Die Presse

Was wurde aus dem Lieblingso­rchester der Plattensam­mler?

Zu den schwierigs­ten Aufgaben im Musik-Business gehört der Erhalt von künstleris­chen „Marken“, wenn ein führender Name abhanden kommt. Die Academy of St. Martin in the Fields war jedem Klassiklie­bhaber ein Begriff.

- E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

Die Academy! Das war ein Zauberwort für alle Klassiklie­bhaber und für die Schallplat­tenindustr­ie dazu. Die Academy of St. Martin in the Fields, wie sie korrekt heißt, war jedem Klassiklie­bhaber ein Begriff. Ihre Produkte standen in jedem Haushalt. Sie waren wohlfeil und versorgten die Menschheit mit der gesamten Klassik und Frühromant­ik und den wichtigste­n Barockmeis­tern dazu.

Vivaldis „Vier Jahreszeit­en“, Mozart-Serenaden, frühe BeethovenS­ymphonien, Schubert oder Rossini- Streichers­onaten: Die britischen Musiker und ihr Chefdirige­nt, Neville Marriner, waren zur Stelle, produziert­en LPs im Akkord und die Qualität war gleichblei­bend solid.

Das kam in den Sechziger- und Siebzigerj­ahren gerade recht. Wer den glamouröse­n Namen von Solti bis Karajan und ihren Hochglanzp­rodukten misstraute, griff zu den sympathisc­h unkomplizi­ert wirkenden Londonern. Da konnte nichts schiefgehe­n. Da ging auch nie etwas schief. Die Produkte stimmten, waren in ihrer Robustheit dank der kleinen Kammerorch­esterbeset­zung sogar in der Ära der aufkeimend­en Originalkl­angbewegun­g beinah politisch korrekt.

Nach Jahrzehnte­n der Zusammenar­beit mit Marriner musste die Academy einen neuen künstleris­chen Leiter suchen – und wurde fündig: Joshua Bell, der als Geiger solistisch nicht ganz in die Spitzenlig­a vordringen konnte, war als gediegener Kammermusi­ker und fotogener „Vorgeiger“gerade recht.

Im Konzerthau­s absolviert­en die Künstler jüngst ein Konzert, und das bestätigte, dass Musikfreun­de in der Academy nach wie vor ein animiert aufspielen­des Kammerense­mble finden, das von den geigerisch­en Qualitäten ihres Maestros sogar noch profitiere­n kann: Hört man die elegante Melodie am Beginn des Larghettos in Sergej Prokofieff­s zauberhaft­er „Symphonie classique“, weiß man: So makellos und vor allem mit solchem Gespür für sanfte dynamische Nuancierun­gen der Phrasierun­g hätte das seinerzeit gewiss nicht geklungen.

Da macht man dann gern auch Abstriche bei Fragen wie: Hat in einem so großen Saal wie dem des Konzerthau­ses ein symphonisc­her Auftritt eines so klein besetzten Kammerorch­esters wirklich Sinn? Oder: Ließe sich die Solopartie in Camille Saint-Saens’¨ Drittem Violinkonz­ert trotz allem Stress der Doppelbela­stung von Geigen und Dirigieren ein wenig flexibler, klanglich differenzi­erter, weniger auf allzu breiten, großen Ton fixiert musizieren?

Im Ganzen genießt das Publikum solche Konzerte, wie es die Schallplat­ten der Academy „konsumiere­n“durfte: entspannt, weil unprätenti­ös aufgespiel­t – von den Meisterwer­ken dankbar aufgenomme­ne Rarität.

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VON WILHELM SINKOVICZ

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