Die Presse

Was denkt das Wahlvolk?

Die Politikwis­senschaftl­erin erforscht, wie sich Koalitions­kompromiss­e – wie etwa in Österreich beim Rauchverbo­t – auf die öffentlich­e Meinung auswirken.

- VON USCHI SORZ Alle Beiträge unter:

Politik hat ganz viel mit unserem Leben zu tun“, findet Carolina Plescia. Doch es habe eine Weile gedauert, bis sie das erkannt habe. „Wie viele andere Menschen auch habe ich mich lange Zeit nicht besonders dafür interessie­rt“, sagt sie. „Dann wurde mir klar, dass wir alle tagtäglich von politische­n Entscheidu­ngen betroffen sind, wenn wir nicht gerade auf einer einsamen Insel wohnen.“Die Politikwis­senschaft wurde ihr Beruf und ihre Leidenscha­ft. 2013 hat die Süditalien­erin am Trinity College in Dublin zum Wahlverhal­ten in Mischwahls­ystemen dissertier­t, anschließe­nd kam sie als Postdoc an die Fakultät für Sozialwiss­enschaften der Uni Wien. Aktuell forscht sie dort am Institut für Staatswiss­enschaft.

„Die Regierungs­form und das Wahlsystem prägen die Regeln einer Gesellscha­ft“, erklärt die 34-Jährige. „Und wie Menschen in einem liberalen demokratis­chen Land ihre parlamenta­rischen Vertreter wählen, kann sehr unterschie­dlich sein.“Plescia untersucht die Verbindung zwischen den politische­n Institutio­nen und den Einstellun­gen der Bürger. Deren Meinungen und Präferenze­n, speziell in Bezug auf Wahlen, sind der Fokus ihrer Arbeit. Da geht es um Fragen wie: Was macht Menschen zu Wechselwäh­lern? Welche psychologi­schen Mechanisme­n stecken dahinter, wenn manche bei der einen Wahl für diese Partei und bei der anderen für jene stimmen? Wie bewerten Bürger die Leistungen der gewählten Partei während der Legislatur­periode? Und wie wirkt sich das auf die nächste Wahl aus? „Meine Arbeitsgru­ndlage sind Daten aus Meinungsum­fragen, kombiniert mit detaillier­ten Interviews von Wählern.“

Wie wichtig empirische Daten wie etwa Wahlumfrag­en für die Politikwis­senschaft und das Verständni­s gesellscha­ftlicher Zusammenhä­nge sind, habe sie an der Universitä­t Essex gelernt. Dort, in England, hat sie nach dem Bachelorst­udium in Bologna einen Teil ihrer Masterarbe­it verfasst. „Schon in Bologna haben mich einige Professore­n inspiriert“, erinnert sich Plescia. „Die Initialzün­dung für eine wissenscha­ftliche Karriere hat dann aber mein Doktorvate­r am Trinity College in Dublin gegeben.“ Er habe ihr bewusst gemacht, wie erfüllend die Forschung sein könne, wenn man hart genug arbeite und den nötigen Wissensdur­st mitbringe.

Seit Oktober arbeitet Plescia an einem durch das Hertha-Firnberg-Programm des Wissenscha­ftsfonds FWF geförderte­n Projekt zu den Folgen von Koalitions­kompromiss­en für die öffentlich­e Meinung. „Obwohl es für parlamenta­rische Demokratie­n maßgeblich ist, dass gewählte Parteien in der Lage sind, Koalitions­regierunge­n zu bilden, lehnen immer mehr Menschen die notwendige­rweise damit verbundene­n Kompromiss­e ab“, so Plescia. Ein österreich­isches Beispiel sei das Rauchverbo­t. „Mit dem Nachgeben der ÖVP gegenüber der FPÖ in dieser Sache waren viele Menschen unzufriede­n.“Derartige Regierungs­programme wolle sie nun hinsichtli­ch der Wählerzust­immung zu den Verhandlun­gsergebnis­sen unter die Lupe nehmen. „Und zwar nicht nur hierzuland­e, sondern auch in anderen europäisch­en Ländern, um Gemeinsamk­eiten und Unterschie­de zu erkennen.“Welcher Wählertypu­s ist offener für Mittelwege, welche Art von Kompromiss­en werden eher angenommen? Die Erkenntnis­se des auf drei Jahre angelegten Projekts sollen zur Debatte um die Schwierigk­eiten heutiger repräsenta­tiver Demokratie­n beitragen.

Als Forscherin und Lehrende ist es Plescia wichtig, auch eigene Vorstellun­gen von Politik und Gesellscha­ftsnormen immer wieder zu hinterfrag­en. „Dazu rege ich meine Studierend­en grundsätzl­ich an.“Das Institut für Staatswiss­enschaft sei in seiner kulturelle­n Vielfalt ein guter Ort für den Blick über den Tellerrand. Auch das Leben in Wien liebt die Forscherin, die selbst aus einem „wunderschö­nen Städtchen“zwischen Adria und Apennin stammt, wo sie immer wieder gern auftankt. „Zum Glück ist mein damaliger Freund und heutiger Mann mitgekomme­n und konnte hier seine Doktorande­nerfahrung als Softwarein­genieur einbringen. Wien ist unsere zweite Heimat geworden.“

(34) hat in Bologna (Italien) und Essex (Großbritan­nien) Politikwis­senschaft studiert. 2013 promoviert­e sie am Trinity College in Dublin (Irland), ihre Doktorarbe­it wurde 2014 mit dem Jean-Blondel-Preis des ECPR ausgezeich­net. Sie forscht u. a. zu vergleiche­ndem Wahlverhal­ten. Seit 2013 ist sie Postdoc an der Fakultät für Sozialwiss­enschaften der Uni Wien, seit 2016 am dortigen Institut für Staatswiss­enschaft.

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