Sonderstrafrecht für unbelehrbare Skifahrer?
Lawinenunglücke. Nach geltendem Recht macht man sich mit dem unbedachten Auslösen einer Lawine nur dann gerichtlich strafbar, wenn dadurch andere konkret gefährdet werden. Das soll auch so bleiben.
Innsbruck. Die großen Neuschneemengen im Jänner und mehrere Lawinenunglücke haben eine rege juristische Diskussion in Gang gesetzt: Sollen „Ski-Hooligans“, die Verbotstafeln und Warnschilder ignorieren und bei ihren gefährlichen Unternehmungen womöglich Lawinen auslösen, strafbar sein? Die Bundesregierung tritt dafür ein und verweist darauf, dass diese Personen dadurch nicht nur sich selbst, sondern auch andere (insbesondere Bergretter) in Gefahr bringen. Aber brauchen wir wirklich neue Strafbestimmungen?
1 Was ist nach geltender Rechtslage strafbar, was nicht?
Nach derzeitiger österreichischer Rechtslage muss man differenzieren: Wenn eine andere Person durch ein derartiges Verhalten konkret gefährdet wird, kann sich der Verursacher gerichtlich strafbar machen: entweder nach § 89 Strafgesetzbuch (Gefährdung der körperlichen Sicherheit) oder nach § 177 StGB (fahrlässige Gemeingefährdung), wenn gleichzeitig etwa zehn Personen oder mehr gefährdet werden.
Von einer konkreten Gefährdung spricht man, wenn sich ein anderer unmittelbar im Gefahrenbereich befunden hat, wenn jemand beinahe zu Schaden gekommen wäre: also zum Beispiel, wenn jemand der Lawine gerade noch entrinnen konnte oder auch (teilweise) verschüttet wurde, aber glücklicherweise unverletzt geblieben ist. Wurde eine Person verletzt oder gar getötet, kommen die Delikte der (grob) fahrlässigen Körperverletzung oder Tötung (§§ 88, 80 und 81 StGB) in Betracht.
2 Was gilt, wenn niemand anderer gefährdet wird?
Wenn eine Lawine ausgelöst wird, sich aber niemand im unmittelbaren Gefahrenbereich aufgehalten hat, besteht keine Strafbarkeit: wenn die Lawine zum Beispiel irgendwo im freien Gelände oder auf eine gesperrte Piste abgeht, auf der keine Skifahrer unterwegs wa- ren. In einem solchen Fall spricht man von einer bloß abstrakten Gefährdung, die nach österreichischer Rechtslage nicht gerichtlich strafbar ist.
Das Verhalten ist vergleichbar mit einem Autofahrer, der ein waghalsiges Überholmanöver vor einer nicht einsehbaren Kurve durchführt, aber das Glück hat, dass kein Fahrzeug entgegenkommt. Solche abstrakten Gefährdungen sind in Österreich nicht gerichtlich strafbar; Fahrzeuglenker machen sich aber in der Regel wegen einer Verwaltungsübertretung (§ 16 StVO) strafbar.
3 Bei welchem Verschuldensgrad ist eine Gefährdung strafbar?
Für eine Strafbarkeit wegen (konkreter) Gefährdung der körperlichen Sicherheit verlangt § 89 StGB überdies, dass der Täter sich grob fahrlässig verhalten hat: Das heißt, der Täter muss ungewöhnlich und auffallend sorglos gehandelt haben, sodass ein Unfall geradezu wahrscheinlich war. Wenn ein Variantenfahrer die wegen hoher Lawinengefahr aufgestellten Warntafeln und womöglich sogar Absper- rungen missachtet, um einen unberührten Pulverhang befahren zu können, dann wird man von grober Fahrlässigkeit sprechen können.
Diese gesteigerte Anforderung an die Fahrlässigkeit ist vernünftig: Würde man einfache Fahrlässigkeit genügen lassen, läge bei fast jedem Verkehrsunfall mit größerem Sachschaden, in den eine andere Person involviert ist, bereits der Verdacht einer gerichtlich strafbaren Handlung vor. Für diese Fälle ist gerichtliche Strafbarkeit überzogen und würde die Strafverfolgungsbehörden auch völlig überfordern.
4 Haften sorglose Skifahrer für die Gefährdung der Retter?
Bei den „unbelehrbaren“Variantenfahrern, die Sperren missachten und eine Lawine auslösen, von der sie selbst verschüttet werden, wird oft darauf hingewiesen, dass dadurch die Rettungsmannschaften gefährdet werden, die zur Suche und Bergung des Verschütteten ausrücken. Derartige „Folgegefährdungen“sind dem Verursacher aber nach herrschender ös- terreichischer Ansicht nicht zuzurechnen und können daher keine Strafbarkeit nach § 89 StGB begründen: Die Retter handeln ja eigenverantwortlich; sie gehen ein berufstypisches Risiko ein und müssen aufgrund ihres Wissens und ihrer Erfahrung selbst beurteilen, ob der Rettungseinsatz vertretbar oder zu gefährlich ist. Bei akuter Lawinengefahr oder besonders schlechten Wetterbedingungen findet kein Rettungseinsatz statt, oder er wird abgebrochen. Auch unvernünftige Bergwanderer („Halbschuhtouristen“), Tourengeher oder Kletterer, die bei widrigsten Bedingungen eine Tour unternehmen und dabei in Bergnot geraten, können sich nicht darauf verlassen, gerettet zu werden: Sie haben sich eigenverantwortlich selbst gefährdet und werden nur geborgen, wenn das Risiko für die Bergretter vertretbar ist. Kein Retter, kein Feuerwehrmann ist dazu verpflichtet, sein Leben oder seine Gesundheit aufs Spiel zu setzen, wenn der Einsatz zu gefährlich ist. Auch diese Bergsportler machen sich nicht strafbar, wenn ein Retter beinahe oder tatsächlich zu Schaden kommt.
5 Wie stellt sich die Rechtslage in Italien dar?
Mitunter wird auf die Rechtslage in Italien als Vorbild verwiesen: Im italienischen Strafgesetzbuch gibt es einen Straftatbestand für das fahrlässige Auslösen von Lawinen (Art 449 iVm Art 426 codice penale). Das Delikt verlangt nach seinem Wortlaut zwar keine (konkrete) Gefährdung einer Person, es wird aber einschränkend ausgelegt und in der Praxis nur in Fällen angewendet, in denen Personen konkret gefährdet wurden. So auch im Fall Kaserer, der sich im Jahr 2000 im Schnalstal ereignete und auf den oft hingewiesen wird. Der Mann hatte eine Lawine abgetreten, die auf eine gesperrte Skipiste abging und eine Pistenraupe teilweise verschüttete. Der Fahrer der Pistenraupe wurde dadurch zweifellos konkret gefährdet.
6 Soll es besondere Strafbestimmungen für Skifahrer geben?
Gerichtliche Strafbarkeit für unbelehrbare Skifahrer, die Warn- und Verbotstafeln missachten, ohne andere konkret zu gefährden, ist abzulehnen. Es lässt sich nicht vernünftig argumentieren, warum gerade für diese Fälle ein „Sonderstrafrecht“geschaffen werden sollte, während für zumindest gleich gefährliches Verhalten, etwa im Straßenverkehr, anderes gilt.
Über Verwaltungsstrafen für rücksichtslose Skifahrer, die Stopptafeln missachten und gesperrte Pisten und Hänge befahren, kann man durchaus diskutieren. Dann müsste aber auch für eine ausreichende Kontrolle dieser Verbote gesorgt werden, was nicht leicht zu bewerkstelligen ist. Und Warnschilder und Absperrtafeln müssten auch wirklich gefahrenabhängig eingesetzt werden. Denn wenn sie das ganze Jahr über ohne Rücksicht auf die konkreten Verhältnisse stehen bleiben, sind sie nutzlos und werden nicht ernst genommen.