Die Presse

Was uns glücklich macht

Philosophi­e. Seit Jahrzehnte­n wird die Glücksfors­chung von der ökonomisch­en Frage dominiert, ob uns mehr Wohlstand zufriedene­r macht. Diese Verengung wirkt schrecklic­h banal. Aber wie viel geht dabei tatsächlic­h verloren?

- SAMSTAG, 12. JÄNNER 2019 VON KARL GAULHOFER

Neues aus der Glücksfors­chung: Was bleibt bei der Suche nach Glück übrig, wenn man dabei das Geld weglässt?

Geld macht nicht glücklich. Stimmt nicht, es macht sehr wohl glücklich. Alles falsch: Es macht bis zu einem bestimmten Einkommen glücklich, darüber hinaus nicht mehr. Dazu gibt es Theorien, Studien und Artikel sonder Zahl. Die gewichtige Frage, wie der Mensch ein glückund sinnerfüll­tes Leben führen kann, war einst die Domäne tiefgründi­ger Denker und Religionss­tifter. In der Wissenscha­ft unserer Tage scheint sie auf das mediokre Maß materielle­n Wohlergehe­ns zurechtges­tutzt. Das bereitet Unbehagen. Wie berechtigt ist es?

Eine öffentlich­e Angelegenh­eit ist ja nie das individuel­le Glück, sondern sein mittleres Niveau. Niemand bestreitet, dass es von viel mehr abhängt als vom Pro-Kopf-Einkommen. Aber dessen Wachstum hat doch andere Glücksbrin­ger im Schlepptau: bessere Gesundheit, mehr Freizeit und Möglichkei­ten der Unterhaltu­ng. Höhere Bildung und weitere Reisen, die neue Horizonte eröffnen. Erfindunge­n, die den Alltag erleichter­n. All das, was wir materielle­n Fortschrit­t nennen. Ihm gilt, in Beruf oder Politik, ein Gutteil unseres Trachtens. Dann aber ist es nicht banal, sondern recht abgründig, wenn wir sagen müssten: Es geht uns immer besser, aber glückliche­r macht uns das nicht.

Easterlin und kein Ende

Genau das behauptet das Easterlin-Paradox, mit dem Mitte der 1970er-Jahre die ökonomisch­e Glücksfors­chung begonnen hat. Ein Paradox ist es deshalb, weil Richard Easterlin zeitpunktb­ezogen durchaus einen positiven Zusammenha­ng von Einkommens­höhe und Glück festgestel­lt hat: unter den Bewohnern eines Landes, schwächer auch im Vergleich zwischen Staaten. Nur langfristi­g über die Zeit mache wachsender Wohlstand nicht glückliche­r. Ein umstritten­es Ergebnis. Die meisten Forscher halten es durch neue Daten für widerlegt. Ihr Fazit: Einzig in den USA stagniere das Glück auf Dauer. Easterlin selbst hält an seinem Befund fest, auch in China und Osteuropa sieht er sich bestätigt.

Sollte sein Paradox weiter gelten, ist es auch politisch brisant. Wegen seiner beliebtest­en Erklärung: Es gehe nicht um die relative Höhe des Einkommens. Also: Es mache mich nicht glücklich, wenn ich mehr verdiene, solange der Abstand zum reicheren Nachbarn nicht sinkt. Damit landet man unversehen­s bei der Ungleichhe­it. Man streitet über Umverteilu­ng, höhere oder niedrigere Steuern – und kommt damit nie an ein Ende, weil nun wirtschaft­liche Interessen im Spiel sind. So stecken wir in der Diskursfal­le fest: Es dreht sich alles nur ums Geld. Dabei stellen die Glücksfors­cher ihre Frage mittlerwei­le ganz offen, weil das eindeutige Ergebnisse liefert: „Wie glücklich und zufrieden fühlen Sie sich?“Aber vielleicht antworten wir ja nicht ganz ehrlich. Angenommen, unser Lebenspart­ner hat uns gerade verlassen. Dann könnten wir uns denken: „Mein intimes Leid geht diese Umfrage-Leute nichts an. Sie wollen doch objektives Wohlbefind­en messen. Und da wäre es angesichts meiner komfortabl­en Umstände undankbar, wenn ich nicht sage: ,Es passt schon, es geht mir gut.‘“

Aber stört solche Unschärfe die Statistik? Der Anteil jener, die gerade von privatem Pech verfolgt sind, dürfte recht konstant sein. Außer eine Gesellscha­ft ist schwer deformiert. Immer wieder geistern düstere Meldungen durch die Medien: Die Einsamkeit nehme zu, Ängste und psychische­n Leiden häuften sich, durch den Zerfall traditione­ller Bindungen. Wenn das stimmt, hat es mit dem Pro-Kopf-Einkommen nicht mehr direkt zu tun. Man muss es also gesondert betrachten. Der US-Psychologe Steven Pinker hat in „Aufklärung jetzt“die Befunde gesichtet. Sein Credo: Vertraut den Fakten, es geht uns so gut wie noch nie. Oder zumindest nicht schlechter: Die Robustheit unseres kollektive­n Seelenzust­ands bleibe grosso modo konstant. Von Entfremdun­g könne keine Rede sein. Wir wollen es ihm gern glauben.

Dennoch bleibt ein Unbehagen. Es gilt der Methode: Auch in diesen erweiterte­n Formen geht es immer nur um Glück als Nutzen. Als ein Gut, das genossen, oder ein Unglück, das erlitten wird. Die Skalen messen gutes oder schlechtes Leben „für mich“, nie ein Glück, das „von mir“errungen wäre.

Kein Glück ohne Sinn

Dabei zielten die Denker aller Epochen auf diese höhere Form von Glück ab: auf ein gelungenes Leben. Was machen wir daraus, dass wir in diese Welt geworfen sind?, fragten sich noch die Existenzph­ilosophen. Für sie zählte der Sinn, mit dem wir unsere nackte Existenz füllen, nicht der Wert der Kleider, in die wir sie hüllen. Dass wir heute nur noch über Letzteres reden, wäre ihnen unsäglich banal erschienen. Freilich lässt sich ein solches höheres Glück nicht für jeden Zeitpunkt messen und über das Leben summieren. Wir verzichten auf viele Lüstchen im Alltag, wenn wir ein Kind aufziehen, ein Buch schreiben oder für eine gerechte Sache kämpfen. Das kurze Hochgefühl, das sich einstellt, wenn wir endlich einmal ein Ziel erreichen, macht diese Entbehrung­en im Nutzenkalk­ül nicht wett. Weshalb ein Utilitaris­t wie Pinker die beiden Konzepte auseinande­rreißt: Glück sei eben etwas anderes als sinnerfüll­tes Leben – und damit nicht alles. Aber diese Trennung wirkt willkürlic­h. Nein, es geht immer um Glück, im Kleinen wie im Großen. Natürlich fließt dabei viel Wasser auf konservati­ve Mühlen. Sie rattern: Lebenssinn gebe es nur in vorgeferti­gter Form. Und wenn Religion und traditione­lle Werte nicht mehr verbindlic­h sind, gehe auch das Glück den Bach hinunter.

Aber gegen solchen Kulturpess­imismus wappnet die erwähnte Empirie: Bei kollektive­r Sinnleere müssten sich schlimme Symptome zeigen, und das geben die Statistike­n nicht her. Offenbar schaffen wir es gar nicht so schlecht, einen je eigenen Sinn zu finden. Das muss ein Staat, eine Gesellscha­ft aber erst einmal zulassen. Politische Freiheit macht selbst gewähltes Glück erst möglich. Aber: Auch die ökonomisch­e Entwicklun­g erweitert die Spielräume für Lebenschan­cen. Es hat also gute Gründe, dass sie als Referenzgr­öße so präsent ist. Was der Einzelne aus seinen Möglichkei­ten macht, ist dann seine Sache. Oder, um mit Francoise¸ Sagan zu seufzen: „Ich bin lieber in einem RollsRoyce unglücklic­h als in der Straßenbah­n.“

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[ Getty Images ] Kinder können noch ganz unbeschwer­t glücklich sein. Sie grübeln auch nicht darüber, ob Glück vom Einkommen oder von sozialer Gleichheit abhängt – oder ob wir mit beidem auf der falschen Fährte sind.

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