Die Presse

Kurz bleibt bei Kritik an Wien

Pressestun­de. Der Bundeskanz­ler bekräftigt­e seine Kritik am politische­n Weg Wiens, verteidigt­e die Mindestsic­herung und die Steuerrefo­rm. Von den FPÖ-Aussagen zur Caritas hält er nichts.

- VON ANNA THALHAMMER

Der Bundeskanz­ler bekräftigt­e in der ORF-„Pressestun­de“Kritik am politische­n Weg Wiens. Von den FPÖ-Aussagen zur Caritas hält er nichts.

Wien. Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hatte am Sonntag offenbar Redebedarf. ORF-Innenpolit­ik-Chef Hans Bürger und „Kleine Zeitung“-Chefredakt­eur Hubert Patterer hatten ihre liebe Not, Fragen anzubringe­n. Kurz fiel ihnen immer wieder ins Wort und unterbrach ihre Ausführung­en mit „lassen Sie mich kurz ausführen“.

Zu Beginn wurde diskutiert, wann Kurz am Sonntag aufgestand­en sei. „Früh“, sagte er – und das, obwohl es eigentlich sein freier Vormittag sei. Er verteidigt­e seine umstritten­e Aussage, wonach in Wien immer weniger Menschen in der Früh aufstehen, um arbeiten zu gehen. Er sei viel in Wien unterwegs, und da gebe es immer wieder Familien, in denen Kinder allein in der Früh aufstehen und ohne Jause in die Schule gehen müssten. Ähnliche Aussagen habe auch Wiens Stadtschul­rat, Jürgen Czernohors­zky (SPÖ), schon getätigt.

Seitens der rot-grünen Regierung hatte Kurz für seine „Aufstehen“-Aussage einen Sturm der Entrüstung geerntet. Kurz ließ das unbeeindru­ckt, er wiederholt­e seine Kritik am politische­n Weg Wiens: Er habe ein Problem mit dem Wiener Modell, in dem immer mehr Menschen „in die Abhängigke­it“geraten würden. Die Arbeitslos­igkeit sei hier fast drei Mal so hoch wie in Tirol.

Patterer fragte, ob Kurz es wirklich „fair“finde, die einzige Großstadt Österreich­s mit dem ländlichen Raum zu vergleiche­n. Immerhin gebe es hier ganz andere Herausford­erungen. Er nannte Obdachlosi­gkeit und die hohe Zahl an anerkannte­n Asylwerber­n als Beispiele – Kurz ging darauf kaum ein.

Verhärtete Fronten

Zuletzt hatten sich die Fronten zwischen Bund und Wien verhärtet – auch in der Frage der Mindestsic­herung. Sozialstad­trat Peter Hacker (SPÖ) hatte angekündig­t, das vom Bund vorgeschri­ebene Modell nicht umsetzen zu wollen. Er bezweifle, dass es überhaupt verfassung­skonform sei.

Kurz verteidigt­e die geplanten Maßnahmen. Er brachte das Beispiel eines Verkäufers, der mit drei Kindern derzeit weniger bekomme als ein Migrant in selbiger Konstellat­ion mit Mindestsic­herung. „Jemand, der arbeiten geht, bekommt ja auch nicht mehr Geld, nur weil er Kinder hat.“Sein Menschenbi­ld sei ein anderes. Und zwar, dass Menschen selbstbest­immt leben können und von ihrer Arbeit eine Familie ernähren können sollen. Auf das Argument, dass ein Großteil der Mindestsic­herungsbez­ieher sogenannte Aufstocker seien – also solche, die ein Einkommen haben, von dem sie aber nicht leben können –, ging Kurz nicht ein.

SPÖ-Sozialspre­cher Josef Muchitsch konterte per Aussendung: Kürzungen bei den Ärmsten seien keine Beschäftig­ungspoliti­k. „Bei 70.000 offenen Stellen und 380.000 Arbeitslos­en findet niemand einen Arbeitspla­tz, nur weil ein Kind jetzt von 1,50 Euro pro Tag leben muss“, so Muchitsch.

Kritik an der Kürzung der Mindestsic­herung gab es zuletzt auch von der Caritas – diese wurde ihrerseits wiederum heftig von der FPÖ attackiert. Generalsek­retär Christian Hafenecker sprach von „Profitgier“und der „Asylindust­rie“, der die Caritas angehöre.

„Ich halte von diesen Aussagen und der aggressive­n Wortwahl gar nichts“, sagte Kurz. Inhaltlich halte er Landaus Aussagen zur Mindestsic­herung aber nicht für sinnvoll.

Ein Thema, das intensiv diskutiert wurde, war die Steuerrefo­rm. Kurz wurde gefragt, warum die kal- te Progressio­n, die dem Staat jedes Jahr eine Milliarde Euro hineinspül­t, erst 2023 abgeschaff­t werde.

Und ob die Steuerentl­astung darum nicht nur ein „Taschenspi­elertrick“sei, weil sich die Steuerzahl­er die Entlastung dadurch quasi selbst finanziere­n würden. „Die kalte Progressio­n abzuschaff­en ist wichtig und richtig, aber wir können nicht alles auf einmal machen“, sagte Kurz. Kritik an der Steuerrefo­rm hagelte es auch von der Opposition. Die SPÖ nannte sie „zu wenig und zu unambition­iert“. Die Liste Jetzt sprach von „Unehrlichk­eit“.

Kandidaten­suche

Für die EU-Wahl im Mai werde die ÖVP ihre Liste „sehr zeitnah“noch im Jänner oder Februar präsentier­en. Kurz unterstric­h, dass es ein Vorzugssti­mmensystem geben werde, mit dem eine Liste vorgegeben werde, wobei die Wähler aber mit ihren Vorzugssti­mmen Abgeordnet­e bestimmen können. Ob sich auf der Wahlliste ein Regierungs­mitglied (Staatssekr­etärin Karoline Edtstadler) befinden werde, beantworte­te Kurz mit „vielleicht, vielleicht auch nicht“. Auch, ob Othmar Karas Spitzenkan­didat werden wird, ließ er offen.

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[ Arno Melicharek ] Sebastian Kurz war in der ORF-Pressestun­de zu Gast und stellte sich den Fragen von Hans Bürger (l.) und Hubert Patterer.

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