Was wurde aus dem Lieblingsorchester der Plattensammler?
Zu den schwierigsten Aufgaben im Musik-Business gehört der Erhalt von künstlerischen „Marken“, wenn ein führender Name abhanden kommt. Die Academy of St. Martin in the Fields war jedem Klassikliebhaber ein Begriff.
Die Academy! Das war ein Zauberwort für alle Klassikliebhaber und für die Schallplattenindustrie dazu. Die Academy of St. Martin in the Fields, wie sie korrekt heißt, war jedem Klassikliebhaber ein Begriff. Ihre Produkte standen in jedem Haushalt. Sie waren wohlfeil und versorgten die Menschheit mit der gesamten Klassik und Frühromantik und den wichtigsten Barockmeistern dazu.
Vivaldis „Vier Jahreszeiten“, Mozart-Serenaden, frühe BeethovenSymphonien, Schubert oder Rossini- Streichersonaten: Die britischen Musiker und ihr Chefdirigent, Neville Marriner, waren zur Stelle, produzierten LPs im Akkord und die Qualität war gleichbleibend solid.
Das kam in den Sechziger- und Siebzigerjahren gerade recht. Wer den glamourösen Namen von Solti bis Karajan und ihren Hochglanzprodukten misstraute, griff zu den sympathisch unkompliziert wirkenden Londonern. Da konnte nichts schiefgehen. Da ging auch nie etwas schief. Die Produkte stimmten, waren in ihrer Robustheit dank der kleinen Kammerorchesterbesetzung sogar in der Ära der aufkeimenden Originalklangbewegung beinah politisch korrekt.
Nach Jahrzehnten der Zusammenarbeit mit Marriner musste die Academy einen neuen künstlerischen Leiter suchen – und wurde fündig: Joshua Bell, der als Geiger solistisch nicht ganz in die Spitzenliga vordringen konnte, war als gediegener Kammermusiker und fotogener „Vorgeiger“gerade recht.
Im Konzerthaus absolvierten die Künstler jüngst ein Konzert, und das bestätigte, dass Musikfreunde in der Academy nach wie vor ein animiert aufspielendes Kammerensemble finden, das von den geigerischen Qualitäten ihres Maestros sogar noch profitieren kann: Hört man die elegante Melodie am Beginn des Larghettos in Sergej Prokofieffs zauberhafter „Symphonie classique“, weiß man: So makellos und vor allem mit solchem Gespür für sanfte dynamische Nuancierungen der Phrasierung hätte das seinerzeit gewiss nicht geklungen.
Da macht man dann gern auch Abstriche bei Fragen wie: Hat in einem so großen Saal wie dem des Konzerthauses ein symphonischer Auftritt eines so klein besetzten Kammerorchesters wirklich Sinn? Oder: Ließe sich die Solopartie in Camille Saint-Saens’¨ Drittem Violinkonzert trotz allem Stress der Doppelbelastung von Geigen und Dirigieren ein wenig flexibler, klanglich differenzierter, weniger auf allzu breiten, großen Ton fixiert musizieren?
Im Ganzen genießt das Publikum solche Konzerte, wie es die Schallplatten der Academy „konsumieren“durfte: entspannt, weil unprätentiös aufgespielt – von den Meisterwerken dankbar aufgenommene Rarität.