Bei einem harten Brexit könnten Ostereier und Insulin ausgehen
Großbritannien. Die Warnungen vor den Auswirkungen eines harten Brexit werden dramatischer. Sogar ein Notdienst mit Beamten ist geplant.
Kurz vor der entscheidenden Unterhausabstimmung werden die Briten nun immer öfter mit den Auswirkungen eines harten Brexit konfrontiert. „Das Austrittsdatum (29. März, Anm.) ist wirklich verteufelt nahe bei Ostern“, warnte Razat Gaurav, Chef des Logistikunternehmens Llamasoft. „Für Süßwarenhersteller ist das einer der Höhepunkte im Jahr.“Daher sei es dringend geboten, „ausreichend Vorräte anzulegen“. Der Liberaldemokrat Tom Brake schloss messerscharf: „Wenn die Hersteller das nicht schaffen, wird es keine Ostereier geben.“Selbst dem hartnäckigsten Realitätsverweigerer beginnt 30 Monate nach dem Brexit-Votum zu dämmern, dass sich das Land auf eine nationale Krise zubewegt.
Die Regierung beginnt in allerletzter Sekunde, aktiv zu werden. Seit einigen Tagen laufen in Fernsehen und Radio Einschaltungen, bei denen etwa gefragt wird: „Werden meine Reisepläne betroffen sein, wenn wir die EU verlassen?“Worauf eine andere Stimme ertönt: „Es könnte auch sein, dass Sie Fragen haben, wie der Brexit Sie betreffen wird. Für aktuelle Neuigkeiten gehen Sie zu gov.uk/EUexit.“
Tatsächlich stehen die Briten vor ernsteren Fragen – etwa zum Gesundheitswesen, zur Medikamentenversorgung (z. B. Insulin) oder zu den Aufenthaltsrechten in der EU. Zudem warnt etwa der Supermarktriese Sainsbury’s: „Ein harter Brexit wird die Versorgungskette massiv stören.“Während man die Einlagerung von konservierbaren Gütern bereits deutlich vergrößert habe, drohe bei Frischgütern eine ernste Versorgungskrise. Großbritannien importiert 84 Prozent seines Verbrauchs an frischem Obst und Gemüse.
Ins Land kommen die Waren über den Ärmelkanal, wo allein im Hafen von Dover jedes Jahr 2,6 Millionen Lastautos abgefertigt werden. Nach einer Studie des University College London droht bei Ende des Freihandels mit der EU das totale Chaos: Zusätzliche Verzögerungen bei der Abfertigung von jeweils 60 Sekunden würden zu Staus von bis zu acht Stunden kumulieren, bei 70 Sekunden würde die Unterbrechung „bis zu einer Woche dauern“und bei mehr als 80 Sekunden gebe es „keine Rettung“mehr.
Die Autoindustrie muss bereits Tausende Arbeitsplätze einsparen und sieht ihre Zukunft im Land in Gefahr: „Uns drohen Verluste, die wir nicht stemmen können“, sagt Jaguar-/Land-Rover-Chef Ralf Speth. Eine Stauübung der Regierung zu Wochenbeginn wurde zu einer Farce. Dafür wurden drei Firmen ohne Ausschreibung für 100 Millionen Pfund beauftragt, „zusätzliche Kapazitäten“für den Ärmelkanal im Fall eines No-DealBrexit zu schaffen. Eine davon hat noch nie Fähren betrieben, ihre Webseite aber von einem Pizzaservice kopiert.
Entgegen der bisherigen Gelassenheit werden nun ernste Maßnahmen ins Auge gefasst. Wie die „Times“gestern, Freitag, berichtete, sucht man derzeit 4000 Beamte, die im Notfall herangezo- gen werden können. „Bitte melden Sie sich, wenn Sie sich in der Lage fühlen, unserer Verwaltung mit Arbeit zu helfen, die notwendig ist, um die Folgen eines No-Deal-Brexit so gering wie möglich zu halten“, hieß es. In Nordirland sollen Sicherheitsbeamte an Tankstellen zum Einsatz kommen, um im Fall einer Panik die Befüllung von Einsatzdiensten sicherzustellen.
Für den Fall drohender Unruhen bei der Wiedereinführung von Grenzkontrollen zwischen der Republik Irland und Nordirland sollen 1000 Polizeikräfte bereitgestellt werden. Die Exekutive warnt und entwarnt zugleich: „Derzeit haben wir keinen Grund zu glauben, dass eine derartige Maßnahme nötig ist, aber es scheint vernünftig, Vorsichtsmaßnahmen zu treffen“, erklärte Polizeichef Mark Hamilton. Um Polizeischutz im Fall von Lebensmittelknappheit fragten auch schon Supermarktketten in England an. Dabei dürfte es nicht nur um Grundnahrungsmittel gehen. Wie Landwirtschaftsminister Michael Gove zuletzt warnte, könnten bei einem harten Brexit sogar die in England so geliebten MarsRiegel ausgehen.