„Presse“wagt Unerhörtes: Was vom Glauben bleibt
Bemüht sich eine Zeitung um die Frage „Was ist christlich?“, dann wird das entweder peinlich oder es ist sehr mutig.
Die Presse“ist mutig. In ihrer Weihnachtsausgabe durchbricht sie den medialen Mainstream, in dem religionsnahe Themen nur im Zusammenhang mit kirchlichen Skandalen berührt oder zur Feiertagsidylle verkocht werden. Um nicht allzu gottgefällig zu wirken, wird die Artikelserie mit dem Appell eingeleitet: „Auch die Kirche muss Transparenz lernen. Die wichtigste Glaubensgemeinschaft auf dem Kontinent sollte Stabilität beweisen.“
Es geht der „Presse“um ernste Sachen in einer Zeit, über die die Schriftstellerin Nora Gomringer im Interview konstatiert, dass jemand, der über seinen Glauben redet, bei den meisten Mitmenschen so unangenehm auffalle, als stehe er in der Unterwäsche da. So viel zur Lage im christlichen Europa. „Presse“-Leser hatten Gelegenheit, mehr darüber zu erkunden.
*** Die „Spiegelschrift“ist eher in den Niederungen sachlicher Mängel daheim. Bei der Lektüre fallen einem manche Ausführungen auf, deren Sinn schwer zu durchschauen ist. Hilfreich wie Journalisten sind, ziehen sie Vergleiche, um den Lesern das Verstehen zu er- leichtern. Etwa so: „Die Mordrate in Brasilien ist gewaltig. 2017 wurden mehr als 63.000 Menschen getötet. Zum Vergleich: In Österreich lag die Zahl der Tötungsdelikte bei 54.“(2. 1.) Was soll das heißen?
Das ist ein sehr ungleicher Vergleich. Erst müsste man die Einwohnerzahl Brasiliens erkunden – es sind 209 Millionen –, diese den acht Millionen Österreichern gegenüberstellen und für beide Staaten die Neigung der Einwohner zur Schwerkriminalität ausrechnen und hätte damit noch immer kein brauchbares Ergebnis. Auch die Kombination von Prozentergebnissen mit anderen Rechenarten verwirrt: Man solle die Abgabenquote Richtung 40 Prozent senken, heißt es. „Derzeit liege man weltweit auf Platz sechs.“(14. 12.) Das bedeutet wieder nichts.
Lesend arbeite ich mich Richtung Silvester voran, ohne zu ahnen, dass mich eine Überraschung erwartet. Soeben grüble ich, wie oft die Zeitung im abgelaufenen Jahr beliebige Neuerungen in Wirtschaft, Kultur und Politik „eingeläutet“hat. So kündigen Journalisten nämlich gern ein neues Kapitel an, wie hier: „Hinter den Kulissen freilich hat bereits das Gerangel um die EU-Spitzenpositionen begonnen, das mit der Europawahl im Mai eingeläutet wird.“(21. 11.) Oder so: „Für Rapid wird am Sonntag mit dem Heimspiel gegen Sturm Graz das heiße Jahresfinish eingeläutet.“(8. 12.) Trotz aller Läuterei sind nie Glocken zu hören.