Letzte Warnungen, kein Ausweg
Brexit-Votum. Premierministerin Theresa May versucht noch einmal, alle Kräfte für ihren Deal zu mobilisieren.
May, Großbritanniens Premierministerin, versuchte, alle Kräfte für ihren Deal zu mobilisieren. Heute Abend muss das Parlament entscheiden.
Der Schauplatz war sorgfältig gewählt. In einer der Brexit-Hochburgen des Landes, dem nordenglischen Stoke-onTrent, richtete Premierministerin Theresa May am Montag einen dramatischen Appell an das Parlament, das Austrittsabkommen mit der EU anzunehmen. Sollte das Unterhaus den Deal in der Abstimmung Dienstagabend ablehnen, „bleibt ein No-Deal-Szenario zwar ein ernstes Risiko, das wahrscheinlichere Ergebnis aber ist, dass es überhaupt nicht zum Brexit kommen wird“, sagte May vor Arbeitern einer Töpferei. In der LabourHochburg Stoke hatten im Referendum 2016 70 Prozent für den Brexit gestimmt.
Die Premierministerin wiederholte ihre Warnung vor „katastrophalem Schaden“an dem Vertrauen der Bevölkerung in die Politik, sollte das Ergebnis der Volksabstimmung nicht umgesetzt werden. Erneut betonte sie, dass zu ihrem Deal keine Alternative vorliege, und begrüßte weitere Signale aus der EU. In einem Schriftwechsel bestätigten EURatspräsident Donald Tusk und Kommissionschef Jean-Claude Juncker gestern, dass es Wunsch der EU sei, die Auffanglösung für Nordirland nicht in Kraft setzen zu müssen. Sollte es aber dazu kommen, würde dies „nur für die kürzestmögliche Zeit“erfolgen.
Während May die „wertvollen Klarstellungen und Zusicherungen“begrüßte, hieß es aus Kreisen von EU-Diplomaten, die Schreiben enthielten „nichts substanziell Neues“. Ebenso sahen das Kritiker des Abkommens: „Warme Worte der EU werden mich nicht zu einer Meinungsänderung bewegen“, meinte etwa die konservative Ex-Sozialministerin Esther McVey. May wollte noch Montagabend einen Zeitplan für die künftigen Verhandlungen über ein Wirtschaftsabkommen mit der EU vorstellen.
Es dürfte beim Plan bleiben. Denn in London wurde weiter von einer schweren Niederlage für May ausgegangen. Mindestens 100 Abgeordnete der regierenden Konservativen haben sich gemeinsam mit der geschlossenen Opposition und der nordirischen DUP öffentlich auf eine Ablehnung des Deals festgelegt. Trotz massiven Drucks der Fraktionsführung ließen sich bisher nur vier Konservative zu einem Umdenken „überzeugen“. Auch von Labour gab es eine Handvoll Abgeordneter, die Zustimmung andeuteten.
Angesichts dieser Lage räumte auch Handelsminister Liam Fox, einer der führenden Brexit-Hardliner, ein, dass ein Abstimmungserfolg von May „nicht unmöglich, aber unwahrscheinlich“sei. Erneut spielte er Sorgen um einen harten Brexit herunter: „Ich sehe den No-Deal nicht als nationalen Selbstmord. Wir sprechen nicht von Dünkirchen, wir sprechen vom Verlassen der Europäischen Union.“Eine sogenannte Brexit Survival Box, die für 300 Pfund Trockennahrung für 30 Tage liefert, findet aber bereits reißenden Absatz, nicht nur bei Zynikern.
Der Tag danach
Da allgemein mit einer Abstimmungsniederlage Mays gerechnet wurde, verlagerte sich die Spekulation immer mehr auf den Tag danach. Die Labour Party hat einen Misstrauensantrag gegen die Regierung angekündigt, will sich aber auf den Zeitpunkt nicht festlegen. „Sie müssen es spätestens dann machen, wenn May ihren Plan B vorlegt“, meint der Europa-Experte Anand Menon zur „Presse“. „Sonst ist der Schwung weg.“Das Parlament verlangt von der Regierung bei einem Scheitern innerhalb von drei Tagen einen neuen Vorschlag.
Den Plänen der Parteiführungen könnten aber drei Abgeordnete einen Strich durch die Rechnung machen. Sie wollten noch in der Nacht auf Dienstag einen Antrag einbringen, wonach die Regierung bei einem Scheitern innerhalb von drei Wochen einen neuen Vertragsentwurf vorlegen muss. Sollte dieser wieder abgelehnt werden, übernimmt ein Parlamentsausschuss die Kontrolle im Brexit-Prozess. Nick Boles, Wortführer der Gruppe und Vertrauter von Umweltminister Michael Gove, wandte sich gegen Medienberichte, die von einem „Putschversuch“sprachen: „Das ist ein seltsamer Umsturz, der auf der Zustimmung der Mehrheit der demokratisch gewählten Abgeordneten beruht.“