Russland: Ein traumhafter Jahresstart
Schwellenländer. Die Emerging Markets feiern ein fulminantes Comeback. Im ersten Teil unserer Serie geht es um Russland, dessen Aktienmarkt nur von neuen Sanktionen gebremst werden kann. Bei einem Kriterium ist er gar Weltmeister.
Die Emerging Markets feiern ein fulminantes Comeback. Russland ist bei einem Kriterium Weltmeister.
Es war das Pünktchen auf dem i, als die Ratingagentur Moody’s am 9. Februar das Länderrating Russlands von Ramsch- auf Investitionsniveau gehoben hat. Die beiden anderen Agenturen, Fitch und Standard & Poor’s, bescheinigten Russland dieses Rating schon lang vorher. Die Entscheidung von Moody’s sei gerecht, aber komme halt etwas verspätet, quittierte Finanzminister Anton Siluanov die Neubewertung süffisant. Und so hatte sie auf den Markt auch keine Auswirkung mehr.
In der Tat finden in Wladimir Putins Reich schon seit geraumer Zeit Veränderungen hin zu mehr Stabilität statt. Das zeigt sich etwa in der Ausgabendisziplin, die der Kremlchef walten lässt und mit der er einen Polster gegen etwaige weitere äußere Schocks geschaffen hat. Der Schock der Jahre nach der Krim-Annexion, als zur strukturellen Wirtschaftskrise die Sanktionen und der Ölpreisverfall kamen, sitzt den Machthabern in den Knochen.
Reserven und Wachstum
Und so werden die Reserven wieder aufgefüllt, um etwaige neue US-Sanktionen abfedern zu können, wie auch Moody’s anmerkt: Die Leistungsbilanz 2018 weist mit genau 100 Mio. Euro einen Überschuss auf wie noch nie. Die Außenverschuldung ist auf ein mehrjähriges Tief gesunken, der Budget- überschuss mit 2,7 Prozent des BIP so hoch wie seit der Rohstoffhausse 2006 nicht. Und die Goldund Währungsreserven haben das relativ hohe Niveau von 475 Mrd. Dollar erreicht, wobei eine radikale Umschichtung weg von US-Staatsanleihen die Vorsicht untermauert.
Wie es indes um den Fortgang der Wirtschaft wirklich aussieht, ist umstritten. Das von der Statistikbehörde Rosstat ausgewiesene BIP-Wachstum von ungeahnten 2,3 Prozent 2018 wird von Experten als frisiert interpretiert. Die Realeinkommen gehen das fünfte Jahr am Stück zurück. Die Inflation, bis vor Kurzem noch weit unter vier Prozent gedrückt, zieht wieder an. Und für 2019 prognostiziert das Wirtschaftsministerium weiter ein BIP-Plus von nur 1,3 Prozent.
Trendwende dank der Fed
Am Aktienmarkt merkte man von diesen Sorgen bis zuletzt nichts. Im Gegenteil: Die Börse ist nach einem sehr schwachen Jahr 2018 so selbstbewusst ins neue Jahr gestartet wie kaum jemals. So legte der in Dollar denominierte Index RTS seit Jahresbeginn bis zur Mitte der Vorwoche um über elf Prozent zu. Das verdankt sich freilich zum Teil auch der jüngsten Rubelaufwertung.
Diese kostete den in Rubel denominierten Index IMOEX zuletzt etwas an Dynamik. Dennoch markierte er in der ersten Februarhälfte wiederholt Allzeithochs.
Der Rubel verdankt – wie viele Schwellenländerwährungen – seine jüngste Aufwertung dem Umstand, dass die US-Notenbank Fed eine Pause bei den Leitzinserhöhungen verkündet und sich eine Entspannung im Handelskonflikt zwischen den USA und China ab- gezeichnet hat. Entsprechend hat sich die Einstellung der Investoren auch zu den Aktienmärkten in den Schwellenländern geändert. Waren sie die längste Zeit gemieden, weil das Geld aufgrund der strafferen US-Zinspolitik in die USA wanderte, so sind sie nun wieder merklich gefragt, wie die Bank of America Merrill Lynch in einem Bericht festhält.
Russlandspezifika
Im Falle Russlands kommt hinzu, dass der Ölpreis nach seinem Verfall im vierten Quartal wieder um über 20 Prozent zugelegt hat. Und auch wenn die Wirtschaft nicht sprunghaft wachse, so sei sie entgegen den Prognosen doch in keine Rezession gerutscht, wie Vjatscheslav Smoljaninov, stellvertretender Chefanalyst bei BCS Global Markets, im Gespräch mit der „Presse“sagt. Beflügelt wurde die russische Börse zuletzt auch dadurch, dass die USA die harten Sanktionen gegen den Aluminiumkonzern Rusal zurückzog. Jetzt wisse man, dass harte Sanktionen gegen Großkonzerne wohl kaum noch verhängt werden, so das Fazit der Analysten. Trotzdem herrscht seit Mittwoch wieder neue Unsicherheit, weil ein US-Gesetzesentwurf für neue Sanktionen eingebracht wurde, die unter anderem russische Staatsanleihen betreffen könnten.
Blendet man diesen Faktor aus, so spricht der aktuelle Moment so klar für russische Aktien wie seit Jahren nicht. Hatte etwa das KursGewinn-Verhältnis schon im Schnitt der vergangenen fünf Jahre nur 6,5 bis sieben betragen, so ist es jetzt 5,5. Der russische Markt sei „stark unterbewertet“, meint Michail Poddubskij, Analyst der Promsjvazbank, in einem Kommentar. Die BCS sieht den positi- ven Trend auf dem Aktienmarkt vorerst bis April oder Mai intakt und hat das Jahresziel für den RTS, der vor dem Wochenende aufgrund der Sanktionsandrohung auf etwa 1170 Punkten gesunken ist, auf 1450 Punkte erhöht.
Branchen und Dividenden
Was die Branchen betrifft, so sieht Smoljaninov die Banken als klare Profiteure der jetzigen Situation. Wichtigster Vertreter ist der staatliche Branchenprimus Sberbank, der ein Drittel der russischen Bankenbilanzsumme abdeckt. Als aussichtsreich gilt auch die private und aufstrebende Onlinebank TCS Group. Neben den Banken zählen die größten Öl- und Gaswerte wie Rosneft, Lukoil oder Gazprom zu den Favoriten. Smoljaninov fügt noch Yandex hinzu, „die beste Geschichte im russischen IT-Sektor“. Als Internetsuchmaschine hat Yandex im Inland die Nase vor Google. Starke Kooperationen weiten ihre Macht im Onlinehandel oder Taxisektor aus. Unklar ist bislang, wie sich der Retailsektor an die neue Situation angepasst hat. Die Branchenwerte, allen voran X5, mussten im Vorjahr deutlich Federn lassen, da der Konsum schwächelt. Über allem steht, dass Russland die attraktivsten Dividendenrenditen der Welt bietet. Im Schnitt sind es derzeit 6,8 Prozent.