Die Presse

Österreich nimmt IS-Frau zurück

Terror. Außenamt ist grundsätzl­ich bereit, Staatsbürg­ern Rückkehr zu erlauben, die sich IS angeschlos­sen haben. Derzeit nur ein Fall: eine 20-jährige Wienerin und ihr Sohn.

- VON CHRISTIAN ULTSCH

Es war einer dieser Tweets aus dem Weißen Haus, die Europas Staatskanz­leien in Aufruhr versetzen. „Die USA fordern Großbritan­nien, Frankreich, Deutschlan­d und die anderen europäisch­en Verbündete­n auf, mehr als 800 IS-Kämpfer, die wir in Syrien gefangen haben, zurückzune­hmen und vor Gericht zu stellen“, ließ US-Präsident Donald Trump die Welt per Twitter wissen – und fügte dann noch eine kleine Drohung hinzu: „Die Alternativ­e wäre nicht gut: Wir wären gezwungen, sie sonst freizulass­en.“

Am Montag kamen die EU-Außenminis­ter bei ihrem Treffen in Brüssel an keinem Mikrofon vorbei, ohne auf Trumps dringenden Wunsch angesproch­en zu werden. Die meisten wanden sich. Einige sagten klipp und klar ab. Auch Außenminis­terin Karin Kneissl formuliert­e vorsichtig, doch zwei Tage vor dem Besuch von Kanzler Kurz in Washington deutlich positiver als andere Kollegen. Es gelte, jede einzelne Biografie anzusehen, erklärte sie, erwähnte jedoch „prioritäre Fälle“, etwa den, bei dem es um ein zweijährig­es Kind gehe. „Hier greifen Überlegung­en der konsularis­chen Schutzpfli­cht.“ Wird Rotes Kreuz eingeschal­tet?

Der Nachdenkpr­ozess scheint bereits abgeschlos­sen zu sein. „Österreich ist grundsätzl­ich bereit, Staatsbürg­ern, die sich dem IS angeschlos­sen haben, in Zusammenar­beit mit den Justiz- und Sicherheit­sbehörden die Rückkehr zu gestatten“, sagte Peter Guschelbau­er, der Sprecher des Wiener Außenamts, zur „Presse“. Ganz so einfach sei das jedoch nicht, weder logistisch noch rechtlich. Denn der Aufenthalt­sort etwaiger österreich­ischer IS-Gefangener befinde sich im Kriegsgebi­et. Und es sei keinem Beamten zumutbar, sein Leben für eine Überstellu­ng zu riskieren.

Derzeit gibt es jedoch nur genau einen Fall. Und über die Rückholakt­ion wird nach Informatio­nen der „Presse“bereits nachgedach­t. Es handelt sich um die Causa, die Außenminis­terin Kneissl in Brüssel angedeutet hat. Demnach könnte das Internatio­nale Rote Kreuz eingeschal­tet werden, um eine 20-jährige Wienerin und ihren fast zweijäh- rigen Sohn aus dem Rosh-Camp in Nordsyrien abzuholen. In diesem Gefangenen­lager hält das kurdisch dominierte Militärbün­dnis Demokratis­che Kräfte Syriens 500 Frauen fest, die dem sogenannte­n Islamische­n Staat angehört haben. Ungefähr 100 kommen aus Europa, eine davon aus Wien. Sie folgte 2015 mit 16 Jahren ihrem afghanisch­en Mann zum IS und lebte danach in Raqqa. Im Oktober 2017 flüchtete sie mit ihrem Baby aus der damals heftig umkämpften und mittlerwei­le eroberten Hauptstadt des Kalifats. Die österreich­ische Staatsbürg­erin will seither zurück in ihre Heimat. Das sagte sie nicht nur ihrer Mutter, sondern auch dem „Presse“-Reporter Alfred Hackensber­ger sowie dem Politologe­n und Kurden-Experten Thomas Schmidinge­r, der sie Mitte Jänner im Rosh-Camp besuchte.

Zwei oder drei weitere IS-Frauen

Nach Recherchen von Schmidinge­r in Syrien und im Irak ist die 20-Jährige die einzige österreich­ische IS-Anhängerin in kurdischer Haft. Zwei weitere Österreich­erinnen und mit hoher Wahrschein­lichkeit auch eine vierte hätten sich vor etwa einer Woche noch mit ihren Kindern nahe dem umkämpften syrischen Dorf Baghouz aufgehalte­n, der letzten Enklave des IS am Ufer des Euphrat. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis auch diese Bastion der radikalen Islamisten fällt.

Nach Schätzunge­n des Innenminis­teriums könnten sich derzeit von ursprüngli­ch 320 immer noch rund 100 Jihadisten in Nahost herumtreib­en, die aus Österreich zum IS geströmt sind. Lediglich ein Drittel davon, also rund 30 Personen, seien österreich­ische Staatsbürg­er. Davon wiederum seien insgesamt ungefähr sechs Frauen und Kinder, wie Christoph Pölzl, der Sprecher des Innenminis­teriums, der „Presse“mitteilte.

Kein männlicher Austrokämp­fer

Und um sie geht es. Diese Frauen und Kinder könnten nun nach Österreich zurückgeho­lt werden. Schmidinge­r zufolge ist derzeit weder in Syrien noch im Irak ein männlicher österreich­ischer IS-Kämpfer inhaftiert.

In Österreich wartet auf die Anhänger des Islamische­n Staats ein Gerichtsve­rfahren – wegen Mitgliedsc­haft in einer Terrororga­nisation. Die Staatsbürg­erschaft allerdings kann ihnen, anders als von Politikern vor einiger Zeit gefordert, nicht aberkannt werden. Österreich ist verpflicht­et, sie zurückzune­hmen. Ungefähr 90 Jihadisten sind übrigens bereits nach Österreich zurückgeke­hrt. Alle angeklagt, einige verurteilt – und manche von ihnen sogar wieder frei.

 ?? [ AFP ] ?? Derzeit halten die Kurden in Nordsyrien (im Bild ein Flüchtling­scamp in al-Hasakeh) eine Wienerin fest, die 2015 ihrem afghanisch­en Mann zum IS gefolgt ist. Sie hat einen fast zweijährig­en Sohn und will zurück nach Österreich. Das Außenamt arbeitet an ihrer Rückholung.
[ AFP ] Derzeit halten die Kurden in Nordsyrien (im Bild ein Flüchtling­scamp in al-Hasakeh) eine Wienerin fest, die 2015 ihrem afghanisch­en Mann zum IS gefolgt ist. Sie hat einen fast zweijährig­en Sohn und will zurück nach Österreich. Das Außenamt arbeitet an ihrer Rückholung.

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