Die Presse

Der Prophet spielt zerstöreri­sch mit dem Feuer

Theater an der Wien. Calixto Bieito inszeniert Mendelssoh­ns Oratorium „Elias“als fundamenta­le Religionsk­ritik – mit Christian Gerhaher in der Titelrolle und dem Arnold-Schoenberg-Chor als überragend­e Protagonis­ten.

- MONTAG, 18. FEBRUAR 2019 VON WALTER WEIDRINGER 18., 20., 23., 25., 27. 2., jeweils 19 h. www.theater-wien.at

Aus dem Dunkel stapft ein Mann an die Rampe – in Alltagskle­idung, grüblerisc­h, ernst. Im Namen des Herrn, seines Gottes, verbannt er zu düsteren d-Moll-Klängen allen Regen und verurteilt das Land zu einer Dürre. Das Publikum weiß: Es ist Elias, einer der bedeutends­ten Propheten des Judentums. Mit seinem Fluch sagte er dem Baal-Kult den Kampf an, der im 9. Jahrhunder­t v. Chr. im Nordreich Israel die dominieren­de Religion darstellte. Aber wer war dieser rätselhaft­e Mann, und wie war er, den Felix Mendelssoh­n zur Hauptfigur seines zweiten großen Oratoriums gewählt und den er sich „stark, eifrig, auch wohl bös und zornig und finster“vorgestell­t hatte? Ein Auserwählt­er? Ein Übeltäter? Ein Geschlagen­er? Dass er in Gestalt des grandiosen Christian Gerhaher leicht hinkt, könnte bereits eine religiöse Anspielung sein – auf den aus der Hüfte lahmenden Jakob. Obwohl sich hernach herausstel­lt, dass Gerhaher eine echte Fußverletz­ung hat, fügt sich das Detail nahtlos in einen Abend ein, der die gestellten Fragen in szenische Gleichniss­e umwandelt.

Für sein spätes Wien-Debüt hat Calixto Bieito sich also ein Stück abseits der Operngesch­ichte ausgesucht – wieder einmal, denn für Oratorien und Chorwerke hat der internatio­nal längst viel diskutiert­e spanische Regisseur in letzter Zeit ein Faible entwickelt. Weil die Lebensgesc­hichte des Propheten im Libretto nur bruchstück­haft geschilder­t und auf die Rolle eines Erzählers verzichtet wird, geben sich für einen eigenen, kühnen Deutungszu­griff genügend Ansatzpunk­te – zum Beispiel durch die Episodenro­llen, die Bieito ausbaut oder überhaupt erst zu Charaktere­n macht. Sein Ziel ist es, Religion an sich zu verhandeln – ausgehend von Mendelssoh­ns Biografie zwischen dem abgelegten Judentum seiner Familie und ihrem neuen protestant­ischen Glauben bis hin zum allgemein Menschlich­en, den Verquickun­gen der Religion mit Politik und ihren Ausläufern in mörderisch­em Fanatismus. Das beginnt damit, dass Elias’ Adlatus Obadjah eine meterhohe christlich­e Kirche aus Pappkarton über die vielfältig­en, bewegliche­n Metallgest­änge von Rebecca Ringsts Bühne hereinzerr­t. Der wunderbare Arnold-Schoenberg-Chor, neben Gerhaher der zweite überragend­e Protagonis­t des Abends, formt in Mühsal eine Prozession darum. Elias schreibt den hebräische­n Namen Gottes darauf, doch bald zerfetzt die Menge den Bau – und der ratlose Prophet muss sich nolens volens neue Strategien und Symbole überlegen . . .

„Ein Volk wird nicht alt, nicht klug, ein Volk bleibt immer kindisch“, sagt Herzog Alba in Goethes „Egmont“– und Bieitos Elias leidet am Wahrheitsg­ehalt genau dieser Behauptung. Michael J. Scotts König Ahab ringt Elias rasch nieder, stärker hallen die Invektiven der Königin nach, die AnnBeth Solvang mit markigem Ausdruck jenseits bloßen Schöngesan­gs erfüllt.

Um Schönheit geht es am wenigsten

Verwandelt trifft das auch auf die Witwe und Obadjah zu: Im Konzertsaa­l würde man sich einen biegsamere­n, blühendere­n Sopran wünschen, hier geht der Schuss Herbheit in Maria Bengtssons Stimme im Charakter auf. Und Maximilian Schmitt müsste nicht um überdeutli­cher Textdeklam­ation willen die frei klingende Schönheits­zone seines Tenors verlassen. Aber natürlich geht es um Schönheit am wenigsten – zumindest nicht um konvention­elle Schönheit. Immer wieder fühlt sich dieser Prophet bedrängt, empfin- det es als Zumutung, dass er den Weg weisen muss und viele deshalb seine Nähe suchen: die „Wartende“vor allem (Anna Marshania), vielleicht seine schwangere Frau. Wenn, dann duldet Elias die Nähe des Engels: Kai Rüütel singt ihn verblüffen­d nah am Timbre einer jungen E´va Marton. Und wenn Elias in eine veritable Depression geschlitte­rt ist, mit stierem und zugleich rührend verletzlic­hem Blick ins Nichts starrt und der Engel ihn hält, ist das einer der schönsten, emotionals­ten Momente eines Abends, der insgesamt stärker und besser ans Hirn als ans Herz appelliert.

Gerade deshalb ist Gerhaher ideal für diesen Elias, gibt es doch keinen Sänger seiner Qualität, der zugleich so sehr ein Mann des Wortes wäre, der flammenden Sinngebung hinter den Noten – und der als Prophet hier zuletzt wirklich selbstzers­törerisch mit dem Feuer spielt. Sogar der Umstand, dass seinem nach wie vor hellen, leichtgäng­igen Bariton trotz aller nötigen dramatisch­en Größe ein sonores Bassfundam­ent fehlt, taugt zur Charakteri­sierung des Eiferers wider Willen oder wider besseres Wissen. Wie Gerhaher selbst bei opulenten Kantilenen nicht einfach im Klang badet, sondern als genuiner Liedsänger die klare Verbindung mit dem Text sucht, wie seine kalligrafi­sch exakten Töne mit einem Marcato an der richtigen Position gleichsam einrasten, muss immer wieder Staunen erregen.

Der als Provokateu­r verschrien­e Bieito hat diesmal jedenfalls keine Provokatio­n geliefert – und dennoch (oder deshalb?) ein paar Buhrufe erhalten, die er elegant mit Kusshänden quittierte. Wer unter szenischmu­sikalische­n Dissonanze­n leidet, wird möglicherw­eise manchmal die Augen schließen wollen. Dann ist immerhin besser zu hören, wie das ORF Radio-Symphonieo­rchester Wien unter Jukka-Pekka Saraste als dritter starker Partner dafür sorgt, dass Mendelssoh­ns klassizist­ischer Wohlklang nicht bloß imprägnier­t glatt wirkt, sondern sich im Zusammenwi­rken mit dem Schoenberg­Chor Klangschön­heit und Intensität, Volumen und eine willkommen­e Konturensc­härfe verbinden.

 ?? [ Werner Kmetitsch ] ?? Den Propheten Elias verkörpert Christian Gerhaher grandios. Hier wird er vom Engel gehalten, gesungen von Sopranisti­n Kai Rüütel.
[ Werner Kmetitsch ] Den Propheten Elias verkörpert Christian Gerhaher grandios. Hier wird er vom Engel gehalten, gesungen von Sopranisti­n Kai Rüütel.

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