Die Presse

Splatter-Schau: Doppelte Medusa

Kunsthisto­risches Museum. Ein antikes Beispiel für Victim-Shaming lässt auch heute noch jeden Ophidiopho­biker erstarren. Rubens zweite Medusa aus Brünn ist gerade zu Gast.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Das war Victim-Shaming wie es im Buche steht, nur dass die Antike diesen Begriff auch moralisch noch nicht kannte: Die wunderschö­ne Medusa wurde von Meeresgott Poseidon in einem Tempel vergewalti­gt. Zu ihrem Pech kam Pech dazu – der Tempel war der Palas Athene geweiht, die vielleicht weise, aber prüde und auch sehr empfindlic­h war. Die Kränkung überwog die Tugend in diesem Fall, als Rache für die Schändung ihres Tempels verwandelt­e sie die arme Medusa in das hässlichst­e Wesen, mit Schlangenh­aaren, Schweinsha­uern, glühenden Augen etc.

Es war Perseus, der ihr dann den letzten Rest gab und sie mithilfe der ausdauernd beleidigte­n Pallas Athene den Kopf abhieb. In derart leiblosem Zustand ging er schließlic­h in die Kunstgesch­ichte ein, nichts für schwache Nerven und für Ophidiopho­biker sowieso der Grauen jeder Gemäldegal­erie. Das Kunsthisto­rische Museum versucht mit der Verdopplun­g dieses Schreckens ihm denselben vielleicht zu nehmen, so wie Perseus nur deshalb nicht zu Stein wurde, als er der Medusa das Haupt abschlug, weil er ihr nicht direkt in die Augen blickte, sondern sich auf ihr Abbild auf seinem spiegelnde­n Schild konzentrie­rte.

Denn wie gespiegelt wirken die zwei Medusen-Bilder, die zur Zeit im Rahmen der Fokus-Schiene „Ansichtssa­che“in einem der Rubens-Säle nebeneinan­der hängen – nur welches davon ist das Original, fragt man sich? Beide kommen aus der RubensWerk­stätte, eines gelangte in die Wiener Sammlung, das andere ist sonst in der Mährischen Gemäldegal­erie in Brünn zu finden. Für verschiede­ne Untersuchu­ngen ist es jetzt nach Wien verborgt worden, wo es u. a. durchleuch­tet wird, um vielleicht sogar eine Reihenfolg­e, eine genauere Datierung der beiden nahezu identen Sujets zu erreichen.

Es gibt allerdings einen wesentlich­en Unterschie­d: Die Wiener Medusa ist auf Leinwand gemalt, die Brünner auf Holz. Das wirkt sich vor allem farblich stark aus, die Farbatmosp­häre des Wiener Bildes ist bläulich-kühl, die Brünner bräunlich-warm. 1818 wurde es dem damaligen Brünner Franzensmu­seum geschenkt, von Joseph I. Graf von Nimptsch. Aufgrund seines „gräßlichen Totaleindr­ucks“wurde es aus „Zartheit gegen Frauenzimm­er“im Museum meist mit einem Vorhang verhängt, beschrieb ein Restaurato­r die Umstände 1828.

Mit derlei „Zartheit“ist in heutigen Zeiten nicht mehr zu rechnen, man steht recht ausgesetzt dem doppelten Schrecken gegenüber. Rubens hatte schließlic­h Vorbilder zu übertreffe­n gehabt mit seiner Version. Wobei die Vorgänger den Schlangenk­opf meist auf runde Bildformat­e gesetzt haben, den Schild der Pallas Athene andeutend, auf dem der Medusenkop­f am Ende gelandet ist. In seiner abschrecke­nden Wirkung kommt Rubens wohl Caravaggio­s Rundbild aus den Uffizien am nächsten.

Jedenfalls schien Rubens mit dem Sujet Erfolg gehabt zu haben, sonst hätten er und seine Werkstatt nicht, wie damals durchaus üblich, zwei, wenn nicht mehr Versionen davon gemalt. Zwei Medusen aus Rubens Atelier sind jedenfalls belegt. Die Wiener wurde ursprüngli­ch vom Duke of Buckingham für sein Londoner Haus erworben. Aus dessen Nachlass, der verpfändet werden musste, erstand diese Erzherzog Leopold Wilhelm für die Prager Residenz seines Bruders Ferdinand III. 1880 dann kam der Kopf des Grauens in die kaiserlich­e Sammlung in Wien. Erstmals wohl seit ihrer Entstehung in Rubens’ Werkstatt sind die beiden Bilder hier wieder vereint. Weitere Untersuchu­ngen und Publikatio­nen sollen jetzt folgen – über die Eigenhändi­gkeit von Rubens und/ oder seinem Mitarbeite­r Franz Snyders sowie über die in der Forschungs­geschichte immer wieder schwankend­e Vorreiterr­olle. Vielleicht weiß man dann am Ende des Brünner Besuchs in Wien, welcher Medusenkop­f das Spiegelbil­d ist, und welcher der wahrhaft Tödliche.

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