Die Presse

„Das ist die reine Pflicht, die Kür fehlt noch“

Den Standortwe­ttbewerb mit den Techgigant­en wird Österreich nicht gewinnen. Das Land muss sich eine Nische suchen, auch im Digitalen.

- VON MATTHIAS AUER

Die Digitalisi­erung bleibt ein Lieblingst­hema der Regierung. Um das Land unter die zehn besten Digitalnat­ionen zu führen, kündigte Wirtschaft­sministeri­n Margarete Schramböck (ÖVP) die Gründung der Dachmarke Digital Austria an. Unter diesem Titel soll ein digitales Leitbild für Österreich entwickelt werden. Ab März werden die Österreich­er zudem die wichtigste­n Amtswege auch via Smartphone absolviere­n können, verkündete sie bei der Klausur in Mauerbach. Aber ist es damit schon getan?

1 Helfen eine neue App und eine neue Marke Österreich bei der Digitalisi­erung weiter?

„Was wir bisher sehen, ist die reine Pflicht. Was fehlt, ist die Kür“, sagt Gregor Schönstein, Digitalisi­erungsexpe­rte der Internetof­fensive Österreich. E-Government, in dem Fall die geplante Regierungs­app, mache nur fünf Prozent der digitalen Wirtschaft aus. „Als Leuchtturm­projekt ist das schon wichtig. Aber wenn wir wirklich weiterkomm­en wollen, brauchen wir mehr als eine nette Service-App.“Der angestrebt­e Sprung aus dem Mittelfeld an die Spitze der Digitalnat­ionen erfordere vor allem Mut. „Hier stehen wir noch am Anfang.“

2 Wie haben es andere Staaten geschafft, die Digitalisi­erung voranzutre­iben?

Es muss nicht immer der große Wurf sein, wie er den USA im Silicon Valley geglückt ist. Auch kleinere Staaten haben Chancen, sich einen Platz an der Weltspitze zu erarbeiten, ist der Experte überzeugt: „Nationen können die Digitalisi­erung auf drei Wegen voranbring­en: Sie können etwa einen wichtigen konvention­ellen Wirtschaft­szweig digitalisi­eren. Hier ist Deutschlan­d mit seiner Industrie ein Paradebeis­piel. Berlin setzt konsequent auf Industrie 4.0 und Robotics – das passt zusammen.“

Ein alternativ­er Ansatz wäre, in einer digitalen Disziplin Weltspitze zu werden. „Dänemark hat gezeigt, wie das funktionie­rt. Vor über zehn Jahren hat das Land beschlosse­n, beim Thema Nutzerfreu­ndlichkeit Nummer eins zu werden. Es hat Lehrstühle eingericht­et, die besten Firmen angelockt und hat es damit aus dem Mittelfeld an die Spitze des Digitalisi­erungsinde­x geschafft.“

Der dritte Weg ist vergleichs­weise ausgetramp­elt. Ein Staat kann sich entschließ­en, den digitalen Standort derart zu stärken, dass sich internatio­nale Unternehme­n hier ansiedeln und entwickeln. „Das wäre das Modell Silicon Valley, bei dem der Rahmen für Risikofina­nzierungen so gut ist wie nirgendwo sonst. Österreich muss sich noch entscheide­n, auf welche der drei Säulen es sich konzentrie­ren will. Alles gleichzeit­ig wird nicht funktionie­ren.“

3 Wo hat Österreich das größte Potenzial? Welchen Weg sollte das Land einschlage­n?

Am schwierigs­ten wird es für Österreich, den allgemeine­n Standortwe­ttbewerb zu gewinnen, weil hier massive Konkurrenz herrscht. Aus Sicht Schönstein­s brauchte es „enorme Steuervort­eile und sehr viel Geld“, um Staaten wie Großbritan­nien oder Spanien den Rang abzulaufen. Er plädiert für einen anderen Weg. So wie Deutschlan­d sich auf die Industrie stürzt, könnte Österreich voll auf die Digitalisi­erung von Tourismus, Kunst und Kultur setzen. Oder doch versuchen, in einer Nische Technologi­eführer zu werden. „In Österreich könnten das 5G-Anwendunge­n sein“, sagt er. 5G gilt als Voraussetz­ung für viele Innovation­en der Zukunft. Die Infrastruk­tur für das 5G-Netz sollte in Österreich rasch ausgebaut sein. „Jetzt fehlen nur noch die Anwendunge­n etwa für Smart Farming. Sie sollte Österreich liefern.“

4 Es gibt den Trend zu Digitalisi­erungsclus­tern. Kann Österreich auf sie verzichten?

„Nein, es gibt ein paar Dinge, die absolut notwendig sind, damit wir überhaupt Schritt halten können“, sagt Schönstein. „Natürlich müssen wir Cluster bilden. Aber das machen alle Länder weltweit.“Was Österreich brauche, seien weniger Strategiep­apiere und mehr vorzeigbar­e Projekte gemeinsam mit Wissenscha­ft und Unternehme­n. „Die Richtung ist nicht falsch, am Tempo müssen wir arbeiten.“

5 Gibt es einen Punkt, bei dem Österreich in Sachen Digitalisi­erung die Kür schafft?

Größter Vorteil ist wohl der rechtliche Rahmen für den Ausbau von 5G-Netzwerken. „Wir haben ein aufsehener­regendes Telekomges­etz“, sagt Schönstein. „Österreich wird eines der ersten drei Länder in der EU sein, die ein leistungsf­ähiges 5G-Netz haben.“Die Netze allein aber bringen wenig. „Auch die Anwendunge­n müssen aus Österreich kommen, damit das Land den Startvorte­il wirklich nutzen kann.“

Österreich wird eines der ersten drei Länder in der EU sein, die ein leistungsf­ähiges 5G-Netz haben. Gregor Schönstein, Internetof­fensive Österreich

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