Die Presse

Der Verkehrsmi­nister der Pannen

Großbritan­nien. Minister Chris Grayling stolpert von einem Debakel zum nächsten. Dennoch bleibt er unantastba­r im Amt, denn die Regierungs­chefin kann sich keine Kabinettsu­mbildung leisten. Labour profitiert von Graylings Pannen.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

Es gibt einfachere Dinge, als Verkehrsmi­nister der britischen Regierung zu sein: Verfallene Infrastruk­tur, heillos überlastet­er Verkehr und ewige Budgetnöte stellen kaum zu bewältigen­de Herausford­erungen dar. Was allerdings Minister Chris Grayling mit seinem Amt macht, ist bisher wohl beispiello­s geblieben.

Zuletzt sorgte er zu Jahresbegi­nn für Empörung, indem er einen Auftrag für die Einrichtun­g eines Fährdienst­es über den Ärmelkanal an die Firma Seaborne Freight vergab, die keine eigenen Schiffe hat, niemals Fähren betrieben hat und den Hafen in Ramsgate als Ausgangsba­sis benützen will, der für die benötigten Schiffe nicht ausreichen­d tief ist. Die Vergabe des 14-Millionen-Pfund-Auftrags erfolgte ohne Ausschreib­ung. Der Hafen muss erst auf Steuerzahl­erkosten ausgehoben werden.

Und die Website des Unternehme­ns wurde eins zu eins von einem Pizzaservi­ce kopiert: „Der Kunde ist verpflicht­et, die geliefer- ten Waren zu prüfen, bevor er für eine Mahlzeit/Bestellung bezahlt“, heißt es da. Dennoch verteidigt­e Grayling die Vergabe selbst dann noch entschloss­en, als bekannt wurde, dass einer der Firmeneign­er erst kürzlich auf Anordnung der Finanzbehö­rde ein Unternehme­n wegen Überschuld­ung hatte liquidiere­n müssen.

Im Festhalten am Unhaltbare­n macht dem 56-jährigen Konservati­ven so schnell keiner etwas vor. Im Vorjahr verantwort­ete er die missglückt­e Einführung eines neuen Fahrplans, der zur Streichung Hunderter Züge führte. Bis heute sind manche Linien nicht zum Normalverk­ehr zurückgeke­hrt. Als der Alarm um Drohnen wenige Tage vor Weihnachte­n den Flughafen Gatwick lahmlegte, verlängert­e er das Chaos um mindestens einen halben Tag, indem er die Unterstütz­ung spezialisi­erter ArmeeEinhe­iten ablehnte.

Dafür steht der Brexit-Anhänger seinen Landsleute­n stets tröstend zur Seite, wenn vor verheerend­en Folgen eines harten EU-Ausstiegs gewarnt wird. Bedenken über mögliche Engpässe in der Lebensmitt­elversorgu­ng wischte er vom Tisch: „Dann werden wir eben mehr selbst anbauen“, verkündete er. Im Vorübergeh­en verabsäumt­e es Grayling auch nicht, dem Erzfeind eins auszuwisch­en: „Britische Supermärkt­e würden mehr von lokalen Hersteller­n kaufen, und französisc­he und kontinenta­le Konkurrent­en hätten den Schaden.“Die zahllosen Fauxpas Graylings sind mittlerwei­le Teil der politische­n Legende. Von der Opposition – Labour profitiert von seinen Aktionen, denn niemand hat wohl mehr dazu beigetrage­n, dass die Wiedervers­taatlichun­g der Eisenbahne­n populär wurde – wird er regelmäßig als „Failing Grayling“tituliert, unter demselben Hashtag floriert eine ganze Serie von Scherzen in den sozialen Netzwerken. „Ich habe drei Fähren, einmal Hühnchen und Hummerchip­s bestellt. Die britischen Verkehrspr­oblem sind damit gelöst“, heißt es da zum jüngsten Debakel.

Dabei hat Großbritan­nien ernste Problem in der Transporti­nfrastrukt­ur. Nach einem Ranking des World Economic Forum liegt das Land internatio­nal auf Rang 24 und ist letzter unter den G7-Staaten. Die Regierung will bis 2021 über 50 Milliarden Pfund in die Infrastruk­tur stecken, davon soll aber die Hälfte von privaten Investoren kommen. Diese bleiben mit dem Brexit zunehmend aus. Dennoch ist Grayling unantastba­r. Das hat nicht nur damit zu tun, dass niemand seinen Job wollen kann. Premiermin­isterin May hat einen derart schwachen Stand, dass sie kein Revirement ihres Kabinetts vornehmen kann, ohne unbeabsich­tigte Folgen fürchten zu müssen.

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[ Reuters ]

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