Die Presse

Eine Frage der Schuhgröße

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EWer traf wen? Wer waren die Brüder? Wer schuf die bekanntest­e Oper nach diesem Stoff? Wem diente der Stoff als Vorlage für einen Zeichentri­ckfilm?

Qins muss bedacht werden: Jener Vorfall soll sich in längst vergangene­n Tagen zugetragen haben – in jener Zeit, als ein König noch unumschrän­kter Herrscher war. Der Kern der Handlung ist rasch erzählt: Eine allzu ehrgeizige, mit aller Macht gesellscha­ftlich nach oben strebende, bürgerlich­e Frau will ihre Töchter unbedingt im Herrscherh­aus sehen. Wie also die Töchter dort hineinbrin­gen?

Zwar scheinen beide Mädchen ansehnlich, aber der heiß begehrte Königssohn, der gerade durch das Land zieht auf der Suche nach der passenden Ehefrau, hat sich bereits in eine andere, eine gänzlich Unbekannte und scheinbar Unpassende verschaut. Der Groll der beiden Töchter ist nachvollzi­ehbar: Da plagten sie sich auf jede erdenklich­e Art und Weise, den ohnehin schon makellosen Teint noch makelloser zu gestalten, da zwängten sie sich in unbequeme Roben, um diesem adeligen Mannsbild zu gefallen – und was haben sie davon?

Er hat nur Augen für diese Unbekannte, die zwar prächtig gekleidet auftritt, aber zweifelhaf­ter Abstammung ist. Die Schwestern wagen zu hoffen: Die Unbekannte entschwind­et jede Nacht in die Dunkelheit und ward nicht mehr gesehen. Vielleicht auf immer? Doch die Hoffnung wird rasch zunichte gemacht: Der Königssohn ersinnt eine List, mithilfe welcher er seine Angebetete zu finden hofft. Dann zieht er abermals durchs Land – diesmal auf der Suche nach der Unbekannte­n, der seiner Meinung nach für ihn passenden zukünftige­n Ehefrau. Im Gepäck: ein Schuh. Nur jene Frau, der dieser Schuh passt, könne die Unbekannte sein, meint er.

Die Schwestern wittern eine letzte Chance: Wenn ihre Füße in den Schuh passen, können sie die Ehefrau des Königssohn­s werden. Was macht’s da schon, wenn sie sich hier ein Stück Ferse, da einen Zeh abschneide­n, um den Fuß in den schmalen Schuh zu zwängen?

Doch es kommt, wie es kommen muss: Das rechte Paar findet am Ende doch zueinander, und die beiden Selbstvers­tümmlerinn­en verlieren neben Teilen ihrer Füße sogar noch ihr Augenlicht. So haben es zwei Brüder überliefer­t; viele andere haben die Geschichte später nacherzähl­t.

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