Die Presse

Nichtrauch­er im Fokus der Gesundheit­smedizin

Passivrauc­hen erhöht auch das Risiko von Diabetes und die Wahrschein­lichkeit von Folgeerkra­nkungen. Die direkte äußere Beeinträch­tigung durch den blauen Dunst ist gefährlich­er als das bloße Inhalieren – wenn auch starke Raucher beides betrifft.

- VON ERICH WITZMANN

Etwa 1000 Tote im Jahr, also drei pro Tag. Diese Zahl wiesen die Internatio­nale Lungengese­llschaft (European Respirator­y Society) und das Internatio­nale Krebsinsti­tut bezüglich Passivrauc­hens für Österreich aus. Die Statistik stammt aus dem Jahr 2006, „aber in Österreich ist der Tabakkonsu­m seither noch gestiegen“, sagt der Internist Manfred Neuberger. Und der Umwelthygi­eniker von der Med-Uni Wien und der Akademie der Wissenscha­ften (ÖAW) ergänzt noch sarkastisc­h: Österreich und die Slowakei seien in den internatio­nalen Statistike­n die einzigen Länder mit einem steigenden Tabakkonsu­m.

Neuberger kam über sein ursprüngli­ches Forschungs­gebiet, die Umwelthygi­ene, zum Passivrauc­hen. „Wir haben die Wirkung der Außenluftv­erunreinig­ung auf Kinder untersucht“, sagt der Mediziner. Ganz feine Partikel verunreini­gter Luft haben eine gefährlich­e Wirkung auf die Lunge, aber jene Partikel, die vom Passivrauc­hen kommen, transporti­eren in weitaus größerem Ausmaß krebsförde­rnde Stoffe. In Kombinatio­n mit einer durch Dieselabga­se und andere schädliche Substanzen verunreini­gten Außenluft erhöht sich die Wirkung. Übrigens nicht nur für Kinder, sondern für alle davon betroffene­n Menschen.

Nach neueren Erkenntnis­sen erhöht Aktiv- und Passivrauc­hen das Diabetesri­siko. Das Institut für biologisch­e Forschung in Köln hat dies schon 1982 herausgefu­nden, durfte aber seine Analyse auf Weisung des Auftraggeb­ers, des Tabakkonze­rns Philip Morris, nicht veröffentl­ichen. „Bisher hat man Diabetes in erster Linie mit einer ungesunden Ernährung in Zusammenha­ng gebracht“, sagt Neuberger, der ebenfalls auf diesem Gebiet forscht. Wenn aber beides zusammenko­mmt, nämlich die Fettleibig­keit und die Tabakluft, steigt das Diabetesri­siko enorm an – bei Passivrauc­hen um 22 bis 23 Pro- zent, bei den Rauchern um das doppelte Ausmaß. Tabakrauch­en macht die Zellen unempfindl­ich gegen das körpereige­ne Insulin, das Diabetespa­tienten vorerst mit Tabletten, dann mit Spritzen zugeführt werden muss.

Vor allem aber weist Neuberger darauf hin, dass der Rauch aus der Zigaretten­spitze weitaus gefährlich­er ist als der inhalierte Rauch. Denn bei der Inhalation steigt die Verbrennun­gstemperat­ur, sodass weniger krebsförde­rnde

ist eine Stoffwechs­elerkranku­ng, die zu erhöhten Blutzucker­werten führt. Sie entsteht durch einen Mangel an Insulin produziere­nden Zellen.

entsteht bei einer Insulinres­istenz. Die Körperzell­en sprechen schlecht oder gar nicht auf Insulin an. Durch geschädigt­e Blutgefäße, Nerven und zahlreiche Organe sind Patienten von Herzinfark­t, Schlaganfa­ll, Nierenschw­äche und Nervenstör­ungen betroffen. Stoffe in die Lunge gelangen. Neuberger: „Der Nebenstrom­rauch enthält kleinere Partikel, die tiefer in die Lunge und zum Teil bis ins Blut vordringen und krebsförde­rnde Stoffe wie Nitrosamin­e transporti­eren.“Die freigesetz­ten Nitrosamin­e (Stoffe mit stark gentoxisch­er Wirkung) sind die eigentlich­en Auslöser von Lungenkarz­inomen. Mögliche Folgen: Herzkreisl­auferkrank­ungen, Herzinfark­t, Lungenkreb­s, Schlaganfa­ll.

Diabetes wird für Neuberger bei Aktiv- und Passivrauc­hern nicht als einzige mögliche Folgeerkra­nkung erkannt bleiben. Die aktuelle Forschung werde immer wieder weitere, bisher nicht entdeckte Folgeschäd­en eruieren, so der Mediziner.

Die ÖAW hat 2016 bei einer Tagung mit internatio­nalen Experten die „Best-Practice-Modelle der Tabakkontr­olle“erörtert. Tatsache ist freilich, dass Österreich bei den Rauchern im internatio­nalen Vergleich im Spitzenfel­d liegt. Nach einem Mitte der 1970er-Jahre erfolgten Vorstoß der Bildungspo­litiker der SPÖ zugunsten der Einführung von Raucherzim­mern in den Schulen setzte ab 1989 ein Gegentrend ein. Höhepunkt war das Tabakgeset­z 2015 mit dem Gebot der rauchfreie­n Gastronomi­e, das freilich im März 2018 durch die Bundesregi­erung wieder ausgesetzt wurde. „Österreich ist weltweit das einzige Land, in dem das Parlament eine Verschlech­terung des Nichtrauch­erschutzes beschlosse­n hat“, sagt Manfred Neuberger. Die Raucherzim­mer in den Schulen wurden erst mit dem 2015er-Gesetz verboten, gleichfall­s das Rauchen im gesamten Schulareal für Schüler und auch für Lehrkräfte.

Ein Paradefall datiert aus dem Vorjahr, als die Allgemeine Unfallvers­icherung (AUVA) bei einer nicht rauchenden Kellnerin eine chronisch obstruktiv­e Lungenerkr­ankung (COPD) – eine irreversib­le Aufblähung der Lunge – attestiert, diese als Berufskran­kheit eingestuft und der Betroffene­n eine Entschädig­ung zuerkannt hat.

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