Wieso rationale Strafrechtspolitik schwierig ist
Reform. Emotionen zu beherrschen, die von Straftaten befeuert werden, ist eine große Herausforderung.
IIIIVorige Woche hat die Regierung ein Paket beschlossen, das neben großteils begrüßenswerten Maßnahmen in den Bereichen Opferschutz und Prävention eine Reihe von Strafverschärfungen im Bereich von Sexualstraftaten vorsieht. Wissenschaftler und Repräsentanten verschiedener Organisationen (v. a. Frauenhäuser, Weißer Ring, Richtervereinigung, Rechtsanwaltskammertag, Strafverteidiger) bezeichneten das Vorhaben als sinnlos bis kontraproduktiv. Sinnvoller wäre der Ausbau präventiver Maßnahmen und Verbesserungen in der Rechtsanwendung.
Rationale Strafrechtspolitik bedeutet, den Emotionen, die Straftaten hervorrufen, Rechnung zu tragen. Starken Gefühlen wie Angst und Furcht, Ärger, Wut, Ekel, Entsetzen begegnet man nicht dadurch konstruktiv, dass man diese Emotionen weiter befeuert oder hektisch agiert, in Aktionismus verfällt und vorschnell einfachen Lösungen, die zumeist nicht die richtigen sind, verfällt. Konstruktiver Umgang mit der Emotionalität, die durch Kriminalität und Straftaten stimuliert wird, erfordert:
eine aufmerksame, einfühlsame und zugleich faktenbasierte Kommunikationspolitik;
eine profunde Analyse der Hintergründe und Kausalfaktoren von aufsehenerregenden Einzelfällen wie von besorgniserregenden zahlenmäßigen Entwicklungen;
Überlegungen, wie das Strafrechtssystem in seiner Gesamtheit mehr Schutz bieten kann durch Verbesserungen in der Rechtsanwendung und vor allem auch in der Kooperation aller Akteure; Thematisierung der Bedeutung kriminalpräventiver Maßnahmen in anderen Politikfeldern (Soziales, Bildung, Migration, Integration);
nur wenn solche Schritte nicht
Iausreichen, sorgfältig vorbereitete und einem profunden Begutachtungsverfahren unterzogene legistische Veränderungen.
Es geht jedoch nicht nur um rationale Reaktionen, sondern auch um emotionale Prozesse. In der Psychoanalyse wurde das Konzept des Containments entwickelt. Wer dabei an Müllcontainer denkt, liegt nicht ganz falsch. Man versteht darunter, dass eine Person, A, die negativen Emotionen eines anderen Menschen, B, wie Wut, Hass, Angst, Verzweiflung, wahrnimmt und hierbei selbst kontaminiert wird: A wird selbst in gewissem Maß von solchen Gefühlen erfasst. A macht sich diese Gefühle jedoch bewusst, verarbeitet sie, man kann auch sagen: recycelt sie.
Die auch nonverbale Vermittlung dieser konstruktiven Bewältigung der negativen Emotionen an B, von dem sie ausgegangen sind, erhöht dessen Chancen, von diesen schlechten Gefühlen nicht völlig überschwemmt zu werden, sondern seinerseits eine gewisse Verarbeitung zu erreichen. Jeder Mensch, der eine einigermaßen gute Erziehung erfahren hat, erlebte dies in seiner Kindheit, wobei dies vor allem in der frühen Kindheit besonders wichtig ist. Man denke an die Mutter (gilt auch für Väter), die durch ein, sei es aus Wut, sei es aus Angst, laut und nachhaltig schreiendes Kind selbst unter Stress gerät, sich dadurch aber nicht überwältigen lässt, sondern das Kind auf den Arm nimmt, ihm Sicherheit vermittelt und beruhigend wirkt.
Situationen, die Formen des Containments erfordern, gibt es in allen sozialen Zusammenhängen. In der Strafrechtsentwicklung und -pflege ist es von hoher Bedeutung, auch auf einer kollektiven Ebene. Es gilt, bei Anlässen zu strafrechtlichen Gesetzgebungen die öffentliche Erregung aufzugreifen, von ihr sich aber nicht vereinnahmen zu lassen, sondern vielmehr mit Ruhe und Umsicht die zuvor dargestellten Schritte zu setzen. Eine im weiteren Sinne Containment betreibende Strafrechtsentwicklung vermittelt Vertrauen und Sicherheit. Hektisches Agieren beruhigt auch dann nicht, wenn – zumeist kurzfristige – Häufungen schwerwiegender und aufsehenerregender Straftaten auftreten. Dies gilt für Alltagssituationen wie für die Gesetzgebung.
Während sich die Zahl der polizeilich registrierten Straftaten mittelfristig nach unten bewegt, ist viel von gestiegener Kriminalitätsfurcht und negativen Entwicklungen beim subjektiven Sicherheitsgefühl von Bürgern die Rede. Einerseits weiß man, dass dies von vielen Faktoren der erlebten Sicherheit abhängt, die mit Kriminalität nichts oder nur wenig zu tun haben. Andererseits hat die vermehrte Neigung zu Anlassgesetzgebungen und Formen kriminalpolitischer Hüftschüsse keine erkennbaren positiven Auswirkungen auf die Stimmungslage der Bevölkerung. Im Gegenteil: Sie befeuert Kriminalitätsängste. Bevorzugt auf das zu setzen, was nach weitgehend übereinstimmender Meinung der Fachwissenschaften nichts bringt, nämlich Strafen zu erhöhen, ist kontraproduktiv. Frei nach Karl Kraus: Populistische Strafrechtspolitik ist die Krankheit, für deren Therapie sie sich hält.
Zurück zum Containment: Es stellt für alle, die in Berufen tätig sind, die sich mit Reaktionen auf Kriminalität befassen, eine potenziell große Herausforderung dar. Polizisten und Justizwachebeamte, die mit aggressiven Menschen befasst sind; Richter und Staatsanwälte, aber auch Strafverteidiger, die mit Personen zu tun haben, die Straftaten begangen haben, die starke Gefühle erwecken; Sozialarbeiter, die mit Tätern und Opfern arbeiten, von denen ein großer emotionaler Sog ausgeht, sie alle sind persönlich, in ihrer Emotionalität erheblich gefordert. Schlicht gesagt: Es geht darum, sich nicht provozieren zu lassen, die Staatsgewalt würdig zu vertreten, professionell zu bleiben, eine persönliche Beziehung aufzubauen, soweit es die Situation zulässt, weiters als Vorbild zu wirken und zu zeigen, dass es auch anders geht.
Insofern ist rationale Strafrechtspolitik nicht nur eine Herausforderung an Politiker und Legisten, sondern ein Auftrag an alle, die im Felde tätig sind.
Professionalität bedeutet, dass die Einlösung dieses Auftrags nicht bloß den einzelnen beruflich Handelnden überlassen bleibt, sondern dass es berufliche Sozialisationsprozesse, professionelle Standards und Formen der Qualitätssicherung gibt, die Orientierung und Sicherheit vermitteln und somit Containment als einen Faktor rationaler Strafrechtspolitik wahrscheinlicher machen.
Die Gewährleistung der Voraussetzungen von Containment ist auch eine Ressourcenfrage. Die Absicherung von Professionalität erfordert Geld. Zudem: Je überforderter man sich fühlt, desto unwahrscheinlicher ist es, dass man mit seinen Gefühlen produktiv umgehen kann. Stress macht Containment unwahrscheinlich.
Für die Politik bedeutet rationale Strafrechtspolitik, im Interesse einer wirksamen Kriminalpolitik, die auch das subjektive Sicherheitsgefühl hebt, auf populistische Hüftschüsse zu verzichten. Dies sollte bei nüchterner Abwägung nicht allzu schwer fallen, fehlt doch jegliche empirische Evidenz, dass die politische Instrumentalisierung von Straftaten zu Wahlerfolgen verhilft.