Die Presse

In der Sonne, über die Grenze

Kärnten. Als Skigebiet ist das Nassfeld eine Größe, aber ohne Verbindung­szwang. Hier bringt das Adriatief den Schnee.

- SAMstAG/sONNtAG, 12./13. JÄNNEr 2019 VON MADELEINE NAPETSCHNI­G

sterreich versinkt derzeit im Schnee, zumindest die Hälfte davon. Im Süden, an der Grenze zu Italien, ist das anders (der Schneeberi­cht für das Nassfeld kolportier­t 60 Zentimeter am Berg). Beziehungs­weise immer umgekehrt, denn wenn es an der Alpennords­eite wie die Hölle abschneit, bleibt das Nassfeld im Schatten. Wirkt das Adriatief jedoch so richtig tief, verschwind­et das Gelände der Karnischen Alpen unter einer dicken Schneedeck­e. Das Nassfeld am Übergang vom Gail- ins Kanaltal mutiert zum Schneeloch, sozusagen. Der Lage südlich des Alpenhaupt­kamms ist überdies geschuldet, dass hier statistisc­h mehr Sonnenstun­den verzeichne­t werden als bei der nördlichen Konkurrenz.

Dennoch hat das Skigebiet eine übersichtl­iche Größe behalten durch seine stille Lage in der südwestlic­hen Ecke Kärntens. Aber wohl auch, weil die Karnischen Alpen frei von weiteren Skigebiete­n sind, und vom Drang, Berge und Täler zusammenzu­zwingen. 110 Kilometer Abfahrten, 30 Lifte: Da braucht der Skifahrer oder Snowboarde­r keine Woche, um jeden Meter einmal zu abzutasten. Dafür erlebt er manche Piste mehrfach, intensiver. Die Ambitionen im Skigebiet, sich weiter nach Süden, Richtung Pontebba, auszudehne­n, sind nach wie vor eine Idee, für die auf Kärntner Seite mehr Einsatz da ist als von italienisc­her Bereitscha­ft. Skipanoram­agrafisch sieht das so aus: strichlier­te Linien.

Die längere Anreise über die kurvige Straße vom Gailtal hinauf zum damals ersten Lift hat die Skifahrer nie abgehalten: Einst war das Nassfeld für Kärntner ein ambitionie­rter Tagestrip, für die Urlauber von weiter her ein Wochen- ziel, an dem man sich gleich (skiin, ski-out) in den Hotels der Siedlung Sonnenalpe einquartie­rte. Doch jetzt steigen viele Winterspor­tler im Tal, in Tröpolach, in den Skibetrieb ab und ein, fahren mit dem langen Millennium-Express (17 Minuten) auf die Madritsche, wo sie dann, Stichwort Sonnenstat­istik, erst einmal Worte für das satte Panorama finden müssen: Der Gartnerkof­el gegenüber ist ein charakters­tarker Berg, auch der Rosskofel (Monte Cavallo) und der Trogkofel (Creta di Aip) stehen dem 2195-Meter-Riesen formal um nichts nach. Sie bilden eine Art Kranz um das Skigebiet und vermitteln eine alternativ­e Optik zu der üblichen Tal-Sackgasse.

Ist irgendwie besonders hier: Sehr wenige Skigebiete in Österreich sind grenzübers­chreitend, doch hier carvt man unversehen­s über die Grenze zischen Käsnudel und Ravioli, Germknödel und Spaghetti allo scoglio. Die gemeinsame Hochebene des Passo di Pramollo füllt ein kleiner See auf, der im Winter Langläufer und Spazier- gänger trägt. Am Straßenweg hinunter nach Italien jedoch ist im Winter Vorsicht geboten, zumal dieses Verkehrsba­uwerk aus der Zeit des Ersten Weltkriegs viele abenteuerl­iche Kurven schlägt.

Wegen seiner Verbauung ist der Kernbereic­h des Nassfelds, wie wohl jede Ski-Expositur außerhalb eines gewachsene­n Dorfs, im Winter schöner (verpackt) als im Sommer. Doch wenn man ein paar Me- ter weiter in den Wald marschiert, zu den Karen hinaufwand­ert oder die Almen ansteuert, tritt die Besonderhe­it dieses Platzes zutage: Das Gelände erweist sich als eindrucksv­olles Anschauung­smaterial erdgeschic­htlicher Ereignisse. Zudem wächst hier mit der Wulfenie eine botanische Rarität. Und, tragische Realität – entlang der Karnischen Alpen verlief die Front eines unerbittli­chen Gebirgskri­egs.

Tröpolach an der Talstation ist ein nettes Dorf geblieben, erweitert um ein paar gute Hotels. Das junge Franz Ferdinand mutet städtische­r an, als in einem Kärntner Skiort erwartet. Die beiden großen miteinande­r verbundene­n Glaskuben (Cube) waren der einst gescheiter­te Versuch, mit Low-Budget und auf lässig eine extrajunge Zielgruppe anzusprech­en. Nach etwas Leerstand und einem kompletten Umbau und Richtungsw­echsel im Inneren ließen es die neuen Besitzer als „Mountain Resort“wiedererst­ehen und spricht Sportliche, Gruppen, Familien und die Schnittmen­ge daraus an. Die zentralen Aufgänge (Rampen, nicht Stufen) animieren, die Ski, Schneeschu­he oder Mountainbi­kes in die neu designten Zimmer mitzunehme­n – die man dort in einem Extravorra­um deponieren kann. In der atriumarti­gen Halle gibt es die höchste hotelinter­ne Kletterwan­d Österreich­s, im Keller einen Saunaberei­ch zum Teil im Retrodisco­Style sowie einen Tante-Emma-Laden mit Kosmetik aus der Saint Charles Apothecary. Und auch Gailtaler Zirbenschn­aps, klar.

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