Dienstvertrag wider Willen: Rechtsschutz krass lückenhaft
Umdeutung. Das Sozialversicherungs-Zuordnungsgesetz hat sich als unbrauchbar erwiesen, wie auch eine aktuelle ASVG–Novelle zeigt.
An dieser Stelle habe ich am 8. Mai 2017 zum damals vorliegenden Entwurf des Sozialversicherungs-Zuordnungsgesetzes (SVZG) geschrieben, dass dieses Gesetz das Papier nicht wert sei, auf dem es steht. Der damalige Gesetzgeber (rot-schwarze Koalition) hat sich davon allerdings in keiner Weise beeindrucken lassen. Das SV-ZG wurde nach der Begutachtung nicht abgeändert und ist am 1. Juli 2017 in Kraft getreten. Nach eineinhalbjähriger Praxis kann mit Fug und Recht festgehalten werden, dass meine damalige Einschätzung leider völlig richtig war. Was hat sich seither getan?
Der einzig positive Aspekt des SV-ZG besteht darin, dass bei Umqualifizierung von Auftragnehmern zu Dienstnehmern die von der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) dann gutzuschreibenden Sozialversicherungsbeiträge des vormaligen Unternehmers direkt der zuständigen Gebietskrankenkasse überwiesen und dort auf die Beitragsschulden des (unerwarteten) Dienstgebers angerechnet werden müssen.
Negativer Aspekt der neuen Rechtslage ist, dass nunmehr kein Mitarbeiter der SVA zur Schlussbesprechung einer gemeinsamen Prüfung lohnabhängiger Abgaben (GPLA) mehr eingeladen werden muss (vor dem SV-ZG war dies so).
Die Praxis bei der Klärung der Versicherungszuordnung zwischen ASVG und GSVG schaut hingegen so aus, dass die Prüfung und Feststellung der Versicherungszuordnung in allen Fällen von Mitarbeitern der Gebietskrankenkassen und nicht von Mitarbeitern der SVA vorgenommen wird. Nieder- schriften mit Unternehmern, die ein Verfahren zur Klärung der Versicherungszuständigkeit einleiten, werden ausschließlich von Mitarbeitern der Gebietskrankenkassen vorgenommen. Diese stellen die Fragen und protokollieren die Antworten. Dass daraus in nahezu allen Fällen eine Zuordnung zum ASVG resultiert, ist kaum verwunderlich.
Das Ermittlungsergebnis der Gebietskrankenkasse wird zwar der SVA zur Kenntnis- und Stellungnahme übermittelt, allein diese stellt keine eigenen Ermittlungen an. Sie befragt auch die bei ihr bis dahin beitragspflichtigen Unternehmer gar nicht über den wahren Sachverhalt. In aller Regel wird das Ermittlungsergebnis der Gebietskrankenkasse widerspruchslos hingenommen und akzeptiert.
Wird nun von der SVA in einem Zuordnungsverfahren kein Widerspruch erhoben, muss die Gebietskrankenkasse nicht einmal einen Bescheid über die Umqualifizierung des Unternehmers ausstellen. Einen solchen muss erst der zum Dienstgeber erklärte Auftraggeber beantragen, wofür die Gebietskrankenkasse sechs Monate Zeit hat. Erst nach Vorliegen dieses Bescheids über die vorgenommene Umqualifizierung eines Auftragnehmers zum Dienstnehmer kann der zum Dienstgeber mutierte Auftraggeber ein Rechtsmittel einlegen und damit die Aussetzung der Einhebung der strittigen Beiträge erwirken. Die Gebietskrankenkasse kann aber sofort nach Verbuchung der nachträglich vorgeschriebenen Beiträge mit einem Rückstandsausweis (einem Exekutionstitel) gegen den Unternehmer Exekution führen.
Dass diese Rechtsschutzlücke zwischen Verbuchung von Beiträgen nach einer GPLA und der Mög- lichkeit zur Ergreifung eines Rechtsmittels samt Aussetzung krass verfassungswidrig ist, weiß natürlich auch die Gebietskrankenkasse. Daher hütet sie sich bei rechtskundig vertretenen Beitragsschuldnern, derartige Exekutionen auch zu führen. Völlig verwunderlich ist aber, dass trotz Kenntnis dieser verfassungswidrigen Rechtsschutzlücke im zuständigen Ministerium noch keine Anstalten gemacht wurden, die Rechtslage verfassungskonform auszugestalten.
Das Rechtsmittelverfahren nach erfolgter Umqualifizierung eines Auftragnehmers zu einem Dienstnehmer ist auch ein richtiges Schmankerl: Denn gegen die Sozialversicherungsbeiträge muss eine Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, gegen die Lohnabgaben eine Beschwerde an das Bundesfinanzgericht und gegen die Kommunalsteuer eine Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht (Ausnahme in Wien – dort geht dieser Rechtszug auch an das Bundesfinanzgericht) geführt werden. In letzter Instanz trifft man sich dann in allen Verfahren wieder beim Verwaltungsgerichtshof (allerdings sind dort unterschiedliche Senate zuständig). Das bedeutet, dass man durchaus bei ein und demselben Sachverhalt unterschiedliche Rechtsmittelerledigungen bekommen kann. Daneben könnte das strittige Auftragsverhältnis auch noch beim Arbeits- und Sozialgericht und in letzter Instanz beim Obersten Gerichtshof anhängig werden.
Dass die Unternehmen in der Praxis kein Vertrauen in die gegebene Rechtslage nach dem SV-ZG haben, wurde jüngst eindrucksvoll dokumentiert. Der Gesetzgeber sah sich veranlasst, mit einer Novelle zum ASVG (BGBl I 8/2019) die Zusteller von Zeitungen und sonstigen Druckwerken ab 1. Juli 2019 aus der ASVG-Pflicht auszunehmen. Den Gesetzesmaterialien zufolge umfasst diese Befreiung Zeitungshauszusteller, Selbstbedienungsaufsteller sowie Kolporteure. Motiv des Gesetzgebers war die Schaffung künftiger Rechtssicherheit, da die Rechtsprechung diese Berufsgruppe oft als arbeitnehmerähnlich eingestuft hatte.
So sehr diese Ausnahme aus dem ASVG für diese Berufsgruppe zu begrüßen ist, muss dies nicht das Ende der Fahnenstange sein. Denn die Ausnahme aus dem ASVG bedeutet noch nicht, dass im Bereich der Lohnabgaben oder des Arbeitsrechts die Judikatur keine Arbeitsverhältnisse orten und judizieren wird. Daher gehört die- se ASVG-Ausnahme – will man wirklich Rechtssicherheit haben – auch im Bereich des Abgaben- und Arbeitsrechts korrespondierend nachvollzogen.
Was für Zeitungszusteller recht und billig ist, sollte auch für andere Unternehmer gelten. Daher muss ich meinen Appell von 2017 wiederholen: Der Gesetzgeber ist aufgerufen, eine Safe-haven-Regelung für alle Ein-Personen-Unternehmen (EPU) zu schaffen und nicht nur für Heimpflegekräfte und Zeitungszusteller. Es gibt viele andere Branchen, in denen es auch üblich ist, EPUs im Subauftrag einzusetzen, wie etwa in der EDV-Branche, bei Reinigungsunternehmen, in technischen Zeichenbüros, in Fitnessstudios, etc. Der nunmehrige türkis-blaue Gesetzgeber hat sich jedenfalls in seinem Regierungsprogramm unter anderem auch vorgenommen, „praktikable und klare Regelungen zur Abgrenzung von Dienst- und Werkverträgen“zu schaffen. Es ist zu hoffen, dass dieses Vorhaben alsbald umgesetzt wird.