Die Bundesregierung, Wien und eine kriegerische Sprache
Die schwarz-blaue Koalition und das rot-grüne Wien befinden sich angeblich in einer Art Kriegszustand. Politische Debatten verlaufen mitunter martialisch.
Make peace, not war“– immer wieder beschwor der vor Kurzem verstorbene, große israelische Schriftsteller, Intellektuelle und Friedensaktivist Amos Oz in Vorträgen und Interviews diesen Leitsatz. „Mach Frieden, führe keinen Krieg“hätte derzeit auch in Österreich das Zeug zu einer politischen Handlungsanleitung.
Denn in unserem Land herrscht offenbar eine Art Kriegszustand, zumindest zwischen der Bundesregierung und Wien. Innenpolitische Beobachter liefern Kampfansagen von der Front – wie etwa, dass das rot-grüne Wien sich „im Sperrfeuer der Koalition“befinde und „sturmreif geschossen“werden solle. Der Unmut, der angesichts des häufigen Gebrauchs des Wortes „Krieg“aufkommen könnte, wird mit dem Nachschub besänftigt, das Wort Polemik komme schließlich vom altgriechischen „polemos“,´ und das bedeute eben „Krieg“.
Führen dann eigentlich zwei sich mit Waffen bekämpfende Staaten Polemik oder doch Krieg gegeneinander? Und ist der Unterschied zwischen Polemik und Krieg nicht zuletzt die Wahl der Worte beziehungsweise der Waffen?
Polemik ist im deutschen Sprachgebrauch, wie es in Meyers Konversationslexikon aus dem Jahr 1896 heißt, gleichbedeutend mit wissenschaftlicher, politischer, literarischer „Streitkunst“, mit einem durchaus scharf geführten intellektuellen Meinungsstreit also. Wenn man statt im Griechischlexikon im „Duden“nachschlägt, ist Krieg als „organisierter, mit Waffengewalt ausgetragener Machtkonflikt zwischen Völkerrechtssubjekten oder Bevölkerungsgruppen eines Staates (in dem Fall: Bürgerkrieg) zur gewaltsamen Durchsetzung politischer, wirtschaftlicher, ideologischer und militärischer Interessen“definiert.
Bei aller Härte der Kontroverse sind die politischen Reibereien in Österreich nicht, wie Wikipedia zum Stichwort „Krieg“auflistet, gleichbedeutend mit „Gewalthandlungen, die gezielt die körperliche Unversehrtheit gegnerischer Individuen“angreifen und so „zu Tod und Verletzung“führen. Ja, es prallen mitun- ter unterschiedliche politische Denkmodelle und Gesellschaftskonzepte brutal aufeinander, was aber in Demokratien eigentlich als normal gelten sollte. Und, ja, einige Politiker, die sich nun wehleidig um die sprachliche Hygiene sorgen, agieren selbst bedenkenlos hetzerisch, wie gerade blaue Wortmeldungen, aber auch die eine oder andere Nazi-Keulenschleuderei regelmäßig bezeugen.
Soll man sich also auf das Niveau der politischen Verbalrabauken begeben und die österreichische Innenpolitik zum Kriegsschauplatz hochjazzen? Ist, wer Gleiches mit Gleichem zu beantworten für nicht sehr konstruktiv hält, ein Relativist oder – frei nach Hans Rauscher – ein Beideseitist?
Sprachliche Abrüstung wäre erstrebenswert: im Alltag, in Kommentaren, Onlineforen, Politikerreden, im Umgang mit Flüchtlingen, Arbeitslosen, Mindestsicherungsbeziehern, mit politisch Andersdenkenden, mit der Caritas, religiösen und ethnischen Minderheiten, Migranten, Moslems, Christen, Juden, mit Frauen, Schwachen, Alten, verhaltensauffälligen Jugendlichen, . . . Die Liste lässt sich fortsetzen.
Amos Oz sprach 2002 in seiner Tübinger Vorlesung im Zusammenhang mit der Gewalteskalation im Nahen Osten über die Notwendigkeit zum Kompromiss: „Ich weiß, dass das Wort Kompromiss in den idealistischen Kreisen Europas einen furchtbaren Ruf hat, insbesondere bei jungen Menschen. Kompromisse werden betrachtet als Mangel an Integrität, Mangel an moralischem Rückgrat, Mangel an Standhaftigkeit, an Ehrlichkeit. Kompromisse stinken, Kompromisse sind verlogen. Nicht in meinem Vokabular. In meiner Welt sind Kompromisse ein Synonym für das Wort Leben. Das Gegenteil von Kompromissen sind Fanatismus und Tod.“
Seine klugen, hochpolitischen und -poetischen Vorlesungen sind übrigens unter dem Titel „Wie man Fanatiker kuriert“in der Edition Suhrkamp erschienen: Unbedingt lesen!