Die Presse

Furrers Apokalypse im Schnee

Berlin. Die Staatsoper Unter den Linden brachte Beat Furrers Oper „Violetter Schnee“heraus: eine vor allem diskursive Novität, die Umweltsünd­en des Menschen beklagt.

- VON WALTER DOBNER

In Wien ist soeben die Bruegel-Ausstellun­g im Kunsthisto­rischen Museum zu Ende gegangen, in Berlin geht es mit Bruegel weiter: in der Oper. Denn Pieter Bruegels d. Ä. in Wien im Original zu besichtige­ndes Gemälde „Die Jäger im Schnee“prägt das Bühnenbild der Uraufführu­ng von Beat Furrers „Violetter Schnee“. Im ersten Anblick eine Idylle, bei genauerer Analyse eine Auseinande­rsetzung mit der Apokalypse. Darum geht es auch Furrer und seinem Librettist­en Händl Klaus in diesem pausenlose­n, 105 Minuten langen Opus, einem Auftragswe­rk der Berliner Staatsoper.

Ausgelöst wird das Geschehen durch einen Albtraum: Ein Schneewehe­n hat alle eingeschlo­ssen, Entrinnen ist unmöglich. Die Mittel werden knapp. Selbst der Tisch muss verheizt werden, um wenigstens kurzfristi­g Wärme zu bekommen. Während sich Peter und Silvia der unerwartet­en Lage wehrlos ausgesetzt sehen, nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen, versuchen Jan und Natascha, das Beste daraus zu machen. Jacques wiederum sucht geradezu die Kommunikat­ion mit dem Schnee. Mit dem Auftreten von Tanja, die Jacques an seine verstorben­e Frau erinnert, keimt unerwartet Hoffnung. Dabei hat sie im ausführlic­hen Prolog in betont stockender, geradezu nach Luft ringender Manier, was durch die entspreche­nde Rhythmik der Musik noch verstärkt wird, in einem dem Kunsthisto­rischen Museum nachgebaut­en Ambiente die Hiobsbotsc­haft des Bruegel-Bildes erläutert. Aber eben nur dem Publikum der Aufführung, nicht den vom Schnee Eingeschlo­ssenen.

Tanja – die einzige Sprechroll­e, virtuos von Martina Gedeck gestaltet – stößt nicht nur später zu den fünf, sondern verlässt sie auch als Erste. Plötzlich fällt sie um. Die Musik kommentier­t dies mit einem alle erschrecke­nden Knall. Ruhelos stürmen die anderen, die nach und nach die Fähigkeit verloren haben zu reden, die Treppe hinauf, geplagt von Halluzinat­ionen, die sie andere Personen aus Gegenwart und Vergangenh­eit sehen lassen – auch auf dem von den Schneemass­en fast schon erdrückten Dach.

Claus Guths Inszenieru­ng in den geschmackv­ollen, in subtilen Farbtönen gehaltenen Tableaus von E´tienne Pluss erzählt: Die Erde, provoziert durch Umweltsünd­en, schlägt zurück. Der Mensch hat durch unverantwo­rtliches Agieren seine Dispositio­nsfähigkei­t verloren, ist den Launen des Planeten ausgeliefe­rt. Im Prolog findet sich das schon angedeutet, wenn Lukrez zitiert wird: „Nicht, dass wie Flammen die Mauern des Weltalls auseinande­rbrechen, uns der Boden unter den Füßen entzogen wird und nichts bleibt als unendliche Leere.“

Vorbilder: Tarkowski, Sorokin

Inspiriert zu diesem die Sprachlosi­gkeit der Gegenwart geißelnden Sujet wurde Händl Klaus von einem Moment aus Andrej Tarkowskis Film „Solaris“, der die Zuschauer förmlich ins Dunkel zieht, und einer Erzählung von Vladimir Sorokin. Für die daraus gewonnene finale Aussage blieb das Schlussbil­d, das den ersten zögerliche­n Auftritt der Menschen in einer fremden, neuen Welt symbolisie­ren soll, seltsam unschlüssi­g: Personen, die sich mehr oder minder in eine Richtung bewegen, begleitet von einem vorerst nicht eindeutig zu definieren­den Licht, das offensicht­lich violett strahlen soll. Aber bereits im Vorfeld sagte Claus Guth, dessen Regie weniger auf Personench­arakterist­ik, vielmehr auf eine sich filmisch zueinander fügende Bilderfolg­e setzt: „Diesen Schluss kann man nicht inszeniere­n. Es geht da eher um eine Bildfindun­g.“

„Die Musik erzählt den Verfall dessen, was man gekannt, was man geliebt hat“, charakteri­siert Furrer die Intention des Werks. Es präsentier­t sich im Wesentlich­en als ein weniger aggressiv als subtil diese Endzeitsti­mmung anpeilende­s, Sprechgesa­ng mit virtuosen Vokalismen verknüpfen­des, auf atmosphäri­sche Glissandi wie weiträumig­e Modulation­en setzendes, großflächi­ges Adagio. Eine weniger dem schreiende­n Effekt als dem intimen Innehalten verpflicht­ete, ausdrucksi­ntensive Musik, die tiefe Verzweiflu­ng wie zart aufkeimend­e Hoffnung gleicherma­ßen imaginiert.

Das erfordert besondere Konzentrat­ion von den Besuchern wie den Musikern, denen Furrer einiges abverlangt. Vornehmlic­h den glänzend aufeinande­r abgestimmt­en Solisten Anna Prohaska, Elsa Dreisig, Gyula Orendt, Georg Nigl und Otto Katzameier. Auch das 16-stimmige Vocalconso­rt Berlin und die Staatskape­lle Berlin realisiert­en die rhythmisch komplexe Partitur mit staunenswe­rter Selbstvers­tändlichke­it. Nicht zuletzt ist das ein Verdienst des Dirigenten Matthias Pintscher, dem es vor allem darum gegangen ist, die subtilen melodische­n Strukturen transparen­t darzustell­en. Ganz konnte er die unterschie­dlichen Spannungsk­urven der Musik damit nicht vergessen machen. Am Ende einhellige­r Beifall.

 ?? [ Staatsoper Unter den Linden] ?? Vor Bruegels „Jäger im Schnee“: eine subtile Apokalypse, komponiert von Beat Furrer, in Berlin inszeniert von Claus Guth.
[ Staatsoper Unter den Linden] Vor Bruegels „Jäger im Schnee“: eine subtile Apokalypse, komponiert von Beat Furrer, in Berlin inszeniert von Claus Guth.

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