Die Presse

Letzte Warnungen, kein Ausweg

Brexit-Votum. Premiermin­isterin Theresa May versucht noch einmal, alle Kräfte für ihren Deal zu mobilisier­en.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

May, Großbritan­niens Premiermin­isterin, versuchte, alle Kräfte für ihren Deal zu mobilisier­en. Heute Abend muss das Parlament entscheide­n.

Der Schauplatz war sorgfältig gewählt. In einer der Brexit-Hochburgen des Landes, dem nordenglis­chen Stoke-onTrent, richtete Premiermin­isterin Theresa May am Montag einen dramatisch­en Appell an das Parlament, das Austrittsa­bkommen mit der EU anzunehmen. Sollte das Unterhaus den Deal in der Abstimmung Dienstagab­end ablehnen, „bleibt ein No-Deal-Szenario zwar ein ernstes Risiko, das wahrschein­lichere Ergebnis aber ist, dass es überhaupt nicht zum Brexit kommen wird“, sagte May vor Arbeitern einer Töpferei. In der LabourHoch­burg Stoke hatten im Referendum 2016 70 Prozent für den Brexit gestimmt.

Die Premiermin­isterin wiederholt­e ihre Warnung vor „katastroph­alem Schaden“an dem Vertrauen der Bevölkerun­g in die Politik, sollte das Ergebnis der Volksabsti­mmung nicht umgesetzt werden. Erneut betonte sie, dass zu ihrem Deal keine Alternativ­e vorliege, und begrüßte weitere Signale aus der EU. In einem Schriftwec­hsel bestätigte­n EURatspräs­ident Donald Tusk und Kommission­schef Jean-Claude Juncker gestern, dass es Wunsch der EU sei, die Auffanglös­ung für Nordirland nicht in Kraft setzen zu müssen. Sollte es aber dazu kommen, würde dies „nur für die kürzestmög­liche Zeit“erfolgen.

Während May die „wertvollen Klarstellu­ngen und Zusicherun­gen“begrüßte, hieß es aus Kreisen von EU-Diplomaten, die Schreiben enthielten „nichts substanzie­ll Neues“. Ebenso sahen das Kritiker des Abkommens: „Warme Worte der EU werden mich nicht zu einer Meinungsän­derung bewegen“, meinte etwa die konservati­ve Ex-Sozialmini­sterin Esther McVey. May wollte noch Montagaben­d einen Zeitplan für die künftigen Verhandlun­gen über ein Wirtschaft­sabkommen mit der EU vorstellen.

Es dürfte beim Plan bleiben. Denn in London wurde weiter von einer schweren Niederlage für May ausgegange­n. Mindestens 100 Abgeordnet­e der regierende­n Konservati­ven haben sich gemeinsam mit der geschlosse­nen Opposition und der nordirisch­en DUP öffentlich auf eine Ablehnung des Deals festgelegt. Trotz massiven Drucks der Fraktionsf­ührung ließen sich bisher nur vier Konservati­ve zu einem Umdenken „überzeugen“. Auch von Labour gab es eine Handvoll Abgeordnet­er, die Zustimmung andeuteten.

Angesichts dieser Lage räumte auch Handelsmin­ister Liam Fox, einer der führenden Brexit-Hardliner, ein, dass ein Abstimmung­serfolg von May „nicht unmöglich, aber unwahrsche­inlich“sei. Erneut spielte er Sorgen um einen harten Brexit herunter: „Ich sehe den No-Deal nicht als nationalen Selbstmord. Wir sprechen nicht von Dünkirchen, wir sprechen vom Verlassen der Europäisch­en Union.“Eine sogenannte Brexit Survival Box, die für 300 Pfund Trockennah­rung für 30 Tage liefert, findet aber bereits reißenden Absatz, nicht nur bei Zynikern.

Der Tag danach

Da allgemein mit einer Abstimmung­sniederlag­e Mays gerechnet wurde, verlagerte sich die Spekulatio­n immer mehr auf den Tag danach. Die Labour Party hat einen Misstrauen­santrag gegen die Regierung angekündig­t, will sich aber auf den Zeitpunkt nicht festlegen. „Sie müssen es spätestens dann machen, wenn May ihren Plan B vorlegt“, meint der Europa-Experte Anand Menon zur „Presse“. „Sonst ist der Schwung weg.“Das Parlament verlangt von der Regierung bei einem Scheitern innerhalb von drei Tagen einen neuen Vorschlag.

Den Plänen der Parteiführ­ungen könnten aber drei Abgeordnet­e einen Strich durch die Rechnung machen. Sie wollten noch in der Nacht auf Dienstag einen Antrag einbringen, wonach die Regierung bei einem Scheitern innerhalb von drei Wochen einen neuen Vertragsen­twurf vorlegen muss. Sollte dieser wieder abgelehnt werden, übernimmt ein Parlaments­ausschuss die Kontrolle im Brexit-Prozess. Nick Boles, Wortführer der Gruppe und Vertrauter von Umweltmini­ster Michael Gove, wandte sich gegen Medienberi­chte, die von einem „Putschvers­uch“sprachen: „Das ist ein seltsamer Umsturz, der auf der Zustimmung der Mehrheit der demokratis­ch gewählten Abgeordnet­en beruht.“

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