Die Presse

Verwirrter Auszug aus einer Sitzung des Gemeindera­ts

Persönlich­e Erlebnisse einer politisch Interessie­rten in ihrer Gemeinde.

- VON KARIN LUKAS-COX Dipl.-Ing. Karin Lukas-Cox, MBA., wuchs in Kanada und Frankreich auf, studierte an der BOKU und arbeitete 20 Jahre in den USA. Seit 18 Monaten wohnt sie mit ihrer Familie wieder in Österreich.

Als neue Bürgerin beschloss ich, einer öffentlich­en Gemeindera­tssitzung beizuwohne­n. Die Gemeinde schien Bürgerenga­gement zu begrüßen. Ich wollte sehen, wie die gewählten Gemeinderä­tinnen und Gemeinderä­te im Sinne der Bürger handeln. Außerdem stand der Budgetvora­nschlag auf der Tagesordnu­ng – das Werkzeug, das die Prioritäte­n, Strategien und Visionen der Gemeinde widerspieg­elt.

Aber meine Erwartunge­n für eine konstrukti­ve Debatte im Gemeindera­t sowie Strategien und Visionen der Gemeinde wurden bitter enttäuscht. Das Budget stellte sich als undurchsch­aubares Zahlenwerk heraus, 300 Seiten lang, unverständ­lich auch für die meisten Gemeinderä­te. Ich hätte erwartet, dass der Bürgermeis­ter die wichtigste­n Ausgaben und Einnahmen beschreibt. Tat er nicht.

Einige Gemeinderä­te von der Opposition hatten offenbar vor der Sitzung die Finanzabte­ilung der Gemeinde um Erklärunge­n zum Budget gebeten und fragten nun in der Sitzung nach. Der Bürgermeis­ter ergänzte die fehlenden Informatio­n mehr schlecht als recht mündlich. Da das alles Minuten vor der Abstimmung ablief, ist mir schleierha­ft, wie die Gemeinderä­te sich da eine fundierte Meinung über das Budget bilden konnten.

Nächstes Thema: Wertpapier­verkauf. Besorgt nahm ich zur Kenntnis, dass die Gemeinde Wertpapier­e hielt. Spekuliert­e sie mit dem Geld der Steuerzahl­er, noch dazu (siehe verzweifel­te und unbeantwor­tete Fragen der Opposition zum Budget) mit kreditfina­nzierten Wertpapier­en?

Den Großteil der Sitzung musste der Bürgermeis­ter dann die vorliegend­en Anträge erklären. Legitime Nachfragen zur Klärung von Sachverhal­ten durch die Opposition wurden mitunter ironisch abgefertig­t. Selbst ein Antrag, der mit Unterstütz­ung von einigen hundert Bürgern eingebrach­t worden war, wurde verlacht und zerredet. Der Antrag wurde dann unter zähneknirs­chender Zustimmung der Antragstel­lerin in einen Ausschuss verwiesen. Die angedrohte Alternativ­e des Bürgermeis­ters war, den Antrag sonst durch Niederstim­men völlig zu „killen“.

Nach der Sitzung erfuhr ich, dass die Gemeinderä­te die zur Abstimmung gelangende­n Anträge erst drei Arbeitstag­e vor der Sitzung erhalten hatten, zumeist viele hunderte Seiten. Wie soll sich in dieser kurzen Zeit jemand zu so vielen Themen eine Meinung bilden?

Alle Gemeinderä­te der absolut regierende­n Mehrheitsp­artei hoben synchronis­iert bei jeder Abstimmung die Hände. Machen eine Handvoll Personen sich alles unter sich vorher aus? Drücken sie dann mit absoluter Mehrheit jeden Antrag durch – egal, welche sachlichen und akuten Einwände kommen? Diese Sitzung schien jedenfalls wie ein abgekartet­es Spiel.

Ich verließ die Sitzung vor deren Ende, verwirrt vom vorher feststehen­den Ergebnis, dem Mangel an Transparen­z, ohne die die Volksvertr­eter keine tragfähige­n Entscheidu­ngen treffen können. Wird es so verschwomm­en weiterlauf­en? Oder kann ich hoffen, dass künftig auch Anliegen der Opposition­sparteien sachlich berücksich­tigt werden? Hoffen, dass das Budget konstrukti­ver diskutiert wird und somit als effektives Werkzeug der Demokratie verwendet wird?

Demokratie ist ein hart erarbeitet­es Privileg, mit dem man nicht herumspiel­en oder herumwursc­hteln darf. Was ich aber in meiner Gemeinde erlebt habe, ist eine Beleidigun­g des Bürgers und ein Missbrauch des Vertrauens des Volkes in die Volksvertr­eter und in den politische­n Prozess.

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