„Der Weg, den ÖVP und FPÖ einschlagen, ist gut“
Die Steuerreform ist zugleich Pflicht und Kür der neuen Bundesregierung. Bis 2022 sollen insgesamt 6,3 Mrd. Euro bewegt werden.
Viele Details gibt es noch immer nicht, in groben Zügen steht die Steuerreform für die kommenden Jahre aber fest. 4,5 Milliarden Euro gehen an Kleinverdiener (700 Mio. Euro durch das Kürzen oder Streichen von Sozialversicherungsbeiträgen), an alle Steuerzahler, die mit einer Senkung der ersten drei Steuertarife entlastet werden (20, 30 und 40 Prozent statt 25, 35 und 42 Prozent) und an die Wirtschaft. Für „Die Presse“hat Margit Schratzenstaller, Steuer- und Budgetexpertin beim und stellvertretende Leiterin des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo, die Reform beurteilt.
1 Wie bedeutend ist diese Steuerreform – quantitativ und qualitativ?
Laut Margit Schratzenstaller liegt das Volumen der Steuerreform ungefähr auf der Höhe der anderen Steuerreformen der Vergangenheit. „Das ist eine nicht unwesentliche Entlastung für die Bürger“, meint die Expertin. Qualitativ sei eine Beurteilung zum jetzigen Zeitpunkt schwierig, weil man viele Details noch nicht kenne. Aber: „Der grundsätzliche Weg, den die ÖVP/FPÖ-Koalition mit der Reform einschlägt, ist gut.“
2 Setzt die Steuerreform die richtigen Akzente?
In einem ersten Schritt werden im kommenden Jahr die Geringverdiener entlastet, die kaum oder überhaupt keine Lohnsteuern bezahlen. Ihnen sollen deshalb die Beitragszahlungen an die Sozialversicherungen gekürzt oder ganz gestrichen werden. Hintergrund dieses Schritts ist auch: Die Regierung hofft, dass das Geld, das diese Einkommensschichten zusätzlich zur Verfügung haben, zum größten Teil wieder in den Konsum geht – und damit die Wirtschaft ankurbelt.
Schratzenstaller bezeichnet diese Vorgangsweise als den „absolut richtigen Schritt“. Es müsse insgesamt darum gehen, die niedrigen und mittleren Einkommen zu entlasten. Wie weit das gelingt, werde man vor allem mit der Tarifreform 2021 sehen.
3 Kommen ökologische Aspekte bei der Reform der Regierung zu kurz?
Kritiker bemängeln, dass die Steuerreform der Regierung keine oder nur wenige ökologische Aspekte habe. Der Ressourcenverbrauch werde kaum besteuert. Auch Schratzenstaller meint, dass man in diesem Bereich mehr machen könnte. „Es sind schon ökologische Anreize geplant, etwa bei verbrauchsarmen Fahrzeugen. Man könnte aber zusätzlich ökologisch problematische Steuerausnahmen im System streichen, von denen es viele gibt. Man könnte Ökosteuern auch dafür nützen, den Faktor Arbeit noch stärker von der Steuerlast zu befreien.“
4 Ist es enttäuschend, dass es nicht zu einem Gesamtumbau des Steuersystems kommt?
Immer wieder diskutierten Regierungen einen Umbau des Steuersystems: eine Erhöhung der Steuern auf den Verbrauch von Ressourcen, um im Gegenzug die Steuern auf die Arbeit zu senken. Ein anderes Beispiel wäre die deutliche Senkung der Einkommensteuer und im Gegenzug die Einführung von Vermögensteuern.
Die Wifo-Expertin meint, dass man diesen Gesamtumbau angehen sollte, um das System an die veränderten steuerlichen Gegebenheiten anzupassen. „Wann, wenn nicht im Rahmen einer solchen bedeuten- den Steuerreform“, sagt Schratzenstaller. Sie würde beispielsweise gern mehr ökologische Aspekte im österreichischen Steuersystem sehen. Das Problem sei, dass ein solcher Umbau Zeit brauche. „Dafür wäre ein langfristiges Programm mit klar definierten Meilensteinen notwendig, damit die Menschen und die Unternehmen die Möglichkeit haben, sich darauf einzustellen und ihre Gewohnheiten und ihre Arbeitsweise an die neuen Gegebenheiten anzupassen.“
5 Gibt es internationale Steuervorbilder, an denen sich Österreich orientieren könnte?
Gerade bei den Ökosteuern hätten manche Länder schon sehr früh angesetzt. „Island etwa, Schweden oder auch Dänemark“, erklärt Schratzenstaller. Auch in Deutschland habe es in Zeiten der rot-grünen Koalition Maßnahmen gegeben.
Wie ein ideales Steuersystem aussehen würde? Schratzenstaller: „Eines, das auf jeden Fall die Arbeit steuerlich schonend behandelt. Es sollte auch intensiv Lenkungssteuern nützen – um etwa die Umwelt zu schützen oder auch, um das individuelle Verhalten der Menschen mit Steuern auf Tabak und Alkohol zu beeinflussen.“
Ein Steuersystem müsse auch transparent und wenig komplex sein, damit die Menschen wissen, wofür ihr Geld verwendet wird. Auch verteilungspolitische Aspekte hält Schratzenstaller für wichtig.
Man könnte Ökosteuern dafür nützen, den Faktor Arbeit noch stärker zu entlasten. Margit Schratzenstaller Budget- und Steuerexpertin Wifo