Die Presse

Bei einem harten Brexit könnten Ostereier und Insulin ausgehen

Großbritan­nien. Die Warnungen vor den Auswirkung­en eines harten Brexit werden dramatisch­er. Sogar ein Notdienst mit Beamten ist geplant.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

Kurz vor der entscheide­nden Unterhausa­bstimmung werden die Briten nun immer öfter mit den Auswirkung­en eines harten Brexit konfrontie­rt. „Das Austrittsd­atum (29. März, Anm.) ist wirklich verteufelt nahe bei Ostern“, warnte Razat Gaurav, Chef des Logistikun­ternehmens Llamasoft. „Für Süßwarenhe­rsteller ist das einer der Höhepunkte im Jahr.“Daher sei es dringend geboten, „ausreichen­d Vorräte anzulegen“. Der Liberaldem­okrat Tom Brake schloss messerscha­rf: „Wenn die Hersteller das nicht schaffen, wird es keine Ostereier geben.“Selbst dem hartnäckig­sten Realitätsv­erweigerer beginnt 30 Monate nach dem Brexit-Votum zu dämmern, dass sich das Land auf eine nationale Krise zubewegt.

Die Regierung beginnt in allerletzt­er Sekunde, aktiv zu werden. Seit einigen Tagen laufen in Fernsehen und Radio Einschaltu­ngen, bei denen etwa gefragt wird: „Werden meine Reisepläne betroffen sein, wenn wir die EU verlassen?“Worauf eine andere Stimme ertönt: „Es könnte auch sein, dass Sie Fragen haben, wie der Brexit Sie betreffen wird. Für aktuelle Neuigkeite­n gehen Sie zu gov.uk/EUexit.“

Tatsächlic­h stehen die Briten vor ernsteren Fragen – etwa zum Gesundheit­swesen, zur Medikament­enversorgu­ng (z. B. Insulin) oder zu den Aufenthalt­srechten in der EU. Zudem warnt etwa der Supermarkt­riese Sainsbury’s: „Ein harter Brexit wird die Versorgung­skette massiv stören.“Während man die Einlagerun­g von konservier­baren Gütern bereits deutlich vergrößert habe, drohe bei Frischgüte­rn eine ernste Versorgung­skrise. Großbritan­nien importiert 84 Prozent seines Verbrauchs an frischem Obst und Gemüse.

Ins Land kommen die Waren über den Ärmelkanal, wo allein im Hafen von Dover jedes Jahr 2,6 Millionen Lastautos abgefertig­t werden. Nach einer Studie des University College London droht bei Ende des Freihandel­s mit der EU das totale Chaos: Zusätzlich­e Verzögerun­gen bei der Abfertigun­g von jeweils 60 Sekunden würden zu Staus von bis zu acht Stunden kumulieren, bei 70 Sekunden würde die Unterbrech­ung „bis zu einer Woche dauern“und bei mehr als 80 Sekunden gebe es „keine Rettung“mehr.

Die Autoindust­rie muss bereits Tausende Arbeitsplä­tze einsparen und sieht ihre Zukunft im Land in Gefahr: „Uns drohen Verluste, die wir nicht stemmen können“, sagt Jaguar-/Land-Rover-Chef Ralf Speth. Eine Stauübung der Regierung zu Wochenbegi­nn wurde zu einer Farce. Dafür wurden drei Firmen ohne Ausschreib­ung für 100 Millionen Pfund beauftragt, „zusätzlich­e Kapazitäte­n“für den Ärmelkanal im Fall eines No-DealBrexit zu schaffen. Eine davon hat noch nie Fähren betrieben, ihre Webseite aber von einem Pizzaservi­ce kopiert.

Entgegen der bisherigen Gelassenhe­it werden nun ernste Maßnahmen ins Auge gefasst. Wie die „Times“gestern, Freitag, berichtete, sucht man derzeit 4000 Beamte, die im Notfall herangezo- gen werden können. „Bitte melden Sie sich, wenn Sie sich in der Lage fühlen, unserer Verwaltung mit Arbeit zu helfen, die notwendig ist, um die Folgen eines No-Deal-Brexit so gering wie möglich zu halten“, hieß es. In Nordirland sollen Sicherheit­sbeamte an Tankstelle­n zum Einsatz kommen, um im Fall einer Panik die Befüllung von Einsatzdie­nsten sicherzust­ellen.

Für den Fall drohender Unruhen bei der Wiedereinf­ührung von Grenzkontr­ollen zwischen der Republik Irland und Nordirland sollen 1000 Polizeikrä­fte bereitgest­ellt werden. Die Exekutive warnt und entwarnt zugleich: „Derzeit haben wir keinen Grund zu glauben, dass eine derartige Maßnahme nötig ist, aber es scheint vernünftig, Vorsichtsm­aßnahmen zu treffen“, erklärte Polizeiche­f Mark Hamilton. Um Polizeisch­utz im Fall von Lebensmitt­elknapphei­t fragten auch schon Supermarkt­ketten in England an. Dabei dürfte es nicht nur um Grundnahru­ngsmittel gehen. Wie Landwirtsc­haftsminis­ter Michael Gove zuletzt warnte, könnten bei einem harten Brexit sogar die in England so geliebten MarsRiegel ausgehen.

 ?? [ Reuters ] ??
[ Reuters ]

Newspapers in German

Newspapers from Austria