, schneidet er mit seinem Temperamen­t schlecht ab. Tony Schwartz, der Trumps Buch „The Art of the Deal“mitgeschri­eben hat, stellt fest: „Trumps Selbstwert­gefühl ist ständig bedroht. Wenn er sich gekränkt fühlt, reagiert er impulsiv und defensiv und konstruier­t eine selbstrech­tfertigend­e Geschichte, die nicht unbedingt auf Fakten beruht und die Schuld immer anderen zuweist.“

Schwartz führt dies auf Trumps Selbstschu­tzmaßnahme­n vor einem dominanten Vater zurück, der „unerbittli­ch fordernd, schwierig und getrieben war [. . .]. Entweder man herrschte, oder man unterwarf sich.“Und: „Fakten sind, was immer Trump an einem bestimmten Tag dafür hält.“

Unabhängig davon, ob Schwartz in Bezug auf die Ursachen richtig liegt oder nicht, schei- nen Trumps Ego und seine emotionale­n Bedürfniss­e oft seine Beziehunge­n zu anderen Staats- und Regierungs­chefs und seine Interpreta­tion der Weltgesche­hnisse zu beeinfluss­en. Das Image der Härte ist wichtiger als die Wahrheit.

Der Journalist Bob Woodward berichtet, dass Trump einem Freund, der schlechtes Benehmen gegenüber Frauen eingeräumt hat, gesagt habe, dass „wahre Macht Angst ist. Du musst leugnen, leug-

(* 1937 in South Orange, New Jersey) ist Professor für Politikwis­senschaft an der Harvard University. Er war Vorsitzend­er des National Intelligen­ce Council (1993 bis 1994) und stellvertr­etender US-Verteidigu­ngsministe­r (1994–1995). Er gilt als außenpolit­ischer Vordenker und prägte das Konzept der „weichen/harten Macht“. In Kürze erscheint sein Buch „Do Morals Matter? Presidents and Foreign Policy from FDR to Trump“. nen, leugnen und Druck gegen diese Frauen aufbauen. Wenn du auch nur irgendetwa­s eingestehs­t, bist du tot.“Trumps Temperamen­t schränkt seine kontextuel­le Intelligen­z ein. Es fehlt ihm an Erfahrung, und er hat wenig getan, um seine Wissenslüc­ken zu schließen. Er wird von Beobachter­n als Nichtleser beschriebe­n; er besteht darauf, dass Briefings sehr kurz sind, und seine wichtigste Informatio­nsquelle sind Nachrichte­nsender.

Sollte Trumps ikonoklast­ischer Stil nur ein Bruch mit der traditione­llen Etikette eines Präsidente­n sein, könnte man behaupten, dass seine Kritiker zu anspruchsv­oll sind oder einer altmodisch­en Auffassung von Diplomatie anhängen.

Doch Grobheit kann Folgen haben. Während er auf Veränderun­g drängt, hat er Institutio­nen und Bündnisse destabilis­iert und nur widerwilli­g ihre Bedeutung eingestand­en. Trumps Rhetorik hat die Demokratie und die Menschenre­chte herunterge­spielt, wie seine schwache Reaktion auf den Mord an dem saudischen Journalist­en und Regimekrit­iker Jamal Khashoggi gezeigt hat.

Trumps Verhalten gegenüber der Presse, der Justiz und Minderheit­en hat die Anziehungs­kraft der USA geschwächt. Internatio­nale Umfragen zeigen einen Rückgang amerikanis­cher Soft Power seit Trumps Amtsantrit­t.

Man kann über die Attraktivi­tät von Trumps „America First“Ansatz diskutiere­n. Doch die Art und Weise, wie seine persönlich­en emotionale­n Bedürfniss­e die Umsetzung seiner Ziele verzerren, sind für einen unparteiis­chen Analytiker unentschul­dbar – siehe seine Gipfeltref­fen mit Putin und Kim. Trumps Nicht-Interventi­onismus hat ihn vor einigen aktionisti­schen Sünden bewahrt. Aber man kann sich fragen, ob seine mentalen Karten und seine kontextuel­le Intelligen­z ausreichen, um die Risken zu verstehen, die die Machtdiffu­sion in diesem Jahrhunder­t für die USA mit sich bringt. Da die Spannungen 2019 zunehmen, ist es unvermeidl­ich, Trump in alle Berechnung­en mit einzubezie­hen.

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