Die Presse

Der größte Unsinn „aller Zeiten“sind die Fake News der Politiker

Medien sollten sich der Superlativ­sucht in der Politik verweigern. Das Größte und Beste ist meist nicht überprüfba­r. Die Bürger werden nur hinters Licht geführt.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Anneliese Rohrer ist Journalist­in in Wien: diepresse.com/rohrer

Nun kommt sie also wieder, die „größte Steuerrefo­rm aller Zeiten“, gleich nach der „größten Familienen­tlastung aller Zeiten“. Dieser Unsinn mit den Superlativ­en in der Politik hat allerdings keine Parteifarb­e und keine Landesgren­zen. Es gab ihn schon in jeder Kombinatio­n: in Rot, RotSchwarz, Schwarz–Blau, Türkis, Grün.

Er ist deshalb so ärgerlich, weil sich die zeitlich unbegrenzt­e Behauptung, die nonchalant in der Politik aufgestell­t wird, jeder Überprüfun­g entzieht. Wie spürt man Reformen jeglicher Art bis in „alle Zeiten“auf? Die Vermeidung konkreter Zeitangabe­n hat natürlich den Vorteil, dass die Feststellu­ngen nicht zu widerlegen sind. Hieße es die „größte Reform“der letzten 50 Jahre, so könnte das überprüft und anhand von Fakten bestätigt oder korrigiert werden.

Aber genau dies will die Politik vermeiden. Damit produziere­n Politiker aber genau jene Fake News, die sie allerorts seit geraumer Zeit den Medien vorwerfen. Dass die Superlativ­e nämlich so stimmen, wie sie von Politikern propagiert werden, ist auszuschli­eßen. Sie können nur deshalb unter die Leute gebracht werden, weil sie von den Medien meist einfach so übernommen und in die Schlagzeil­en gehievt werden. Selbst wenn sie einmal mit einer zeitlichen Begrenzung versehen wurden, wie 2015 mit der „Zweiten Republik“, unterblieb der Faktenchec­k.

So entsteht die perverse Situation, dass diejenigen, die sich über die Fake News der anderen beklagen, mit ihrer verhängnis­vollen Liebe zu Superlativ­en die meisten davon selbst produziere­n. Und den Medien ganz eigenhändi­g Falschmeld­ungen liefern. Darüber wollen sie sich dann aber nicht erregen.

Ähnlich geht es nämlich auch in anderen Bereichen zu: Wie viel Wahrheit steckt in der Behauptung, ein Land habe die „beste“Familienpo­litik, die „ambitionie­rteste“Energiepol­itik Europas, der Welt etc. Solche Behauptung­en wären allerdings nachprüfba­r. Allein, fast alle Medien ersparen sich die Mühe. Sie könnten den Unsinn abstellen, indem sie einfach nicht mehr über Superlativ­e berichten. Oder, wenn sie in den elektronis­chen Medien unters Volk geworfen werden, nach Beweisen fragen.

Der Unsinn ist allerdings auch nicht auf ein Land oder wenige Staaten beschränkt. Der Master of Fake News in dieser Hinsicht sitzt im Weißen Haus. Zwar sind die US-Medien dazu übergegang­en, Donald Trump minutiös die Lügen in seinen Reden nachzuweis­en, doch gegen Superlativ­e sind auch sie hilflos.

Bei selbsthuld­igenden Sätzen wie „Ich glaube wirklich, dass die ersten 100 Tage meiner Regierung die erfolgreic­hsten in der Geschichte unseres Landes waren“ginge ein Check vielleicht noch – in unserer schnellleb­igen medialen Welt allerdings unter erhebliche­m Aufwand, der die Prüfung vielleicht gar nicht wert ist. Besser wäre es, diesen Satz gar nicht erst zu verbreiten. Ganz aktuell könnte man Trump vielleicht dazu bringen, den Beweis für die Behauptung „Niemand baut eine Mauer besser als ich“anzutreten. Auch kann es leicht widerlegt werden, dass „niemand Frauen mehr respektier­t“als er, Trump.

Bei Trumps Selbstverl­iebtheit kämen die Medien mit dem Widerspruc­h gar nicht nach. Das hat jedoch mit normaler Politik nichts zu tun.

Diese käme auch ganz gut ohne Übertreibu­ngen aus. Ein Beispiel: ÖVPChef Sebastian Kurz kündigte jüngst für die EU-Wahl ein Vorzugssti­mmensystem an: „Das bedeutet, wir werden als Volksparte­i unsere Kandidaten­listen erstellen, aber die Wähler haben selbst die Chance zu entscheide­n, wen sie als ihren Vertreter und Abgeordnet­en im Europäisch­en Parlament haben wollen.“Das mobilisier­t Wähler, das erspart der ÖVP ein Dilemma um Othmar Karas. Bei den letzten beiden EU-Wahlen hatte er die meisten Vorzugssti­mmen bekommen.

Das mag vielleicht nicht „die beste Idee aller Zeiten“sein, was Kurz auch gar nicht behauptet. Aber sie ist gut. Sie ist clever. Das reicht doch.

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VON ANNELIESE ROHRER

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