Wie die Stadt Wien wirklich dasteht
Faktencheck. Die Regierung kritisiert die Stadt Wien bei der Mindestsicherung, Arbeitslosigkeit und Wirtschaftsentwicklung. Vieles davon ist auf den Großstadtfaktor zurückzuführen.
Der Schlagabtausch zwischen der türkis-blauen Bundesregierung und der rot-grünen Wiener Stadtregierung wird seit der Weigerung Wiens, das Sozialhilfegesetz des Bundes umzusetzen, zunehmend schärfer. Die Vorwürfe der Regierungsspitze gegen die Bundeshauptstadt im Faktencheck:
Mindestsicherung
Ob die Zahl der Familien zunimmt, in denen „nur die Kinder in der Früh aufstehen“, wie Bundeskanzler Sebastian Kurz behauptete, lässt sich nur schwer prüfen, wohl aber die Frage, ob die Zahl der Mindestsicherungsbezieher generell zunimmt: Das hängt davon ab, welchen Zeitraum man sich ansieht. Von 2012 bis 2016 ist die Zahl stark angestiegen, und zwar von 126.000 auf 173.000. Der Höhepunkt wurde im März 2017 erreicht, seit damals sinkt die Zahl der Bezieher aber wieder.
Tatsache ist, dass in Wien mehr als die Hälfte der Mindestsicherungsbezieher leben, was aber auch mit der Position als einzige Großstadt zusammenhängt. So ziehen beispielsweise viele Asylberechtigte nach Wien, weil sie sich dort ihren Communitys anschließen können. Und in einer anonymen Großstadt ist die Hemmschwelle, einen Antrag auf Sozialhilfe zu stellen, nicht ganz so groß wie in einer kleinen Landgemeinde.
Die FPÖ spricht davon, dass die Mindestsicherung in Wien eine „Förderung tschetschenischer Großfamilien“wäre, Infrastrukturminister Norbert Hofer sprach in der „ZiB 2“von 30.000 Betroffenen. Diese Zahl ist definitiv viel zu hoch gegriffen, 2017 gab es insgesamt 43.000 Bezieher aus Drittstaaten. Laut Auskunft der Stadt Wien haben 4500 Bezieher die russische Staatsbürgerschaft.
Obdachlose
15.000 Obdachlose gibt es laut Bundeskanzler Kurz in Wien, eine Zahl, die mangels Statistiken schwer nachzuprüfen ist. Der Fonds Soziales Wien hat 2017 11.100 Menschen in der Wohnungslosenhilfe betreut, wobei die allermeisten von ihnen nicht auf der Straße leben, sondern in betreuten Einrichtungen, wo sie zudem einen Beitrag für die Unterbringung zahlen. Die Zahl der Obdachlosen kann am besten aus den Notquartieren im Winter abgeleitet werden, wo 1400 Schlafplätze zur Verfügung stehen. Nur bei einem Drittel der Klienten handelt es sich dabei um Österreicher.
Arbeitslose
Die Arbeitslosigkeit liegt in Wien bei 13 Prozent und damit weit über dem Bundesdurchschnitt, eine Zahl, die unstrittig ist. Aber auch in Wien geht, wie in ganz Österreich, die Arbeitslosigkeit derzeit wieder zurück. Und relativierend ist zu sagen: Wien ist im vergangenen Jahrzehnt rasant gewachsen, die Bevölkerungszahl ist von 2007 bis 2017 um zwölf Prozent gestiegen. Nicht nur die Arbeitslosigkeit ist in den vergangenen Jahren in Summe gestiegen, sondern auch die Zahl der Beschäftigten: Von 770.000 im Jahr 2008 auf 840.000. Zudem kann Wien nicht isoliert betrachtet werden: Rund 150.000 bis 200.000 Einpendler aus dem Umland finden Arbeit in der Bundeshauptstadt.
Wirtschaftsentwicklung
Wien hinkt anderen Bundesländern hinterher, und es gebe eine massive Überschuldung, sagt Kurz. Das allerdings lässt sich aus den Daten nur schwer ablesen. So wie der Großstadtfaktor dafür sorgt, dass es eine deutlich höhere Anzahl an Mindestsicherungsbeziehern gibt, führt er auch dazu, dass Wien eine höhere Wirtschaftsleistung hat: Das Pro-Kopf-Einkommen ist deutlich höher als im österreichischen Durchschnitt, das Bruttoregionalprodukt liegt bei 93 Mrd. Euro und damit deutlich über allen anderen Bundesländern. Und bei der Pro-Kopf-Verschuldung liegt Wien – wenn man die Schulden der Gemeinden mit einberechnet – an fünfter Stelle unter den Bundesländern.