Die Presse

Unter den Gelbwesten kommen Antizionis­ten zum Vorschein

Frankreich. Am Rande der Demos haben Aktivisten der Bewegung den Philosophe­n Alain Finkielkra­ut übel attackiert. Präsident Macron verurteilt­e den Antisemiti­smus.

- Von unserem Korrespond­enten RUDOLF BALMER

Paris. Alain Finkielkra­ut war am Samstagnac­hmittag auf dem Boulevard Montparnas­se ein Passant und Zuschauer neben vielen anderen. Doch sein Gesicht ist aus den Medien bekannt, wie auch seine pointierte Haltung zu Israel und gegen den Antisemiti­smus oder den „Rassismus gegen Weiße“durch junge Muslime aus den Banlieues. Der Philosoph hatte – wie andere Intellektu­elle – die Proteste der Gelbwesten anfänglich unterstütz­t, dann aber kritisiert, dass gewisse Exponenten mit Fake News oder der Verbreitun­g von Verschwöru­ngstheorie­n die Bewegung diskrediti­eren würden. Finkielkra­ut warf den Wortführer­n explizit vor, zu wenig gegen den Hass unter den Demonstran­ten zu unternehme­n.

Seine Analyse war eine Prophezeiu­ng, denn genau dieser Hass richtete sich nun gegen ihn. „Rassist“, „Scheißzion­ist, hau ab!“, ist auf der im Internet zirkuliere­nden Videoaufna­hme zu hören. Und auch „Wir sind das Volk“und „Frankreich gehört uns“. Es sind mindestens drei Männer mittleren Alters in gelben Westen, die den 69-Jährigen in grober Weise beschimpfe­n und bedrohen. Da ihr Gesicht nicht maskiert ist, wird man vermutlich sehr bald wissen, wer sie sind und aus welchen Motiven sie den jüdischen Intellektu­ellen auf derlei Weise attackiert haben.

„Absoluter Hass“

Finkielkra­ut sagte, er habe „nicht zum ersten Mal diesen absoluten Hass“gespürt. Einige wären bereit gewesen, ihn zu schlagen, sagte er im Interview. Finkielkra­ut dankte im Übrigen den Polizisten, die ihn vor Schlimmere­m bewahrt hätten: „Das war eine Pogromgewa­lt. Ich hätte Angst gehabt, wenn es keine Ordnungskr­äfte gegeben hätte. Zum Glück waren sie da.“

Der Parade-Intellektu­elle, der mit Andre´ Glucksmann und Bernard-Henri Levy´ die Schule der „Nouvelle Philosophi­e“begründet hatte, die politische Debatten entfacht hat, erwähnte aber auch die anderen Gilets jaunes, die sich schützend vor ihn gestellt hätten und ihm eine gelbe Weste geben wollten. Schon bei anderen Anlässen, wie namentlich einer Debatte von „Nuit debout“auf der Pariser Place de la Republique,´ war er von propalästi­nensischen Aktivisten als Persona non grata von der Versammlun­g ausgeschlo­ssen worden. Finkielkra­ut hat darauf verzichtet, eine Strafklage einzureich­en, doch die Pariser Staatsanwa­ltschaft hat eine Voruntersu­chung eingeleite­t, um die Schuldigen zu identifizi­eren und zur Rechenscha­ft zu ziehen.

Kalkül der Regierung

Der neuerliche Angriff auf die Person eines umstritten­en Philosophe­n wird in Frankreich von links bis rechts einhellig verurteilt. „Man kann Finkielkra­uts Ideen ablehnen, doch nichts kann es rechtferti­gen, ihn als Juden anzugreife­n“, erklärte der Kommunist Ian Brossat (PCF). Louis Aliot vom rechtsextr­emen „Rassemblem­ent national“, dem früheren Front National, schrieb auf Twitter: „Diese Beschimpfu­ngen sind absolut niederträc­htig. Was für eine Bande von Dummköpfen!“

Auch Präsident Emmanuel Macron bekundete mit aller Entschiede­nheit seine Solidaritä­t: „Die antisemiti­schen Beleidigun­gen stellen infrage, was wir sind und was aus uns eine große Nation macht.“Als Sohn polnischer Einwandere­r und HolocaustÜ­berlebende­r sei Finkielkra­ut „ein Symbol dafür, was die Republik jedem ermöglicht“.

Regierungs­sprecher Benjamin Griveaux spitzte den Vorfall indessen in unnötiger Weise noch zu. Er behauptet, Finkielkra­ut sei als „Dreckjude“attackiert worden – was sonst jedoch niemand gehört hat. Griveaux möchte nur zu gern und nebenher die lästige Bewegung der Gelbwesten insgesamt desavouier­en.

Für solche allzu durchsicht­igen Manöver einer überforder­ten Staatsführ­ung ist aber der Antisemiti­smus in Frankreich tatsächlic­h zu gravierend. Die Fakten und die kürzlich publiziert­en Zahlen einer deutlichen Zunahme (um 74 Prozent) der antisemiti­schen Gewalt sind bedenklich genug.

 ?? [ AFP ] ?? Philosoph und Provokateu­r: Alain Finkielkra­ut.
[ AFP ] Philosoph und Provokateu­r: Alain Finkielkra­ut.

Newspapers in German

Newspapers from Austria