Was für ein Ende der Ski-WM: Dreifachsieg für Österreich
Interview. Ex-Rennläufer Ivica Kostelic sinniert über Niveau und Zukunft des Skirennsports, langweilige Slalomkurse und die Frage, ob heutzutage Charaktere fehlen. Der Kroate genoss die Zuschauerrolle bei der WM, Trainer will er keiner werden.
Das österreichische Slalom-Team der Herren hat im Abschlussbewerb der SkiWeltmeisterschaften 2019 in Åre für einen sensationellen Dreifachsieg gesorgt. Halbzeitleader Marcel Hirscher (Mitte) setzte sich am Sonntag mit 65 Hundertstelsekunden vor Michael Matt (links) und Marco Schwarz (0,76) durch. Der 29-jährige Hirscher übertraf dank seines Triumphs mit nun sieben Gold- und vier Silbermedaillen seinen Landsmann Toni Sailer (7/1/0) in der Allzeit-WM-Bestenliste der Herren.
Die Presse: Wie fällt Ihr Resümee der WM in A˚re aus? Ivica Kostelic: Das Skifahren war auf sehr hohem Niveau, die Weltmeister waren alle aus dem Favoritenkreis. A˚re ist nicht bekannt für Fanmassen, aber die Stimmung war okay. Die erste Woche war so kalt, dann der Regen – es ist nicht leicht, hier ein Fan zu sein.
Veranstalter aber auch nicht. Wären Sie als Rennläufer zufrieden mit den Pisten gewesen? Das ist schwierig zu sagen. Die Wetterbedingungen waren nicht einfach, am Ende hätten sich alle längere, härtere Pisten gewünscht. Aber ich habe großen Respekt für die Pistencrews, sie haben einen Wahnsinnsjob gemacht. Ich kann die Kritik der Läufer verstehen, aber ich weiß auch, dass die Organisatoren in den allermeisten Fällen probieren, ihr Bestes zu geben.
Bei Österreich lastete wieder viel Druck auf Marcel Hirscher. Müsste bei einem Verband wie dem ÖSV mehr herausschauen? Die Erwartungen in Österreich sind unglaublich groß, aber es ist nie leicht zu gewinnen, auch wenn man alle Komponenten für den Erfolg hat. Ich habe in meinem Leben wahrscheinlich mehr Tage in Österreich als in Kroatien verbracht und Land und System kennengelernt. Das ist ein so breites Thema, darüber müssten wir ein eigenes Interview führen. Aber kurz gesagt: Die Spezialisierung tut Österreich nicht gut. In einer Disziplin richtig gut werden können viele, den ganzheitlichen Skifahrer bringen nur ganz Große hervor.
Sie sind Verfechter der Kombination, die jetzt zumindest bis zur WM 2021 bleibt. Ein Weltcupformat soll erarbeitet werden. Wäre dafür nicht schon jahrelang Zeit gewesen? Die Entscheidung war wichtig, jetzt können wir über die Zukunft reden. In der aktuellen Form mit zwei Kombi-Rennen pro Jahr geht es sicher nicht, dafür ist der Trainingsaufwand zu groß. Außerdem braucht es eine bessere TV-Lösung. Mein Vorschlag: Die Besichtigungen direkt hintereinander machen und dann Abfahrt und Slalom mit 30 bis 45 Minuten Pause dazwischen. Leider ist die Kombination das Aschenputtel der Disziplinen, dabei ist sie die Substanz des Skisports. Parallelbewerbe sind 20 Tore von etwas, wovon ich nicht weiß, was es ist. Was soll daran der Fortschritt sein? Die Anzahl der Tore ist es nicht, die sportliche Herausforderung schon gar nicht. Die Fans kommen, wenn sie sehen, dass es schwierig ist – wie in Kitzbühel.
Ist die FIS innovativ genug? Es muss ja nicht eine neue Disziplin sein, aber bestehende wurden seit Ewigkeiten nicht adaptiert. Die FIS, das ist nicht Gian Franco Kasper, das sind wir alle. Und es gibt viele Dinge, die nicht im Bereich der Spitze liegen, etwa die Kurssetzung. Im Slalom folgt nur noch Schwung auf Schwung, da gibt es keine neuen Figuren. In Levi schauen für Laien alle von Nummer 1 bis 60 perfekt aus, das ist langweilig. Aber als mein Vater einmal eine versetzte Vertikale gesteckt hat, waren alle dagegen.
Sind also Athleten, Trainer und Verbände gefragt? Skifahren sucht nach dem Sinn des Sports, und das ist keine philosophische, sondern eine praktische Frage. Im Spitzensport steht über allem die Herausforderung, Unmögliches zu schaffen. In der NBA wurde die Linie für DreiPunkte-Würfe seit den 1960er-Jahren dreimal verschoben – immer weiter nach hinten. Im Skifahren rücken wir immer näher zum Korb hin. In Chamonix steht etwa 100 m über dem Start eine kleine Hütte. Günter Hujara (Anm.: früherer FISRenndirektor) hat uns erzählt, dass es das Starthaus aus Zeiten von In- gemar Stenmark und Bojan Krizajˇ ist. 30 Jahre später starten wir also weiter unten als Stenmark und Krizaj,ˇ obwohl alles – das Material, die Pisten – besser ist. Das ist, wie wenn man nach Norden will und nach Süden fährt.
Sie haben schon als Aktiver Ihre Meinung kundgetan. Fehlen dem Skisport heute solche Typen? Jeder hat eine Meinung, aber um sie zu äußern, muss man viel abwägen. Dafür haben Läufer heute keine Zeit und Energie. Leider haben wir keinen Alberto Tomba oder Bode Miller, die waren nicht nur als Rennläufer interessant.
Ein Effekt von Social Media? Ich glaube schon. Der Zeitgeist unserer Gesellschaft ist: „Don’t rock the boat“, also nur ja niemanden vor den Kopf stoßen. Wir sind Konformisten, ich weniger als andere. Mein Vater stammt aus einer anderen Zeit und ist ein anderer Mensch. Er will kein Handy, er schreibt nur auf Papier, und er will sich nicht anpassen. Wir aber sind uns alle ähnlich, vielleicht, weil wir alle unsere Informationen aus den gleichen Quellen beziehen.
Sie werden als Trainer der Brüder Kolega angeführt, folgen Sie diesen Fußspuren Ihres Vaters? Das stimmt so nicht. Sie werden von meinem Vater trainiert, wir haben früher gemeinsam Konditionstraining gemacht. Ich bin kein Trainer und will auch keiner sein. Das wäre das Gleiche wie als Rennfahrer, 300 Tage im Jahr unterwegs zu sein. Das habe ich 35 Jahre lang gemacht, jetzt habe ich eine Familie und möchte etwas anderes sehen. Ich bin Berater des Verbandes, unterstütze die Läufer mit meiner Erfahrung und kann dadurch meinen Sport von der Seite genießen.
Sie haben zwei Söhne und nun einen Neffen. Wird der Weltcup wieder einen Kostelic sehen? Ich sage immer, man soll keinen so großen Druck auf so kleine Schultern legen. Derzeit ist der Opa auch im Weltcup beschäftigt, aber er hat schon nachgefragt, warum Ivan, mein Älterer, nicht öfter Ski fährt. (lacht)