Furrers Apokalypse im Schnee
Berlin. Die Staatsoper Unter den Linden brachte Beat Furrers Oper „Violetter Schnee“heraus: eine vor allem diskursive Novität, die Umweltsünden des Menschen beklagt.
In Wien ist soeben die Bruegel-Ausstellung im Kunsthistorischen Museum zu Ende gegangen, in Berlin geht es mit Bruegel weiter: in der Oper. Denn Pieter Bruegels d. Ä. in Wien im Original zu besichtigendes Gemälde „Die Jäger im Schnee“prägt das Bühnenbild der Uraufführung von Beat Furrers „Violetter Schnee“. Im ersten Anblick eine Idylle, bei genauerer Analyse eine Auseinandersetzung mit der Apokalypse. Darum geht es auch Furrer und seinem Librettisten Händl Klaus in diesem pausenlosen, 105 Minuten langen Opus, einem Auftragswerk der Berliner Staatsoper.
Ausgelöst wird das Geschehen durch einen Albtraum: Ein Schneewehen hat alle eingeschlossen, Entrinnen ist unmöglich. Die Mittel werden knapp. Selbst der Tisch muss verheizt werden, um wenigstens kurzfristig Wärme zu bekommen. Während sich Peter und Silvia der unerwarteten Lage wehrlos ausgesetzt sehen, nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen, versuchen Jan und Natascha, das Beste daraus zu machen. Jacques wiederum sucht geradezu die Kommunikation mit dem Schnee. Mit dem Auftreten von Tanja, die Jacques an seine verstorbene Frau erinnert, keimt unerwartet Hoffnung. Dabei hat sie im ausführlichen Prolog in betont stockender, geradezu nach Luft ringender Manier, was durch die entsprechende Rhythmik der Musik noch verstärkt wird, in einem dem Kunsthistorischen Museum nachgebauten Ambiente die Hiobsbotschaft des Bruegel-Bildes erläutert. Aber eben nur dem Publikum der Aufführung, nicht den vom Schnee Eingeschlossenen.
Tanja – die einzige Sprechrolle, virtuos von Martina Gedeck gestaltet – stößt nicht nur später zu den fünf, sondern verlässt sie auch als Erste. Plötzlich fällt sie um. Die Musik kommentiert dies mit einem alle erschreckenden Knall. Ruhelos stürmen die anderen, die nach und nach die Fähigkeit verloren haben zu reden, die Treppe hinauf, geplagt von Halluzinationen, die sie andere Personen aus Gegenwart und Vergangenheit sehen lassen – auch auf dem von den Schneemassen fast schon erdrückten Dach.
Claus Guths Inszenierung in den geschmackvollen, in subtilen Farbtönen gehaltenen Tableaus von E´tienne Pluss erzählt: Die Erde, provoziert durch Umweltsünden, schlägt zurück. Der Mensch hat durch unverantwortliches Agieren seine Dispositionsfähigkeit verloren, ist den Launen des Planeten ausgeliefert. Im Prolog findet sich das schon angedeutet, wenn Lukrez zitiert wird: „Nicht, dass wie Flammen die Mauern des Weltalls auseinanderbrechen, uns der Boden unter den Füßen entzogen wird und nichts bleibt als unendliche Leere.“
Vorbilder: Tarkowski, Sorokin
Inspiriert zu diesem die Sprachlosigkeit der Gegenwart geißelnden Sujet wurde Händl Klaus von einem Moment aus Andrej Tarkowskis Film „Solaris“, der die Zuschauer förmlich ins Dunkel zieht, und einer Erzählung von Vladimir Sorokin. Für die daraus gewonnene finale Aussage blieb das Schlussbild, das den ersten zögerlichen Auftritt der Menschen in einer fremden, neuen Welt symbolisieren soll, seltsam unschlüssig: Personen, die sich mehr oder minder in eine Richtung bewegen, begleitet von einem vorerst nicht eindeutig zu definierenden Licht, das offensichtlich violett strahlen soll. Aber bereits im Vorfeld sagte Claus Guth, dessen Regie weniger auf Personencharakteristik, vielmehr auf eine sich filmisch zueinander fügende Bilderfolge setzt: „Diesen Schluss kann man nicht inszenieren. Es geht da eher um eine Bildfindung.“
„Die Musik erzählt den Verfall dessen, was man gekannt, was man geliebt hat“, charakterisiert Furrer die Intention des Werks. Es präsentiert sich im Wesentlichen als ein weniger aggressiv als subtil diese Endzeitstimmung anpeilendes, Sprechgesang mit virtuosen Vokalismen verknüpfendes, auf atmosphärische Glissandi wie weiträumige Modulationen setzendes, großflächiges Adagio. Eine weniger dem schreienden Effekt als dem intimen Innehalten verpflichtete, ausdrucksintensive Musik, die tiefe Verzweiflung wie zart aufkeimende Hoffnung gleichermaßen imaginiert.
Das erfordert besondere Konzentration von den Besuchern wie den Musikern, denen Furrer einiges abverlangt. Vornehmlich den glänzend aufeinander abgestimmten Solisten Anna Prohaska, Elsa Dreisig, Gyula Orendt, Georg Nigl und Otto Katzameier. Auch das 16-stimmige Vocalconsort Berlin und die Staatskapelle Berlin realisierten die rhythmisch komplexe Partitur mit staunenswerter Selbstverständlichkeit. Nicht zuletzt ist das ein Verdienst des Dirigenten Matthias Pintscher, dem es vor allem darum gegangen ist, die subtilen melodischen Strukturen transparent darzustellen. Ganz konnte er die unterschiedlichen Spannungskurven der Musik damit nicht vergessen machen. Am Ende einhelliger Beifall.