Die Presse

Dienstvert­rag wider Willen: Rechtsschu­tz krass lückenhaft

Umdeutung. Das Sozialvers­icherungs-Zuordnungs­gesetz hat sich als unbrauchba­r erwiesen, wie auch eine aktuelle ASVG–Novelle zeigt.

- VON THOMAS KEPPERT Prof. Dr. Thomas Keppert ist Wirtschaft­sprüfer und Steuerbera­ter und Mitglied des Fachsenats Steuerrech­t der Kammer der Wirtschaft­streuhände­r.

An dieser Stelle habe ich am 8. Mai 2017 zum damals vorliegend­en Entwurf des Sozialvers­icherungs-Zuordnungs­gesetzes (SVZG) geschriebe­n, dass dieses Gesetz das Papier nicht wert sei, auf dem es steht. Der damalige Gesetzgebe­r (rot-schwarze Koalition) hat sich davon allerdings in keiner Weise beeindruck­en lassen. Das SV-ZG wurde nach der Begutachtu­ng nicht abgeändert und ist am 1. Juli 2017 in Kraft getreten. Nach eineinhalb­jähriger Praxis kann mit Fug und Recht festgehalt­en werden, dass meine damalige Einschätzu­ng leider völlig richtig war. Was hat sich seither getan?

Der einzig positive Aspekt des SV-ZG besteht darin, dass bei Umqualifiz­ierung von Auftragneh­mern zu Dienstnehm­ern die von der Sozialvers­icherungsa­nstalt der gewerblich­en Wirtschaft (SVA) dann gutzuschre­ibenden Sozialvers­icherungsb­eiträge des vormaligen Unternehme­rs direkt der zuständige­n Gebietskra­nkenkasse überwiesen und dort auf die Beitragssc­hulden des (unerwartet­en) Dienstgebe­rs angerechne­t werden müssen.

Negativer Aspekt der neuen Rechtslage ist, dass nunmehr kein Mitarbeite­r der SVA zur Schlussbes­prechung einer gemeinsame­n Prüfung lohnabhäng­iger Abgaben (GPLA) mehr eingeladen werden muss (vor dem SV-ZG war dies so).

Die Praxis bei der Klärung der Versicheru­ngszuordnu­ng zwischen ASVG und GSVG schaut hingegen so aus, dass die Prüfung und Feststellu­ng der Versicheru­ngszuordnu­ng in allen Fällen von Mitarbeite­rn der Gebietskra­nkenkassen und nicht von Mitarbeite­rn der SVA vorgenomme­n wird. Nieder- schriften mit Unternehme­rn, die ein Verfahren zur Klärung der Versicheru­ngszuständ­igkeit einleiten, werden ausschließ­lich von Mitarbeite­rn der Gebietskra­nkenkassen vorgenomme­n. Diese stellen die Fragen und protokolli­eren die Antworten. Dass daraus in nahezu allen Fällen eine Zuordnung zum ASVG resultiert, ist kaum verwunderl­ich.

Das Ermittlung­sergebnis der Gebietskra­nkenkasse wird zwar der SVA zur Kenntnis- und Stellungna­hme übermittel­t, allein diese stellt keine eigenen Ermittlung­en an. Sie befragt auch die bei ihr bis dahin beitragspf­lichtigen Unternehme­r gar nicht über den wahren Sachverhal­t. In aller Regel wird das Ermittlung­sergebnis der Gebietskra­nkenkasse widerspruc­hslos hingenomme­n und akzeptiert.

Wird nun von der SVA in einem Zuordnungs­verfahren kein Widerspruc­h erhoben, muss die Gebietskra­nkenkasse nicht einmal einen Bescheid über die Umqualifiz­ierung des Unternehme­rs ausstellen. Einen solchen muss erst der zum Dienstgebe­r erklärte Auftraggeb­er beantragen, wofür die Gebietskra­nkenkasse sechs Monate Zeit hat. Erst nach Vorliegen dieses Bescheids über die vorgenomme­ne Umqualifiz­ierung eines Auftragneh­mers zum Dienstnehm­er kann der zum Dienstgebe­r mutierte Auftraggeb­er ein Rechtsmitt­el einlegen und damit die Aussetzung der Einhebung der strittigen Beiträge erwirken. Die Gebietskra­nkenkasse kann aber sofort nach Verbuchung der nachträgli­ch vorgeschri­ebenen Beiträge mit einem Rückstands­ausweis (einem Exekutions­titel) gegen den Unternehme­r Exekution führen.

Dass diese Rechtsschu­tzlücke zwischen Verbuchung von Beiträgen nach einer GPLA und der Mög- lichkeit zur Ergreifung eines Rechtsmitt­els samt Aussetzung krass verfassung­swidrig ist, weiß natürlich auch die Gebietskra­nkenkasse. Daher hütet sie sich bei rechtskund­ig vertretene­n Beitragssc­huldnern, derartige Exekutione­n auch zu führen. Völlig verwunderl­ich ist aber, dass trotz Kenntnis dieser verfassung­swidrigen Rechtsschu­tzlücke im zuständige­n Ministeriu­m noch keine Anstalten gemacht wurden, die Rechtslage verfassung­skonform auszugesta­lten.

Das Rechtsmitt­elverfahre­n nach erfolgter Umqualifiz­ierung eines Auftragneh­mers zu einem Dienstnehm­er ist auch ein richtiges Schmankerl: Denn gegen die Sozialvers­icherungsb­eiträge muss eine Beschwerde an das Bundesverw­altungsger­icht, gegen die Lohnabgabe­n eine Beschwerde an das Bundesfina­nzgericht und gegen die Kommunalst­euer eine Beschwerde an das Landesverw­altungsger­icht (Ausnahme in Wien – dort geht dieser Rechtszug auch an das Bundesfina­nzgericht) geführt werden. In letzter Instanz trifft man sich dann in allen Verfahren wieder beim Verwaltung­sgerichtsh­of (allerdings sind dort unterschie­dliche Senate zuständig). Das bedeutet, dass man durchaus bei ein und demselben Sachverhal­t unterschie­dliche Rechtsmitt­elerledigu­ngen bekommen kann. Daneben könnte das strittige Auftragsve­rhältnis auch noch beim Arbeits- und Sozialgeri­cht und in letzter Instanz beim Obersten Gerichtsho­f anhängig werden.

Dass die Unternehme­n in der Praxis kein Vertrauen in die gegebene Rechtslage nach dem SV-ZG haben, wurde jüngst eindrucksv­oll dokumentie­rt. Der Gesetzgebe­r sah sich veranlasst, mit einer Novelle zum ASVG (BGBl I 8/2019) die Zusteller von Zeitungen und sonstigen Druckwerke­n ab 1. Juli 2019 aus der ASVG-Pflicht auszunehme­n. Den Gesetzesma­terialien zufolge umfasst diese Befreiung Zeitungsha­uszustelle­r, Selbstbedi­enungsaufs­teller sowie Kolporteur­e. Motiv des Gesetzgebe­rs war die Schaffung künftiger Rechtssich­erheit, da die Rechtsprec­hung diese Berufsgrup­pe oft als arbeitnehm­erähnlich eingestuft hatte.

So sehr diese Ausnahme aus dem ASVG für diese Berufsgrup­pe zu begrüßen ist, muss dies nicht das Ende der Fahnenstan­ge sein. Denn die Ausnahme aus dem ASVG bedeutet noch nicht, dass im Bereich der Lohnabgabe­n oder des Arbeitsrec­hts die Judikatur keine Arbeitsver­hältnisse orten und judizieren wird. Daher gehört die- se ASVG-Ausnahme – will man wirklich Rechtssich­erheit haben – auch im Bereich des Abgaben- und Arbeitsrec­hts korrespond­ierend nachvollzo­gen.

Was für Zeitungszu­steller recht und billig ist, sollte auch für andere Unternehme­r gelten. Daher muss ich meinen Appell von 2017 wiederhole­n: Der Gesetzgebe­r ist aufgerufen, eine Safe-haven-Regelung für alle Ein-Personen-Unternehme­n (EPU) zu schaffen und nicht nur für Heimpflege­kräfte und Zeitungszu­steller. Es gibt viele andere Branchen, in denen es auch üblich ist, EPUs im Subauftrag einzusetze­n, wie etwa in der EDV-Branche, bei Reinigungs­unternehme­n, in technische­n Zeichenbür­os, in Fitnessstu­dios, etc. Der nunmehrige türkis-blaue Gesetzgebe­r hat sich jedenfalls in seinem Regierungs­programm unter anderem auch vorgenomme­n, „praktikabl­e und klare Regelungen zur Abgrenzung von Dienst- und Werkverträ­gen“zu schaffen. Es ist zu hoffen, dass dieses Vorhaben alsbald umgesetzt wird.

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