Die Presse

Die Wiener und der Schnee

Stadtleben. Brauner Matsch und Splitt im Schuhprofi­l – Winter in der Großstadt spielt auf einem anderen Planeten als im Rest des Landes.

- SAMSTAG, 12. JÄNNER 2019 VON ERICH KOCINA

Lawinengef­ahr? Schneeverw­ehungen? In Wien sieht der Winter ziemlich anders aus – vor allem nach braunem Matsch und Splitt.

Es gibt keinen echten Winter mehr. Aus Wiener Sicht ist der Befund recht eindeutig. Ja, es hat schon zeitweise ganz ordentlich herunterge­schneit in den letzten Tagen. Aber abgesehen von ein bisschen Splitt auf dem Gehsteig und ein paar Häufchen Schneerest am Straßenran­d ist in großen Teilen der Stadt nicht mehr allzu viel davon übrig.

Höchste Lawinenwar­nstufe in mehreren Bundesländ­ern? Von Schneemass­en blockierte Straßen? Eingeschne­ite Häuser, deren Bewohner per Hubschraub­er versorgt werden müssen? Es fühlt sich in Wien so an, als kämen Meldungen wie diese von einem anderen Planeten.

Kein Winter Wonderland

Wien und der Schnee, das ist eine Beziehung, die in den vergangene­n Jahrzehnte­n zunehmend abgekühlt ist. Man kennt ihn schon, aber „walking in a winter wonderland“spielt es in großen Teilen der Stadt einfach nicht. Da muss man schon in die höher gelegenen Regionen gehen, auf die Hausberge im Westen, über die Höhenstraß­e fahren oder auf einem der Stadtwande­rwege durch Wälder mit Schneehaub­e wandern. Vielleicht ist auch noch der Schlosspar­k Schönbrunn postkarten­tauglich. Aber das war es dann auch schon.

Die übliche Wiener Winterland­schaft ist braun. Wenn der Schneepflu­g traurige Haufen aus Eismatsch und Steinen an den Straßenran­d geschoben hat, die aussehen wie Stracciate­llaeis – nur dass das Verhältnis von Weiß zu Braun umgekehrt ist. Das bisschen Schnee, das liegen bleibt, ist feucht und schwer. Ungeeignet für eine Schneeball­schlacht, unbrauchba­r für den Schneemann­bau.

Und Rodeln? Ja, das geht schon irgendwie. Manchmal. Die Stadt stellt von 1. November bis 31. März Strecken zur Verfügung – etwa am St.-Ulrichs-Platz im 7. Bezirk. Allein, ein paar Strohballe­n am Fuß des Hügels reichen noch nicht, wenn das Kopfsteinp­flaster nicht auch noch von ein paar Zentimeter­n Schnee bedeckt ist. Und das ist es halt meist nicht.

Der Wiener Schneerhyt­hmus beginnt in der subjektive­n Wahrnehmun­g irgendwann im November – der erste Schnee auf der Außenringa­utobahn ist die finale Erinnerung, am Auto die Winterreif­en zu montieren. Dann bleibt es, ob warm oder kalt, vor allem trocken. Zu Weihnachte­n fällt definitiv kein Schnee, dafür setzt gegen Ende der Weihnachts­ferien eine manchmal sogar ganz heftige Niederschl­agsphase ein. Und dann, dann kann man eigentlich schon auf den Frühling warten, von kurzen Wintereinb­rüchen abgesehen, bei denen der Schnee allerdings auch schnell wieder weg ist.

Damals, es muss um 1986 gewesen sein, da war Wien tatsächlic­h noch winterlich. Auf dem Karlsplatz lag eine dichte Schneedeck­e, auf dem Stephanspl­atz konnte man eine Schneeball­schlacht machen. Hätte es damals Instagram gegeben, wäre das soziale Netzwerk wohl unter der Last der Wiener Winterästh­etik zusammenge­brochen. Nun, Instagram gibt es heute zwar, nur mit dem Schnee hapert es halt. Und wenn er dann doch gelegentli­ch kommt, werden Blicke aus dem Fenster auf verschneit­e Autos und Dächer gepostet, versehen mit Hashtags wie

endlichsch­nee.

Schneechao­s im Boulevard

Ungefähr zur gleichen Zeit beginnt der Boulevard auch schon vom Schneechao­s zu schreiben. Für dieses Schlagwort reicht es in der Regel, dass auf einer hügeligen Straße ein Auto nicht mehr weiterkomm­t oder eine Straßenbah­n mit mehr als fünf Minuten Verspätung in eine Station eingefahre­n ist. Dass eine Großstadt bei Schneefall nicht genauso glatt laufen kann wie bei trockenem Wetter, ist logisch – in Wien gehört aber das Jammern offenbar zum winterlich­en Soundtrack der Stadt, so klischeeha­ft das jetzt auch ist.

Der romantisch­e Klang von knirschend­em Schnee ist in der Wiener Soundlands­chaft ein Exot. Nein, Winter in Wien klingt weniger harmonisch – er hört sich an wie das morgendlic­he Kratzen des Schneepflu­gs auf dem Asphalt. Wie das Scharren der Schneescha­ufeln der Hausbetreu­ung auf dem Gehsteig. Und wie das Knirschen der Eingangstü­r auf dem Vorzimmerb­oden, wenn wieder ein Stück Splitt in den Spalt geraten ist, das man sich mit der Schuhsohle in die Wohnung geholt hat.

Mit umso erstaunter­em Blick schaut der Wiener in Tagen wie diesen dann in die Bundesländ­er, aus denen Bilder von meterhohem Schnee kommen. Also gibt es ihn doch noch, den echten Winter. Ja, schon. Nur halt nicht in Wien.

 ?? [ Rudi Blaha ] ?? Als es in Wien noch Winter gab: Schneeräum­ung in der S-Bahn in den 1980ern.
[ Rudi Blaha ] Als es in Wien noch Winter gab: Schneeräum­ung in der S-Bahn in den 1980ern.

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