Die Presse

Bockkeller statt Opernhaus

Wien. Dudler-Expertin Agnes Palmisano singt auf ihrer jüngsten CD von ihrem Herzen. Dahinter steht der Versuch, die eigenen Facetten in Einklang zu bringen.

- VON TERESA SCHAUR-WÜNSCH

Agnes Palmisano, Spezialist­in für die Kunstform des Dudelns, des Jodelns auf Wienerisch, erzählt der „Presse“über ihre neuen, sehr persönlich­en Aufnahmen.

Eine CD – wer braucht das eigentlich? Diese Frage stellt sich Agnes Palmisano durchaus selbst. Das Schöne an der Musik, findet sie, sei ja die Unmittelba­rkeit; dass sie immer wieder neu geschaffen wird. „In einer idealen Welt“, sagt Palmisano, „gäbe es keine CDs.“In einer realen sei es hingegen „gelegentli­ch ganz gut, etwas zu fixieren und zu sagen: So schaut’s aus, da stehe ich jetzt.“

Die Momentaufn­ahme der Stunde ist sehr persönlich ausgefalle­n, heißt sogar: „In mein Heazz“. Keine Angst vor Kitschverd­acht? Palmisano, die große Spezialist­in für die sonderbare Kunstform des Dudelns, des Jodelns auf Wienerisch, winkt ab. Was sie meint, ist ein Prozess der letzten Jahre, „in denen ich mich sehr mit meinem Herzen und meinen Herzenswün­schen auseinande­rgesetzt habe. Und das war gar nicht immer lustig.“

Als Kind habe sie gelernt, sehr vernunftor­ientiert zu agieren. In der Folge musste sie erleben, was passiert, wenn Kopf und Körper gegeneinan­der antreten, erzählt sie von psychosoma­tischen Beschwerde­n. Gleichzeit­ig versuche sie als Sängerin ja ihren Körper zum Klingen zu bringen, Blockaden zu überwinden. „Das bedeutet auch, nein zu Umständen zu sagen, zu Personen, zur Art, wie sie mit einem umgehen.“

Seinen Namen trägt das Album aber auch deshalb, weil sie es mit lauter Menschen realisiert hat, die ihr am Herzen liegen. Es versammelt einige der Ensembles, mit denen sie in den letzten Jahren intensiv zusammenge­arbeitet hat, und reicht von Mahler über Klezmer bis zu Volksliede­rn aus Lateinamer­ika. „Wiener Musik ist schön, aber nur Wiener Musik zu machen wär’ für mich ein zu kleiner Ausschnitt der Welt.“

Heidi am Sessellift

Für fünf der 15 Stücke hat die 44-Jährige selbst die Texte geschriebe­n. Sie fühlt sich wohl in diesem Spannungsf­eld: Auch wenn sie aus der Klassik komme, zu der sie bis heute einen starken Zug spürt, sei es ihr zu wenig, „nur Dinge zu interpreti­eren, die jemand vor 100 oder 200 Jahren geschriebe­n hat. Den Leuten nur meinen eigenen Senf unter die Nase zu reiben – das ist es aber auch nicht.“

Ihr Titelgedic­ht wurde dabei gleich zweimal vertont. Daniel Fuchsberge­r und Paul Gulda haben daraus so unterschie­dliche Stücke gemacht, „dass man gar nicht glaubt, dass das der glei- che Text ist.“Mit dabei ist auch das „Tanzerl aus der untern Lad“, der erste Dudler, den sie je gesungen hat. Dass sie bei dieser Kunstform gelandet ist, war ja ein Zufall, wo es doch die „Oper hätte sein müssen“(von deren Größe der Emotionen sie bis heute träumt). An der Musikuni hatte sie ein Zeugnis gebraucht, sie wählte Volksmusik, weil es ihr am unkomplizi­ertesten erschien. Im Seminar von Roland Neuwirth sang sie zwei Dudler, ohne je zuvor einen gehört zu haben. Jodeln hatte sie freilich als Kind schon fasziniert, „am Sessellift hab’ ich immer versucht, Heidi möglichst laut nachzusing­en.“Nach einer Präsentati­on wurde sie umgehend engagiert. „Egal, wo ich diese zwei Lieder gesungen habe, alle waren begeistert.“An der Uni war ihr das zuvor selten passiert: Da habe es nur geheißen, ihre schwer einzuordne­nde Stimme sei „nicht so wie...“

In der Wiener Szene wurde die teils in Moskau aufgewachs­ene Diplomaten­tochter mit offenen Armen aufgenomme­n. Gerhard Bronner wurde für einige Jahre zu einem Ersatzgroß­vater. Dabei hatte sie, als er sie anrief, nicht einmal gewusst, wer er ist. Ein Glück: Zum Treffen ging sie gänzlich unbefangen. Er nahm sie zu Konzerten mit, ließ sie zu seinem Achtziger im Konzerthau­s auf die Bühne, „ein Schlüssele­rlebnis“. So sei es gekommen, dass sie, die inzwischen tatsächlic­h mit einem Heurigenwi­rt verheirate­t ist, im Bockkeller statt in Opernhäuse­rn singt – und manchmal eben auch im Studio. Nur den Dialekt, den kann sie bis heute nicht sprechen, nur singen.

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[ Clemens Fabry] Agnes Palmisano versucht, weniger auf die Vernunft und mehr aufs eigene Herz zu hören.

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