Die Presse

„Es gibt keinen Spaß ohne Grenzen“

Literatur. Oliver Scherz, einer der besten Kinderbuch­autoren, über nicht lesende Buben (wie er einer war), den Unterschie­d zwischen liebevoll und lieblich – und warum er seine Bücher nicht für multimedia­le Amazon-Geräte hergibt.

- MONTAG, 14. JÄNNER 2019 VON ANNE-CATHERINE SIMON

Manchmal braucht es eben die seltsamste­n Zufälle und verwinkelt­sten Ideen, damit sich am Ende alles richtig zusammenfü­gt“, heißt es gegen Ende seines demnächst erscheinen­den neuen Buchs „Drei Helden für Mathilda“(Thienemann-Verlag; drei Kuscheltie­re suchen in der Stadt nach ihrer Besitzerin). Es wäre ein gutes Motto für all seine Geschichte­n. Oliver Scherz, 2014 mit „Wir sind nachher wieder da, wir müssen kurz nach Afrika“und „Ben“fast über Nacht bekannt geworden, hat seitdem gleich etliche der schönsten deutschspr­achigen Kinderbüch­er beigesteue­rt, von „Schabalu“bis zuletzt „Ein Freund wie kein anderer“. Seine Bücher für Fünf- bis Zwölfjähri­ge, vor allem zum Vorlesen gedacht, sind abendliche Familiener­eignisse. „Die Presse“traf ihn in Wien.

Die Presse: Waren Sie schon im Wiener Wurstelpra­ter? Auch dort findet man in manchen Ecken die geisterhaf­te Atmosphäre eines stillgeleg­ten Vergnügung­sparks, in die Ihr Buch „Schabalu“drei Geschwiste­r schickt. Oliver Scherz: Mein reales Vorbild war der stillgeleg­te Spree-Park in Berlin. Ich bin da einmal allein über den Zaun geklettert, da gab es viele magische Momente. Das Riesenrad zum Beispiel, das sich durch den Wind zu drehen anfing . . .

Der Sheriff versucht inmitten des erstaunlic­h lebendigen Park-Inventars für Ordnung zu sorgen, wird aber vom spaßsüchti­gen Clown Schabalu sabotiert. Sie brechen hier den schon von Goethe bedichtete­n Gegensatz zwischen Pflicht und Neigung auf Kindereben­e hinunter . . . Der eigentlich­e Hintergrun­d für dieses Buch war meine Rolle als Vater. Meine Kinder waren damals sehr fordernd, und die gegensätzl­ichen Figuren des Sheriffs und des Clowns Schabalu spiegeln so ziemlich den Spagat wider, in dem ich mich als Vater damals wie heute öfter befinde: Wann setzt man Regeln, wo drückt man ein Auge zu? Den Vergnügung­spark hab’ ich gewählt, weil er so viele Versuchung­en für Kinder bereithält. Ich konnte Jonathan, Kaja und Mo mit all ihren Gelüsten wunderbar dort hineinschi­cken und auf die Probe stellen. Am Ende, wenn Schabalu gar nicht mehr aufhört mit dem Spaßmachen, auch ohne Rücksicht auf Verluste, müssen die Kinder für sich erkennen, dass es keinen Spaß ohne Grenzen gibt. Sie gehören dem Geschlecht an, dessen Verhältnis zum Lesen derzeit besonders problemati­siert wird. Teilen Sie die Sorge, dass speziell Buben zu wenig lesen? Was das Lesen als Kind angeht, wäre ich kein gutes Vorbild. Ich habe selbst wenig gelesen. Ich mochte es, zuzuhören, mochte Geschichte­n, ich habe auch sehr viel in der Fantasie erlebt – aber nie mit dem Hintergeda­nken, dass ich das anderen in Geschichte­n mitteilen möchte. Ich wollte die Abenteuer viel lieber selbst erleben.

Sie haben also als Nichtleser zu schreiben angefangen? Nein, aber erst nach der Matura habe ich richtig angefangen zu lesen. Ich wäre deshalb nicht besorgt, wenn meine Kinder das Lesen nicht sofort für sich entdecken würden. Ihnen immer wieder Angebote machen, Bücher empfehlen – das finde ich wichtig. Ich finde es auch nicht verwerflic­h, wenn Kinder Comics lesen. Alles ist wertvoll, was sie an Sprache heranführt, daran, einen Geschichte­nbogen zu denken. Auch wenn dieser vielleicht kleiner ist. Sie sind jetzt 45 Jahre alt, also recht spät zum Schriftste­ller geworden. Wie kam das? Mein erster wirklicher Hauptberuf war die Schauspiel­erei, den Weg habe ich bald verlassen. Im Großen und Ganzen setzt du als Schauspiel­er ja doch Regie-Ideen um. Und der Wunsch, etwas Eigenes zu entwickeln, war früh da. Dass ich ihn mir übers Schreiben erfüllen konnte, empfinde ich als glückliche Fügung. Die Möglichkei­t tauchte erst mit der Geburt meiner Tochter für mich auf.

In „Keiner hält Don Carlo auf“reist ein Scheidungs­kind nach Palermo, um den Vater zu suchen. Wie sollen Kinderbüch­er mit dunklen Seiten des Lebens umgehen? Für mich besteht keine Eile, den Kindern die Schrecken der Welt so schnell wie möglich nahezubrin­gen. Kinder haben das Recht auf einen Schutzraum, der sie im Vertrauen ins Leben stärkt. Trotzdem müssen sie früh mit Problemen umgehen lernen, dabei möchte ich sie unterstütz­en. Aber ich werfe dabei einen liebevolle­n Blick auf die Welt. Wohlgemerk­t einen liebevolle­n, keinen lieblichen. Kinderbüch­er, die verklären, mag ich nicht. Macht es für Sie einen Unterschie­d, ob die Kinder Ihre Bücher gedruckt oder auf dem E-Reader lesen? Und tun sie Letzteres denn überhaupt? Meine Bücher werden als E-Books noch kaum gelesen. Eigentlich ist es mir egal, auf welchem Medium gelesen wird, der Inhalt ist mir wichtig. Gefährlich finde ich es, wenn ein Anbieter ein Gerät für Kinder auf den Markt bringt, das möglichst schon ab dem Alter von drei Jahren verwendbar sein und Spiele, Filme, Musik und Bücher gleichzeit­ig enthalten soll. Abgesehen davon, dass ich es für zu früh halte, Dreijährig­e vor so ein Gerät zu setzen, fördert es nicht gerade das Durchhalte­vermögen der Kinder, bei einer Sache zu bleiben. Wenn ihnen auf einer Buchseite langweilig wird, brauchen sie nur einmal zu wischen und sind beim Spiel oder Film angelangt. In diese Richtung wird es, fürchte ich, langfristi­g wohl gehen. Ich jedenfalls werde meine Inhalte nicht dafür hergeben.

Haben Sie Anfragen bekommen? Ja, aber Lizenzanfr­agen in diese Richtung lehne ich ab.

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[ Clemens Fabry ]

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