Bayern: Gegen die Serie, ohne Aberglauben
Kein deutscher Klub konnte im Europacup bislang an der Anfield Road gewinnen.
Es mutet skurril an, doch ausgerechnet Liverpools Stadtrivale, der FC Everton, trug einst seine Heimspiele in Anfield aus. Acht Jahre, von 1884 bis 1892, regierten die „Toffees“hier als Hausherren. Aufgrund heftiger Differenzen um die Eigentumsverhältnisse und die hohen Pachtgebühren zog Everton in den benachbarten Goodison Park um. Damit das Stadion nicht ungenutzt blieb, wurde 1892 ein neuer Verein gegründet: FC Liverpool.
In den Anfangsjahren lief der Klub noch in blau-weißen Trikots auf, 1896 änderte der damalige Trainer, Tom Watson, die Farben auf Rot und Weiß. Das Duell zwischen Liverpool und Everton ist als „Merseyside Derby“bekannt, weil beide Klubs dem gleichnamigen Landkreis zugehörig sind. Aktuell fasst Anfield 53.394 Fans. Hinter dem südwestlichen Tor von Anfield befindet sich „The Kop“, die Tribüne, auf der die treuesten Fans des FC Liverpool Platz nehmen. Bis 1994 war „The Kop“mit 30.000 Plätzen die größte Stehplatztribüne Europas, ehe sie abgerissen und durch eine Sitzplatztribüne für 12.390 Zuschauer ersetzt wurde. Jetzt beherbergt „The Kop“unter anderem die Hauptticketingstelle sowie einen großen Fanshop. Ausgerechnet ein Schotte bereitete in Liverpool die Basis für viele Erfolge. Von 1959 bis 1974 war Bill Shankly Trainer des FC Liverpool, er führte den Klub 1962 in die erste Liga und gewann unter anderem dreimal die Meisterschaft.
Für Shankly stand stets die Mannschaft im Vordergrund, niemals einzelne Spieler. Er legte Wert auf die Einheit innerhalb des Teams und das Spiel mit Herz. Legendär war folgende Aussage Shanklys: „Es gibt Leute, die denken, Fußball sei eine Frage von Leben und Tod. Ich mag diese Einstellung nicht. Ich kann Ihnen versichern, dass es noch sehr viel ernster ist.“Zu Ehren Shanklys wurde vor „The Kop“eine lebensgroße Bronzestatue von ihm errichtet. Seine Asche verstreute man nach seinem Tod 1981 auf dem Rasen. „You’ll Never Walk Alone“sorgt vor jedem Heimspiel für Gänsehautatmosphäre, der Song ist längst ein Stück Kulturgut. 1963 landete die Liverpooler Band Gerry & the Pacemakers einen Nummer-eins-Erfolg auf der Insel, zu einer Zeit, als in den englischen Stadien vor Spielbeginn die aktuellen Hits gespielt wurden. Der Legende nach fiel vor einem Spiel die Soundanlage des Stadions in An- field aus, weshalb die Fans kurzerhand a cappella weitersangen – und das bis heute noch tun. 15. April 1989: Für das Halbfinalspiel im FA Cup zwischen Liverpool und Nottingham Forest im Hillsborough-Stadion von Sheffield wurden zu viele Karten verkauft, der Liverpooler Block war heillos überfüllt. Massenpanik brach aus, weil die Fluchtwege dicht oder zu eng waren, starben bei dem Unglück 96 LiverpoolFans. Die Aufarbeitung der Tragödie dauerte fast drei Jahrzehnte, erst dann stand fest: Die Hauptschuld an dem Unglück tragen Polizei und Ordnungskräfte.
Nach Hillsborough wurde „You’ll Never Walk Alone“in das Vereinswappen aufgenommen. Ebenso die beiden Fackeln – zu Ehren der Verstorbenen.
Für Aberglauben ist beim FC Bayern kein Platz. Bei der Ankunft im Hotel in Liverpool könnte dem einen oder anderen Spieler aber dann doch mulmig geworden sein. Titanic heißt die direkt am Mersey River gelegene Luxusherberge, in der die Bayern vor dem heutigen Champions-League-Spiel einzogen. Einen „Untergang“wollen die Münchner in der ersten Achtelfinal-Kraftprobe mit Jürgen Klopps FC Liverpool nicht erleben, obwohl es stürmisch zugehen dürfte an der Anfield Road.
Bei der Logistik setzt der Rekordmeister auf beste Bedingungen für die Mannschaft, die in einem separaten, kleineren Flugzeug direkt den John Lennon Airport in Liverpool anflog. Die Entourage um Hoeneß, Vorstandschef Rummenigge, Edelfans und Reporter landete in einem großen Sonderflieger in Manchester.
Was auf die Bayern vor über 50.000 Zuschauern zukommt, weiß Mats Hummels nur zu gut. „Ich habe da schon gespielt – leider“, erinnerte der Routinier an das 3:4 mit Dortmund im Viertelfinale der Europa League 2016. Eine „unfassbare Stimmung“habe geherrscht. Man müsse 90 Minuten dagegenhalten, sonst geheA`man unter. la Titanic.
In Anfield konnte noch keine deutsche Mannschaft im Europacup gewinnen, eine österreichische hingegen schon. GAK gewann im August 2004 in der Champions-League-Qualifikation mit 1:0 (Tor: Tokic,´ 34.; Hinspiel 0:2). Dass die „Reds“in dieser Saison die Königsklasse gewinnen sollten mit dem epischen Finale von Istanbul (4:3 nach Elfern nach 0:3 zur Halbzeit gegen AC Milan) darf nicht unerwähnt bleiben.
In sechs Partien 2019 stand hinten bei den Bayern nie die Null. Und da rannten keine Weltklassestürmer wie Salah, Mane´ und Firmino auf das Bayern-Tor zu. Der gesperrte Müller fehlt, ebenso Robben. Liverpools einziger Verlust: Abwehrchef Virgil van Dijk.