Verwirrter Auszug aus einer Sitzung des Gemeinderats
Persönliche Erlebnisse einer politisch Interessierten in ihrer Gemeinde.
Als neue Bürgerin beschloss ich, einer öffentlichen Gemeinderatssitzung beizuwohnen. Die Gemeinde schien Bürgerengagement zu begrüßen. Ich wollte sehen, wie die gewählten Gemeinderätinnen und Gemeinderäte im Sinne der Bürger handeln. Außerdem stand der Budgetvoranschlag auf der Tagesordnung – das Werkzeug, das die Prioritäten, Strategien und Visionen der Gemeinde widerspiegelt.
Aber meine Erwartungen für eine konstruktive Debatte im Gemeinderat sowie Strategien und Visionen der Gemeinde wurden bitter enttäuscht. Das Budget stellte sich als undurchschaubares Zahlenwerk heraus, 300 Seiten lang, unverständlich auch für die meisten Gemeinderäte. Ich hätte erwartet, dass der Bürgermeister die wichtigsten Ausgaben und Einnahmen beschreibt. Tat er nicht.
Einige Gemeinderäte von der Opposition hatten offenbar vor der Sitzung die Finanzabteilung der Gemeinde um Erklärungen zum Budget gebeten und fragten nun in der Sitzung nach. Der Bürgermeister ergänzte die fehlenden Information mehr schlecht als recht mündlich. Da das alles Minuten vor der Abstimmung ablief, ist mir schleierhaft, wie die Gemeinderäte sich da eine fundierte Meinung über das Budget bilden konnten.
Nächstes Thema: Wertpapierverkauf. Besorgt nahm ich zur Kenntnis, dass die Gemeinde Wertpapiere hielt. Spekulierte sie mit dem Geld der Steuerzahler, noch dazu (siehe verzweifelte und unbeantwortete Fragen der Opposition zum Budget) mit kreditfinanzierten Wertpapieren?
Den Großteil der Sitzung musste der Bürgermeister dann die vorliegenden Anträge erklären. Legitime Nachfragen zur Klärung von Sachverhalten durch die Opposition wurden mitunter ironisch abgefertigt. Selbst ein Antrag, der mit Unterstützung von einigen hundert Bürgern eingebracht worden war, wurde verlacht und zerredet. Der Antrag wurde dann unter zähneknirschender Zustimmung der Antragstellerin in einen Ausschuss verwiesen. Die angedrohte Alternative des Bürgermeisters war, den Antrag sonst durch Niederstimmen völlig zu „killen“.
Nach der Sitzung erfuhr ich, dass die Gemeinderäte die zur Abstimmung gelangenden Anträge erst drei Arbeitstage vor der Sitzung erhalten hatten, zumeist viele hunderte Seiten. Wie soll sich in dieser kurzen Zeit jemand zu so vielen Themen eine Meinung bilden?
Alle Gemeinderäte der absolut regierenden Mehrheitspartei hoben synchronisiert bei jeder Abstimmung die Hände. Machen eine Handvoll Personen sich alles unter sich vorher aus? Drücken sie dann mit absoluter Mehrheit jeden Antrag durch – egal, welche sachlichen und akuten Einwände kommen? Diese Sitzung schien jedenfalls wie ein abgekartetes Spiel.
Ich verließ die Sitzung vor deren Ende, verwirrt vom vorher feststehenden Ergebnis, dem Mangel an Transparenz, ohne die die Volksvertreter keine tragfähigen Entscheidungen treffen können. Wird es so verschwommen weiterlaufen? Oder kann ich hoffen, dass künftig auch Anliegen der Oppositionsparteien sachlich berücksichtigt werden? Hoffen, dass das Budget konstruktiver diskutiert wird und somit als effektives Werkzeug der Demokratie verwendet wird?
Demokratie ist ein hart erarbeitetes Privileg, mit dem man nicht herumspielen oder herumwurschteln darf. Was ich aber in meiner Gemeinde erlebt habe, ist eine Beleidigung des Bürgers und ein Missbrauch des Vertrauens des Volkes in die Volksvertreter und in den politischen Prozess.