Die Presse

Koloman Wallisch: Nahaufnahm­e einer kontrovers­en Person

Er ist eine umstritten­e Person der österreich­ischen Zeitgeschi­chte: den einen Held und Opfer, den anderen gewalttäti­ger Bolschewik. Fakten jenseits von „Wikipedia“.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Dr. Gudula Walterskir­chen ist Historiker­in und Publizisti­n. Autorin zahlreiche­r Bücher mit historisch­em Schwerpunk­t. Seit 2017 Herausgebe­rin der „Niederöste­rreichisch­en Nachrichte­n“und der „Burgenländ­ischen Volkszeitu­ng“.

Den meisten Österreich­ern ist Koloman Wallisch als Opfer in Erinnerung, zahlreiche Straßen und Plätze sind nach ihm benannt. Er war einer jener Schutzbünd­ler, die nach dem Februarauf­stand 1934 vom Dollfuß-Regime hingericht­et wurden. Seine Vorgeschic­hte ist weniger bekannt und man sollte sich bei der Recherche nicht auf die Website des Parlaments oder Internetse­iten wie „Wikipedia“verlassen, wie Johannes Sääf dies in einer Replik (9. 1.) auf eines meiner „Quergeschr­ieben“tut.

Wallisch wurde vor 130 Jahren geboren und wuchs in sehr armen Verhältnis­sen als zehntes Kind einer ungarischs­chwäbische­n Familie auf. Er machte eine Maurerlehr­e, wurde im Ersten Weltkrieg zum Kriegsdien­st eingezogen. Zu Kriegsende, im Oktober 1918, löste sich Ungarn von Österreich los. Ein bürgerlich­es Kabinett wurde gebildet, die Republik ausgerufen. Unter dem Druck der Entente, Streiks und den sich überall aus den Heimkehrer­n bildenden Soldatenrä­ten trat die Regierung nach wenigen Wochen zurück. Zu diesem Zeitpunkt war Wallisch, der sich den Sozialdemo­kraten angeschlos­sen hatte, im Leitungsgr­emium der „Räterepubl­ik“aktiv und arbeitete eng mit Bela´ Kun zusammen.

Wallisch zählte zum linken Parteiflüg­el, er wollte eine Revolution wie in Russland 1917 machen. Statt nach Westen solle man sich nach Osten wenden und eine Allianz mit Sowjetruss­land suchen. Bald deklariert­e er sich offen als Kommunist.

In seinem Wohnort Szeged rief er die „Diktatur des Proletaria­ts“aus und gründete ein „Revolution­äres Exekutivko­mitee“, das eine Rote Armee aufstellte und die neue revolution­äre Ordnung etablierte. Dazu gehörte nicht nur, die Versorgung mit Lebensmitt­eln und Wohnraum zu organisier­en, sondern auch Enteignung­en und Gerichtsve­rfahren gegen „Konterrevo­lutionäre“. Dies sollte später seinen Ruf als gefährlich­er Bolschewik begründen. Als Vorsitzend­er des revolution­ären Gerichtes sprach er zahlreiche Urteile aus – darunter auch ein Todesurtei­l, das aber nicht exekutiert wurde.

Bald brach auch die Revolution­sregierung zusammen. Wallisch musste flüchten und entkam mit seiner Familie nach Marburg in Slowenien. Dort betätigte er sich erneut politisch, organisier­te einen Eisenbahne­rstreik mit. Das brachte ihm einen Landesverw­eis ein und er gelangte nach Bruck an der Mur. Er schloss sich den Sozialdemo­kraten an und machte steile Karriere: Gemeindera­t, Landtagsab­geordneter und schließlic­h zog er in den Nationalra­t ein.

Wie in Ungarn war Wallisch auch in Österreich an führender Stelle in entscheide­nden Momenten aktiv. Während des Justizpala­stbrands in Wien 1927 riss er zeitgleich in Bruck die Exekutivge­walt an sich, bis er von der Parteileit­ung zurückgepf­iffen wurde. Im September 1931 wollte der steirische Heimatschu­tz, der stark nationalso­zialistisc­h durchsetzt war, einen Putsch machen. Die Obersteier­mark war das Zentrum der Kämpfe, bei denen neben den Heimwehren aus anderen Bundesländ­ern und dem Heer auch der Schutzbund und Koloman Wallisch maßgeblich an der Niederschl­agung beteiligt waren.

Für Wallisch das tragische Finale war der Aufstand des Schutzbund­es im Februar 1934. Nachdem in Linz Kämpfe ausgebroch­en waren, kam es nicht wie erhofft zu einem Generalstr­eik und zu einer Ausweitung der Kämpfe auf ganz Österreich. Vielmehr waren die Aufständis­chen nur an wenigen Orten offensiv, etwa in Bruck an der Mur. Der Anführer dort war Koloman Wallisch. Insgesamt 62 Tote forderten die Kämpfe in der Steiermark: Schutzbünd­ler, Gendarmen, Soldaten und Zivilisten.

Wallisch versuchte zu fliehen, wurde verhaftet und in einem Standgeric­htsverfahr­en zum Tod verurteilt. Er war einer jener neun Kämpfer, die tatsächlic­h vom Dollfuß-Regime hingericht­et wurden: Eine selbst in den Reihen der Regierung damals umstritten­e Entscheidu­ng – und bis heute eine offene Wunde.

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VON GUDULA WALTERSKIR­CHEN

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