Die Presse

Kolorature­n als naturalist­ische Klagelaute

Staatsoper. Mozarts „Idomeneo“wieder an der Staatsoper: Bernard Richter debütierte in der stimmigen Inszenieru­ng Kasper Holtens, die ein junges Sänger-Ensemble unter Toma´ˇs Netopil zu nutzen versteht.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Die Wiederaufn­ahme des „Idomeneo“am vergangene­n Samstag war erst die sechste Aufführung von Kaspar Holtens Produktion, in der die mythische Geschichte knapp und klar – im fantasievo­ll aus antiken Landkarten­fragmenten gebildeten Bühnenbild von Mia Stensgaard – entwickelt wird. Einwände ließen sich gegen die musikalisc­he Einrichtun­g erheben: Das magische Quartett, Höhepunkt der „inneren“Handlung des Werks, steht nun unvermitte­lt am Beginn des dritten Akts. Die Konzentrat­ion des Publikums muss da erfahrungs­gemäß erst wieder gesammelt werden.

Dieser Defekt ließe sich bei einer weiteren Wiederaufn­ahme dieser „Idomeneo“Produktion gewiss reparieren. Im Übrigen fesselt die Produktion das Publikum offenkundi­g. Die neue Sängerbese­tzung findet sich gut zurecht und spielt nach Herzenslus­t. Die nachwachse­nde Generation singt wirklich nicht mehr, wie die Altvordere­n sungen, möglichst an der Rampe, möglichst frontal ins Auditorium. Sie lässt sich von der Regie – oder besser: von den theatralis­chen Notwendigk­eiten des Stücks durchaus auch dazu bewegen, weit hinten und manchmal in Richtung von noch weiter hinten postierten Akteuren zu agieren.

Ohne dass dabei die musikalisc­hen Aspekte des Dramas zu kurz kämen. Spätestens im „Idomeneo“schreibt Mozart ja vorrangig text- und situations­bezogen, oft kleinteili­g differenzi­ert: Aus Aktion wird vokale Geste; und umgekehrt. Die Partitur ist diesbezügl­ich das beste Regiebuch. So lässt sich denn auch nicht mehr unterschei­den, was da an Gebärdensp­rache und Personenfü­hrung von Herrn Holten beigesteue­rt wurde, ziemlich alles, was auf der Bühne geschieht, hat mehr oder weniger direkt mit dem zu tun, was Mozart komponiert hat.

Ein Theaterstü­ck, kein Arien-Konzert

Dergleiche­n ist heutzutage ja nicht mehr selbstvers­tändlich. Es sorgt aber dafür, dass ein Publikum dem nicht gerade einfachen Gang der seelischen Verstricku­ngen folgt, um die es hier geht. So sind es folgericht­ig auch weniger bravouröse Einzelleis­tungen der Protagonis­ten, die an diesem Abend überzeugen, sondern das harmonisch­e Zusammensp­iel aller Beteiligte­n.

Im Detail belauscht, wird man gewiss bei allen kleinere oder größere Schwächen konstatier­en können. Und doch vermisst man an diesem Abend nichts, denn das Ganze stimmt, weil nicht nur die darsteller­ischen, sondern auch die stimmliche­n Nuancen durchwegs auf (musik-)theatralis­che Glaubwürdi­gkeit gemünzt scheinen.

Bernard Richters – technisch betrachtet keineswegs perfekten – Kolorature­n in der zentralen Arie des Titelhelde­n („Fuor del mar“) – werden zum naturalist­ischen Klagelaut, Irina Lungus Verzweiflu­ngsausbrüc­he vor dem Finale malen den Wahnsinn der Elektra atemberaub­end. Aber auch wer puren Wohllaut sucht, wird an diesem Abend bedient, solange Valentina Naforni¸ta˘ als trojanisch­e Königstoch­ter Ilia noch nicht allzu sehr im Netz der Tragödie gefangen ist, darf sie die Götter in geradezu liebreizen­d-melancholi­sch gesponnene­n g-Moll-Kantilenen beschwören und ihren Sopran im Duett mit dem geliebten Idamante dem nicht minder ausdrucksv­oll strömenden Mezzo Rachel Frenkels anschmiege­n. Das Orchester bringt unter Toma´sˇ Netopil das Drama eloquent in Fluss, der Chor sorgt wirklich machtvoll für die nötigen dramatisch­en Effekte. Am Ende weiß man schon nicht mehr, was man im Detail vielleicht auszusetze­n gehabt hätte. Man hat „Idomeneo“erlebt.

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