Was uns glücklich macht
Philosophie. Seit Jahrzehnten wird die Glücksforschung von der ökonomischen Frage dominiert, ob uns mehr Wohlstand zufriedener macht. Diese Verengung wirkt schrecklich banal. Aber wie viel geht dabei tatsächlich verloren?
Neues aus der Glücksforschung: Was bleibt bei der Suche nach Glück übrig, wenn man dabei das Geld weglässt?
Geld macht nicht glücklich. Stimmt nicht, es macht sehr wohl glücklich. Alles falsch: Es macht bis zu einem bestimmten Einkommen glücklich, darüber hinaus nicht mehr. Dazu gibt es Theorien, Studien und Artikel sonder Zahl. Die gewichtige Frage, wie der Mensch ein glückund sinnerfülltes Leben führen kann, war einst die Domäne tiefgründiger Denker und Religionsstifter. In der Wissenschaft unserer Tage scheint sie auf das mediokre Maß materiellen Wohlergehens zurechtgestutzt. Das bereitet Unbehagen. Wie berechtigt ist es?
Eine öffentliche Angelegenheit ist ja nie das individuelle Glück, sondern sein mittleres Niveau. Niemand bestreitet, dass es von viel mehr abhängt als vom Pro-Kopf-Einkommen. Aber dessen Wachstum hat doch andere Glücksbringer im Schlepptau: bessere Gesundheit, mehr Freizeit und Möglichkeiten der Unterhaltung. Höhere Bildung und weitere Reisen, die neue Horizonte eröffnen. Erfindungen, die den Alltag erleichtern. All das, was wir materiellen Fortschritt nennen. Ihm gilt, in Beruf oder Politik, ein Gutteil unseres Trachtens. Dann aber ist es nicht banal, sondern recht abgründig, wenn wir sagen müssten: Es geht uns immer besser, aber glücklicher macht uns das nicht.
Easterlin und kein Ende
Genau das behauptet das Easterlin-Paradox, mit dem Mitte der 1970er-Jahre die ökonomische Glücksforschung begonnen hat. Ein Paradox ist es deshalb, weil Richard Easterlin zeitpunktbezogen durchaus einen positiven Zusammenhang von Einkommenshöhe und Glück festgestellt hat: unter den Bewohnern eines Landes, schwächer auch im Vergleich zwischen Staaten. Nur langfristig über die Zeit mache wachsender Wohlstand nicht glücklicher. Ein umstrittenes Ergebnis. Die meisten Forscher halten es durch neue Daten für widerlegt. Ihr Fazit: Einzig in den USA stagniere das Glück auf Dauer. Easterlin selbst hält an seinem Befund fest, auch in China und Osteuropa sieht er sich bestätigt.
Sollte sein Paradox weiter gelten, ist es auch politisch brisant. Wegen seiner beliebtesten Erklärung: Es gehe nicht um die relative Höhe des Einkommens. Also: Es mache mich nicht glücklich, wenn ich mehr verdiene, solange der Abstand zum reicheren Nachbarn nicht sinkt. Damit landet man unversehens bei der Ungleichheit. Man streitet über Umverteilung, höhere oder niedrigere Steuern – und kommt damit nie an ein Ende, weil nun wirtschaftliche Interessen im Spiel sind. So stecken wir in der Diskursfalle fest: Es dreht sich alles nur ums Geld. Dabei stellen die Glücksforscher ihre Frage mittlerweile ganz offen, weil das eindeutige Ergebnisse liefert: „Wie glücklich und zufrieden fühlen Sie sich?“Aber vielleicht antworten wir ja nicht ganz ehrlich. Angenommen, unser Lebenspartner hat uns gerade verlassen. Dann könnten wir uns denken: „Mein intimes Leid geht diese Umfrage-Leute nichts an. Sie wollen doch objektives Wohlbefinden messen. Und da wäre es angesichts meiner komfortablen Umstände undankbar, wenn ich nicht sage: ,Es passt schon, es geht mir gut.‘“
Aber stört solche Unschärfe die Statistik? Der Anteil jener, die gerade von privatem Pech verfolgt sind, dürfte recht konstant sein. Außer eine Gesellschaft ist schwer deformiert. Immer wieder geistern düstere Meldungen durch die Medien: Die Einsamkeit nehme zu, Ängste und psychischen Leiden häuften sich, durch den Zerfall traditioneller Bindungen. Wenn das stimmt, hat es mit dem Pro-Kopf-Einkommen nicht mehr direkt zu tun. Man muss es also gesondert betrachten. Der US-Psychologe Steven Pinker hat in „Aufklärung jetzt“die Befunde gesichtet. Sein Credo: Vertraut den Fakten, es geht uns so gut wie noch nie. Oder zumindest nicht schlechter: Die Robustheit unseres kollektiven Seelenzustands bleibe grosso modo konstant. Von Entfremdung könne keine Rede sein. Wir wollen es ihm gern glauben.
Dennoch bleibt ein Unbehagen. Es gilt der Methode: Auch in diesen erweiterten Formen geht es immer nur um Glück als Nutzen. Als ein Gut, das genossen, oder ein Unglück, das erlitten wird. Die Skalen messen gutes oder schlechtes Leben „für mich“, nie ein Glück, das „von mir“errungen wäre.
Kein Glück ohne Sinn
Dabei zielten die Denker aller Epochen auf diese höhere Form von Glück ab: auf ein gelungenes Leben. Was machen wir daraus, dass wir in diese Welt geworfen sind?, fragten sich noch die Existenzphilosophen. Für sie zählte der Sinn, mit dem wir unsere nackte Existenz füllen, nicht der Wert der Kleider, in die wir sie hüllen. Dass wir heute nur noch über Letzteres reden, wäre ihnen unsäglich banal erschienen. Freilich lässt sich ein solches höheres Glück nicht für jeden Zeitpunkt messen und über das Leben summieren. Wir verzichten auf viele Lüstchen im Alltag, wenn wir ein Kind aufziehen, ein Buch schreiben oder für eine gerechte Sache kämpfen. Das kurze Hochgefühl, das sich einstellt, wenn wir endlich einmal ein Ziel erreichen, macht diese Entbehrungen im Nutzenkalkül nicht wett. Weshalb ein Utilitarist wie Pinker die beiden Konzepte auseinanderreißt: Glück sei eben etwas anderes als sinnerfülltes Leben – und damit nicht alles. Aber diese Trennung wirkt willkürlich. Nein, es geht immer um Glück, im Kleinen wie im Großen. Natürlich fließt dabei viel Wasser auf konservative Mühlen. Sie rattern: Lebenssinn gebe es nur in vorgefertigter Form. Und wenn Religion und traditionelle Werte nicht mehr verbindlich sind, gehe auch das Glück den Bach hinunter.
Aber gegen solchen Kulturpessimismus wappnet die erwähnte Empirie: Bei kollektiver Sinnleere müssten sich schlimme Symptome zeigen, und das geben die Statistiken nicht her. Offenbar schaffen wir es gar nicht so schlecht, einen je eigenen Sinn zu finden. Das muss ein Staat, eine Gesellschaft aber erst einmal zulassen. Politische Freiheit macht selbst gewähltes Glück erst möglich. Aber: Auch die ökonomische Entwicklung erweitert die Spielräume für Lebenschancen. Es hat also gute Gründe, dass sie als Referenzgröße so präsent ist. Was der Einzelne aus seinen Möglichkeiten macht, ist dann seine Sache. Oder, um mit Francoise¸ Sagan zu seufzen: „Ich bin lieber in einem RollsRoyce unglücklich als in der Straßenbahn.“