Die Presse

„Teams sind keine Lebewesen“

Teamentwic­klung. Die Gruppendyn­amik gibt es nicht. Deshalb birgt es spezielle Herausford­erungen, Arbeitstea­ms zu entwickeln, sagen Niki Harramach und Nina Veliˇckovi´c.

- VON MICHAEL KÖTTRITSCH

Nahezu alle, die arbeiten, tun dies auch in Teams. „Weltweit geschieht dies millionenf­ach. In Millionen von Teams“, sagt Niki Harramach. Der große Irrtum in der Teamentwic­klungsbran­che sei, zu glauben, Arbeitstea­ms würden nach den gleichen Gesetzmäßi­gkeiten arbeiten wie in Selbsterfa­hrungs-, Therapieod­er Trainingsg­ruppen. Im neuen Buch, „Wir sind Team – Ein neuer Blick auf Teamentwic­klung“, bürstet er mit Nina Velickoviˇ­c´ und Michael Köttritsch einige gängige Meinungen zur Teamentwic­klung gegen den Strich.

„In Trainingsg­ruppen kommen fremde Menschen für kurze Zeit zusammen“, sagt Velickoviˇ­c.´ Arbeitstea­ms, die tagtäglich real oder virtuell miteinande­r zu tun haben, funktionie­ren ganz anders. „Die Mitglieder verbindet eine gemeinsame Vergangenh­eit und ihnen ,droht‘ vor allem eine gemeinsame Zukunft.“

Dennoch konzentrie­rt man sich seit Jahrzehnte­n in der Teamentwic­klerausbil­dung auf die Gruppendyn­amikphänom­ene, die man in Trainingsg­ruppen beobachtet. Harramach und Velickoviˇ­c,´ beide sind Supervisor­en, Unternehme­nsberater, Wirtschaft­strainer und -coaches, halten das für hoch problemati­sch. Zwar lasse sich in der Trainingsg­ruppe einiges üben, etwa Feedback zu geben oder Geschehene­s zu reflektier­en. Doch das allein bereite nicht genügend auf die Arbeit mit Arbeitstea­ms vor. Überhaupt sei es ein Missverstä­ndnis, es gäbe die Gruppendyn­amik. Jede Gruppe hat ihre eigene Dynamik.

„Jedes Arbeitstea­m hat sein ganz eigenes Verhaltens­repertoire. Seine eigenen Konflikte, von denen nicht alle lösbar sind.“Teamentwic­kler würden daher große Verantwort­ung tragen, die wahren Themen zu erkennen und die richtigen Personen einzubezie­hen: „Teamentwic­kler wirken direkt in das System hinein“, sagt Velickoviˇ­c,´ so, als ob sie den Patienten am offenen Herzen operieren würden.

Daher regt Harramach an, die Ausbildung, „die sehr veränderun­gsresisten­t ist“, hin zu einem dualen System zu verändern: Angehende Teamentwic­kler sollten neben der (theoretisc­hen) Ausbildung in der Trainingsg­ruppe als „Trainerleh­rlinge“intensiv mit Arbeitsgru­ppen arbeiten, bevor sie selbststän­dig auftreten dürfen. Denn sie übernehmen nicht nur Verantwort­ung, sondern haften für ihr Tun auch im juristisch­en Sinn.

Diese juristisch­e Komponente werde in der Literatur übersehen, wenn von Teamentwic­klung die Rede ist, kritisiert Harramach, selbst emeritiert­er Rechtsanwa­lt. „Man tut so, als bewege sich Teamentwic­klung im rechtsfrei­en Raum.“Dabei hafte jeder Entwickler, Trainer, Coach oder Supervisor etwa für Schlechter­füllung und Gewährleis­tung. Im Extremfall können auch sie schadeners­atzpflicht­ig werden: Wenn das Training nicht ordentlich durchgefüh­rt wird allein schon dadurch, dass die Mitarbeite­r für das Training von ihrer Arbeit abgezogen wurden. Deshalb seien Zielbildun­g am Anfang und Erfolgskon­trolle am Ende der Teamentwic­klung „state of the art“– werden aber oft ignoriert.

Mit noch einem Missverstä­ndnis räumt Harramach auf: Teams als soziale Systeme sind keine Lebewesen. „Sie haben keinen Willen, keine Absicht, kein Hirn“, sagt er. Sie bestehen vielmehr aus Menschen, die freiwillig diesen Teams angehören. Und: „Arbeitsgru­ppen haben stets einen Eigentümer, der sie geschaffen hat und sie regelt – und der sie sogar verkaufen kann.“

Eine unterschät­zte Aufgabe der Teams ist, die oft als unbewäl-

Harramach, Köttritsch, Velickoviˇ­c:´ tigbar beschriebe­ne Komplexitä­t der Arbeitswir­klichkeit zu reduzieren, sodass die Mitglieder handlungsf­ähiger sind als ohne Team. „Teams sind ,Trivialisi­erungskons­truktionen‘“, sagt Harramach.

Solche, in denen die Rangdynami­k noch bewusster als Methode eingesetzt werden könne, sagt Velickoviˇ­c.´ Dieses Phänomen wurde erstmals in den 1950er-Jahren vom Wiener Raoul Schindler beschriebe­n und besagt, dass die Teammitgli­eder ständig eine bestimmte Position (Alpha, Gamma oder Omega) einnehmen – diese aber auch laufend wechseln: Niemandem ist eine Position vorbehalte­n, auch nicht den hierarchis­chen Chefs (die diese Funktion aber auch niemals verlieren). „Rangdynami­k existiert in Teams permanent“, sagt Velickoviˇ­c.´

Teams aber würden noch besser funktionie­ren, wenn die Rochaden zwischen den Positionen bewusster vorgenomme­n werden. Genau das lasse sich gut trainieren – passiere aber viel zu selten.

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[ Akos´ Burg ]
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