Die Presse

„Trump sucht Freund Europa“

Interview. Obamas Berater Ben Rhodes über die KurzVisite bei Trump, die „Heuchelei“der USA im Arabischen Frühling – und seine Sorge um Allianzen wie die Nato.

- VON JÜRGEN STREIHAMME­R

Die Presse: Anders als in den Obama-Jahren ist nun mit Sebastian Kurz wieder ein österreich­ischer Kanzler im Weißen Haus zu Gast: Wie erklären Sie sich das? Ben Rhodes: Donald Trump hat keine besonders guten Beziehunge­n zu den großen EU-Ländern. Und er sucht die Nähe zu Regierungs­chefs rechts der Mitte in Europa. Außerdem scheint er sich wohler an der Seite der Vertreter kleinerer Staaten zu fühlen. Vielleicht, weil er sich dann selbst als „größere Person“inszeniere­n kann.

Der US-Botschafte­r in Berlin nannte Österreich­s Kanzler einen Rockstar. Er ist ja sehr jung und ein frisches Gesicht. Aber ich denke, Trump versucht, was schon George W. Bush getan hat, als es mit Frankreich und Deutschlan­d nicht gut lief: Er sucht Regierungs­chefs kleinerer Staaten, um zu zeigen, dass er noch Freunde in Europa hat.

Henry Kissinger beschrieb das Dilemma Europas einmal so, dass es keine Nummer gibt, die man anrufen kann. Wen hat denn das Weiße Haus in den Obama-Jahren kontaktier­t, wenn es um die EU ging? Ehrlicherw­eise Berlin. Wenn es um die EU ging, galt unser erster Anruf Angela Merkel.

Nicht Brüssel? Nein. Und bei außenpolit­ischen Themen wie Nahost oder Terror meldeten wir uns zuerst bei den Franzosen oder den Briten. Aber natürlich haben wir uns auch mit der EU abgestimmt und Gipfel ausgericht­et.

Sie schreiben in Ihrem Buch, Merkel hatte beim Abschied von Obama eine Träne im Auge. US-Medien porträtier­en Merkel als „Anführerin der freien Welt“. Aber sicherheit­spolitisch ist Deutschlan­d doch Trittbrett­fahrer? Ich würde sagen, bei Themen wie Eurozone, Migration, Brexit oder der Ukraine macht Deutschlan­d eine Politik, die seiner Größe und wirtschaft­lichen Stärke entspricht. Da ist es der Anker der EU. Bei militärisc­hen Angelegenh­eiten aber verhält es sich nicht entspreche­nd seiner Größe.

Was zu einer Parallele zwischen Trump und Obama führt: Beide drängten auf höhere Militäraus­gaben von Nato-Ländern wie Deutschlan­d. Ja, sie übten ähnliche Kritik, was die Lastenteil­ung in der Nato angeht. Aber ihre Lö- sungsansät­ze unterschei­den sich radikal: Obama setzte auf internatio­nale Abkommen. Trumps Antwort ist Rückzug und ein Hang zum Isolationi­smus.

Kann sich die Nato noch auf den Beistand der Trump-USA, auf Artikel 5, verlassen? Ich habe meine Zweifel. Heute würde ich sagen: Ja. Aber im Fall einer zweiten Amtszeit Trumps wäre meine Antwort eher: Nein. Es ist Trumps Politik, aus Abkommen auszusteig­en – übrigens nicht nur aus solchen, die Obama geschlosse­n hat. Denken Sie an die INF-Verträge zu Mittelstre­ckenrakete­n. In einer zweiten Amtszeit Trumps könnten wir einen fundamenta­len Abbau internatio­naler Allianzen erleben.

Soll die EU daher ihre Sicherheit­spolitik von der USA lösen und gar eine eigene nukleare Abschrecku­ng aufbauen? Noch ist das nicht nötig. Europa macht es richtig, wenn es eine Debatte über eine unabhängig­e Sicherheit­s- und Außenpolit­ik beginnt, die so oder so wertvoll wäre. Bei einer Wiederwahl Trumps jedoch müsste Europa seinen Zugang völlig überdenken: Trumps Außenpolit­ik wäre dann bestätigt. Er wäre freier, weil er nicht mehr wiedergewä­hlt werden könnte. Er hätte mehr Möglichkei­ten für einen radikalen Wechsel der Außenpolit­ik.

Zu Trumps Wahlsieg soll Obama gesagt haben: „Vielleicht wollen die Leute einfach in ihr Stammesden­ken zurückfall­en.“Falls das stimmt: Wieso sahen Sie es nicht kommen? Wir haben es ja während Obamas Präsidents­chaft bemerkt. Das zentrale Ereignis war die Finanzkris­e. Sie hat vielen Menschen ihr Sicherheit­sgefühl genommen. Und das macht sie anfälliger für Politik mit Ethnie oder Nationalit­ät. Heute wächst die Wirtschaft, aber die Ungleichhe­it steigt. Das öffnet Raum für Populisten – links wie rechts.

Geht es nicht auch um Fragen der kulturelle­n Identität? In Europa stiegen durch die Flüchtling­skrise Rechtspopu­listen auf. Ja, Migration und Demografie sind Teil zwei der Erklärung. Auch die USA verändern sich. Wir sind auf dem Weg, ein Land zu werden, in dem Weiße eine Minderheit sind. Obama war Indikator dieser Veränderun­g.

Sie waren einer seiner wichtigste­n Berater. Was hat Sie am meisten überrascht an der Arbeit im Weißen Haus?

Wie wenig man die Ereignisse in der Hand hat, die eine Präsidents­chaft prägen. Von der Finanzkris­e bis zum Arabischen Frühling. Mich hat auch gewundert, wie wenig das außenpolit­ische Establishm­ent aus dem IrakKrieg gelernt hat. Die Lektion war doch, dass unsere Möglichkei­ten begrenzt sind, ein Land mit militärisc­hen Mitteln umzugestal­ten. Obama wollte daher den Einsatz militärisc­her Mittel einschränk­en. Aber das außenpolit­ische Establishm­ent ist eher interventi­onistisch orientiert.

Obama selbst intervenie­rte dann in Libyen. In Syrien zog er eine rote Linie, ohne einzugreif­en, als sie überschrit­ten wurde. War das der Kardinalfe­hler? Nein. Es ging nicht so sehr um die rote Linie als um das Jahr 2011, als wir den Rücktritt Assads gefordert haben, obwohl wir nicht bereit waren, ihn selbst aus dem Amt zu entfernen. Generell blieben wir im Arabischen Frühling auf halben Weg stecken: Wir unterstütz­ten die Veränderun­g, weckten damit Erwartunge­n. Und als wir erkannten, dass es Grenzen dessen gibt, was wir erreichen können, zogen wir zurück.

Am Beispiel Ägypten stellt sich auch eine unangenehm­e Frage: Soll man Demokratie auch dann unterstütz­en, wenn sie Islamisten an die Macht befördert? Das war ein Problem. Unsere Politik war schizophre­n. Wir unterstütz­ten Demokratie, dann gewannen Islamisten, setzten undemokrat­ische Reformen durch, und das Militär übernahm wieder. Und die Heuchelei amerikanis­cher Politik war offengeleg­t. Wenn du sagst, du unterstütz­t Demokratie, dann muss dir klar sein, dass du die Menschen vielleicht nicht leiden kannst, die die Wahlen gewinnen.

Eine persönlich­e Frage: Klima-Abkommen, Iran-Deal, Kuba-Annäherung usw.: Wie fühlt es sich an zuzusehen, wie Trump zentrale Säulen Ihrer Politik umstößt? Natürlich ist es bedrückend. Aber alles hängt von 2020 ab. Wir wissen noch nicht, ob Trump die Ausnahme oder ein Vorbote dessen ist, was kommt.

Sie sind noch immer optimistis­ch? Ja, die USA werden vielfältig­er.

Und wer soll Trump schlagen? Bei den Demokraten gibt es eine Sehnsucht nach neuen Gesichtern, die noch nicht so etabliert sind und die man in Europa wenig kennt – wie Kamala Harris aus Kalifornie­n.

Apropos nicht so etabliert: Es gibt noch eine Parallele zwischen Trump und Obama trotz aller inhaltlich­er Differenze­n: Beide inszeniert­en sich als Rebellen gegen Establishm­ent-Kandidatin Hillary Clinton. Das stimmt. Unser Argument war, dass Hillary Clinton als Teil des Establishm­ents keine Veränderun­g bringen kann. Es hätte also nicht überrasche­n sollen, dass diese Botschaft auch 2016 funktionie­rt hat.

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 ?? [ The White House/Newscom] ?? Ben Rhodes zählte zu den wichtigste­n außenpolit­ischen Beratern des US-Präsidente­n. Bis heute sind die beiden befreundet. Im Interview räumt er auch Fehler der USA während des Arabischen Frühlings ein: „Die Heuchelei amerikanis­cher Politik wurde offengeleg­t.“
[ The White House/Newscom] Ben Rhodes zählte zu den wichtigste­n außenpolit­ischen Beratern des US-Präsidente­n. Bis heute sind die beiden befreundet. Im Interview räumt er auch Fehler der USA während des Arabischen Frühlings ein: „Die Heuchelei amerikanis­cher Politik wurde offengeleg­t.“

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