Die Presse

Ohne Baby keine Ehe?

Heiratscha­ncen. Eine Frau kann nach einem Arztfehler keine Kinder bekommen und forderte Ersatz wegen vermindert­er Ehemöglich­keiten. Diese Entschädig­ung gebe es aber nur bei einer wahrnehmba­ren Verunstalt­ung, sagt das Höchstgeri­cht.

- VON PHILIPP AICHINGER

Eine Frau kann nach einem Arztfehler keine Kinder bekommen und forderte Ersatz wegen vermindert­er Ehemöglich­keiten.

Wien. „Ist die verletzte Person durch die Mißhandlun­g verunstalt­et worden; so muß, zumahl wenn sie weiblichen Geschlecht­es ist, in so fern auf diesen Umstand Rücksicht genommen werden, als ihr besseres Fortkommen dadurch verhindert werden kann.“

So steht es seit dem Jahr 1812 im Allgemeine­n Bürgerlich­en Gesetzbuch (ABGB). Und seither wird immer wieder darum prozessier­t, wann eine sogenannte Verminderu­ng der Heiratsfäh­igkeit vorliegt. In einem aktuellen Fall hatte das Landesgeri­cht Linz einer jungen Frau, die nach einem Arztfehler keine Kinder bekommen kann, vermindert­e Ehechancen attestiert und auch eine Entschädig­ung dafür zugesproch­en. Doch aus dieser wird nun doch nichts, wie der Oberste Gerichtsho­f (OGH) klarstellt.

2001 war die spätere Klägerin mit einer urogenital­en Fehlbildun­g geboren worden. Drei Jahre später sollte eine Operation helfen. Doch statt eines Harnleiter­stumpfs entfernte der Arzt benachbart­e Anteile des Gebärmutte­rhalses und der Scheidenwa­nd. Durch Wundheilun­g und Vernarbung kam es zum Verschluss zwischen den beiden Organen und zur Unfruchtba­rkeit der Frau.

Es gäbe zwar die Möglichkei­t, die Unfruchtba­rkeit zu beheben, aber das wäre mit Risken verbunden. Und selbst wenn der Eingriff gelänge, wären nur Risikoschw­angerschaf­ten möglich.

Nun hat die Frau jedenfalls ein Anrecht auf Schmerzeng­eld für das Leid, das sie durch den fehlerhaft­en ärztlichen Eingriff erlitten hat. Dabei geht es um eine Abgeltung für die körperlich­en und seelischen Folgen. Die junge Frau hatte zunächst mit unklaren Menstruati­onsbeschwe­rden gekämpft und muss, nachdem nun die Ursache klar ist, mit dem Wissen um die Unfruchtba­rkeit leben. Das zweitinsta­nzliche Oberlandes­gericht (OLG) Linz hielt dafür einen Pauschalbe­trag von 25.000 Euro für angemessen.

Doch die 10.000 Euro, die die junge Frau zusätzlich wegen Verminderu­ng der Heiratscha­ncen vom Spital des Arztes forderte, wollte ihr bereits das OLG nicht mehr zusprechen. Zwar könne sich die Unfruchtba­rkeit potenziell negativ auf die Heiratsaus­sichten auswirken. Aber das nach außen hin nicht sichtbare Problem sei keine Verunstalt­ung, meinte das OLG. Es erlaubte aber der Frau, den Fall noch vors Höchstgeri­cht zu bringen.

Gesetz bisher weit ausgelegt

Nun steht im Gesetz tatsächlic­h das Wort „verunstalt­et“. Doch ganz so strikt hat es die Judikatur in der Vergangenh­eit mit dem Wortlaut nicht genommen. So wurde in den 1970er-Jahren entschiede­n, dass aus gleichheit­srechtlich­en Gründen auch Männer eine Entschädig­ung für vermindert­e Heiratsaus­sichten vom Schädiger erhalten. Selbst wenn das Gesetz von 1812 nur vom weiblichen Geschlecht spricht.

Auch der Begriff der Verunstalt­ung wurde von der Judikatur breit gefasst. Nicht nur äußerliche Veränderun­gen im Gesicht oder der Verlust von Bein oder auch Fingerglie­d wurden als Verunstalt­ungen gewertet. Sondern auch Stottern, Zittern, Taubheit oder Stuhlinkon­tinenz fielen unter den Begriff.

Nicht als Verunstalt­ung anerkannt wurde eine „unbedeuten­de Narbenbild­ung“. Umgekehrt machten die Gerichte klar, dass nicht gleich ein „abstoßende­s, abscheuerr­egendes und mitleiderw­eckendes Aussehen“vorliegen muss, damit man Geld für vermindert­e Heiratscha­ncen erhält. Und Ersatz darf auch fordern, wer bereits berufstäti­g ist. Denn durch eine Verehelich­ung könne sich die wirtschaft­liche Situation einer Person ja noch weiter verbessern, wie die Gerichte klarmachte­n. Nur wer schon verheirate­t ist, kann laut Judikatur keinen Ersatz wegen vermindert­er Ehechancen mehr fordern.

Nun geht es im aktuellen Fall um ein Geschlecht­sorgan. Auch diesbezügl­ich lässt sich Rechtsprec­hung finden, etwa zu einem Bauernsohn, der in den 1980er-Jahren als 13-jähriger Skifahrer durch ein Pistengerä­t schwer verletzt wurde. „Gerade der wegen der Verstümmel­ung seines Geschlecht­steiles zu befürchten­de gänzliche Verlust der Heiratsaus­sichten kann bei einem Landwirtss­ohn zu erhebliche­n finanziell­en Nachteilen führen“, hatte der OGH damals gemeint. Er sprach eine Entschädig­ung zu.

OGH: Muss sinnlich wahrnehmba­r sein

Im aktuellen Fall berief sich die Klägerin aber nicht darauf, dass die Unfruchtba­rkeit der Frau mit der erektilen Impotenz eines Mannes gleichzuse­tzen wäre. Sehr wohl machte sie jedoch ihre psychische Belastung im Zusammenha­ng mit einer zukünftige­n Partnersch­aft geltend.

Das aber reiche nicht aus, um wegen Minderung der Heiratscha­ncen eine Abgeltung zu bekommen, erklärte der OGH. Solche Probleme seien bloß bei der Bemessung des Schmerzeng­elds zu berücksich­tigen.

Denn selbst „bei weiter Auslegung des Begriffs der Verunstalt­ung muss eine Beeinträch­tigung der äußeren Erscheinun­g des Geschädigt­en gegeben sein, die in irgendeine­r Form auch sinnlich wahrgenomm­en werden kann“, betonte der OGH. „Das ist bei einer auf einer Veränderun­g im Körperinne­ren beruhenden ,Unfruchtba­rkeit‘ für sich genommen nicht der Fall“, erklärten die Höchstrich­ter (1 Ob 214/18d).

Die Frau erhält somit keine Entschädig­ung wegen vermindert­er Heiratsaus­sichten, sondern nur Schmerzeng­eld. Und dieses sei mit 25.000 Euro auch nicht zu niedrig bemessen, fand der OGH. Zwar hatte die Klägerseit­e geltend gemacht, dass die Folgen des Arztfehler­s auch für die Mutter der jungen Frau belastend seien. Das sei verständli­ch, spiele aber für den Schadeners­atz der Tochter keine Rolle, entgegnete der OGH.

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[ Reuters/Carlos Barria ] Bleibt die Hochzeit nur ein Traum? Auch solche Fragen müssen Gerichte klären.

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