Ohne Baby keine Ehe?
Heiratschancen. Eine Frau kann nach einem Arztfehler keine Kinder bekommen und forderte Ersatz wegen verminderter Ehemöglichkeiten. Diese Entschädigung gebe es aber nur bei einer wahrnehmbaren Verunstaltung, sagt das Höchstgericht.
Eine Frau kann nach einem Arztfehler keine Kinder bekommen und forderte Ersatz wegen verminderter Ehemöglichkeiten.
Wien. „Ist die verletzte Person durch die Mißhandlung verunstaltet worden; so muß, zumahl wenn sie weiblichen Geschlechtes ist, in so fern auf diesen Umstand Rücksicht genommen werden, als ihr besseres Fortkommen dadurch verhindert werden kann.“
So steht es seit dem Jahr 1812 im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB). Und seither wird immer wieder darum prozessiert, wann eine sogenannte Verminderung der Heiratsfähigkeit vorliegt. In einem aktuellen Fall hatte das Landesgericht Linz einer jungen Frau, die nach einem Arztfehler keine Kinder bekommen kann, verminderte Ehechancen attestiert und auch eine Entschädigung dafür zugesprochen. Doch aus dieser wird nun doch nichts, wie der Oberste Gerichtshof (OGH) klarstellt.
2001 war die spätere Klägerin mit einer urogenitalen Fehlbildung geboren worden. Drei Jahre später sollte eine Operation helfen. Doch statt eines Harnleiterstumpfs entfernte der Arzt benachbarte Anteile des Gebärmutterhalses und der Scheidenwand. Durch Wundheilung und Vernarbung kam es zum Verschluss zwischen den beiden Organen und zur Unfruchtbarkeit der Frau.
Es gäbe zwar die Möglichkeit, die Unfruchtbarkeit zu beheben, aber das wäre mit Risken verbunden. Und selbst wenn der Eingriff gelänge, wären nur Risikoschwangerschaften möglich.
Nun hat die Frau jedenfalls ein Anrecht auf Schmerzengeld für das Leid, das sie durch den fehlerhaften ärztlichen Eingriff erlitten hat. Dabei geht es um eine Abgeltung für die körperlichen und seelischen Folgen. Die junge Frau hatte zunächst mit unklaren Menstruationsbeschwerden gekämpft und muss, nachdem nun die Ursache klar ist, mit dem Wissen um die Unfruchtbarkeit leben. Das zweitinstanzliche Oberlandesgericht (OLG) Linz hielt dafür einen Pauschalbetrag von 25.000 Euro für angemessen.
Doch die 10.000 Euro, die die junge Frau zusätzlich wegen Verminderung der Heiratschancen vom Spital des Arztes forderte, wollte ihr bereits das OLG nicht mehr zusprechen. Zwar könne sich die Unfruchtbarkeit potenziell negativ auf die Heiratsaussichten auswirken. Aber das nach außen hin nicht sichtbare Problem sei keine Verunstaltung, meinte das OLG. Es erlaubte aber der Frau, den Fall noch vors Höchstgericht zu bringen.
Gesetz bisher weit ausgelegt
Nun steht im Gesetz tatsächlich das Wort „verunstaltet“. Doch ganz so strikt hat es die Judikatur in der Vergangenheit mit dem Wortlaut nicht genommen. So wurde in den 1970er-Jahren entschieden, dass aus gleichheitsrechtlichen Gründen auch Männer eine Entschädigung für verminderte Heiratsaussichten vom Schädiger erhalten. Selbst wenn das Gesetz von 1812 nur vom weiblichen Geschlecht spricht.
Auch der Begriff der Verunstaltung wurde von der Judikatur breit gefasst. Nicht nur äußerliche Veränderungen im Gesicht oder der Verlust von Bein oder auch Fingerglied wurden als Verunstaltungen gewertet. Sondern auch Stottern, Zittern, Taubheit oder Stuhlinkontinenz fielen unter den Begriff.
Nicht als Verunstaltung anerkannt wurde eine „unbedeutende Narbenbildung“. Umgekehrt machten die Gerichte klar, dass nicht gleich ein „abstoßendes, abscheuerregendes und mitleiderweckendes Aussehen“vorliegen muss, damit man Geld für verminderte Heiratschancen erhält. Und Ersatz darf auch fordern, wer bereits berufstätig ist. Denn durch eine Verehelichung könne sich die wirtschaftliche Situation einer Person ja noch weiter verbessern, wie die Gerichte klarmachten. Nur wer schon verheiratet ist, kann laut Judikatur keinen Ersatz wegen verminderter Ehechancen mehr fordern.
Nun geht es im aktuellen Fall um ein Geschlechtsorgan. Auch diesbezüglich lässt sich Rechtsprechung finden, etwa zu einem Bauernsohn, der in den 1980er-Jahren als 13-jähriger Skifahrer durch ein Pistengerät schwer verletzt wurde. „Gerade der wegen der Verstümmelung seines Geschlechtsteiles zu befürchtende gänzliche Verlust der Heiratsaussichten kann bei einem Landwirtssohn zu erheblichen finanziellen Nachteilen führen“, hatte der OGH damals gemeint. Er sprach eine Entschädigung zu.
OGH: Muss sinnlich wahrnehmbar sein
Im aktuellen Fall berief sich die Klägerin aber nicht darauf, dass die Unfruchtbarkeit der Frau mit der erektilen Impotenz eines Mannes gleichzusetzen wäre. Sehr wohl machte sie jedoch ihre psychische Belastung im Zusammenhang mit einer zukünftigen Partnerschaft geltend.
Das aber reiche nicht aus, um wegen Minderung der Heiratschancen eine Abgeltung zu bekommen, erklärte der OGH. Solche Probleme seien bloß bei der Bemessung des Schmerzengelds zu berücksichtigen.
Denn selbst „bei weiter Auslegung des Begriffs der Verunstaltung muss eine Beeinträchtigung der äußeren Erscheinung des Geschädigten gegeben sein, die in irgendeiner Form auch sinnlich wahrgenommen werden kann“, betonte der OGH. „Das ist bei einer auf einer Veränderung im Körperinneren beruhenden ,Unfruchtbarkeit‘ für sich genommen nicht der Fall“, erklärten die Höchstrichter (1 Ob 214/18d).
Die Frau erhält somit keine Entschädigung wegen verminderter Heiratsaussichten, sondern nur Schmerzengeld. Und dieses sei mit 25.000 Euro auch nicht zu niedrig bemessen, fand der OGH. Zwar hatte die Klägerseite geltend gemacht, dass die Folgen des Arztfehlers auch für die Mutter der jungen Frau belastend seien. Das sei verständlich, spiele aber für den Schadenersatz der Tochter keine Rolle, entgegnete der OGH.