John F. Kennedy und Max Jacobson
Spritzen auf dem Boden, verstreute Papiere: In der Ordination von Max Jacobson herrschte heilloses Chaos. Was die Promis von Manhattan und Hollywood nicht davon abhielt, sich im Wartezimmer des deutschen Emigranten zu drängeln. Elizabeth Taylor und Anthony Quinn, Tennessee Williams und Truman Capote: Sie alle schworen auf den Zaubertrank, den ihnen „Magic Max“in die Venen spritzte. Besuchszeiten: auch mitten in der Nacht. Das Wundermittel machte euphorisch und hoch produktiv. Die Rezeptur? Vitamine und Hormone, mehr wollten die meisten nicht wissen. Was wirkte, war Amphetamin, draußen auf der Straße Speed genannt. So wurde Jacobson zum legendären „Dr. Feelgood“, den die junge Aretha Franklin besang. An einem Abend im Sommer 1960 war das sonst so volle Wartezimmer leer geräumt. Ein hoher Besuch hatte sich angesagt, anonym über einen Mittelsmann. Herein kam der Senator John F. Kennedy, erschöpft vom Präsidentschaftswahlkampf.
Mit Speed gedopter Strahlemann
Auch der Politiker verließ die Praxis wie neugeboren. Bald brauchte er wieder eine Dosis: Vor der TV-Debatte gegen Nixon blieb ihm die Stimme weg. Sein neuer Lieblingsarzt spritzte ihm direkt in die Kehle. Das wirkte: Ein energiegeladener Kennedy überrumpelte seinen schwitzenden Kontrahenten. Von nun an lag der gedopte Strahlemann in den Umfragen vorn. Er gewann die Wahl, und der Doktor mit der diskreten Aktentasche wurde zum engen Vertrauten und ständigen Begleiter. Der mächtigste Mann der Welt, am roten Knopf, der unsere Zivilisation auslöschen konnte: ein Junkie? Und sein Leibarzt ein Dealer? Im Grunde ja.
Auch wenn die Gefahr der Amphetaminsucht den Medizinern damals nicht so bewusst war wie heute. Und auch wenn Kennedy schon davor Unmengen an Schmerzmitteln und Schlafpulvern schluckte. Er litt an einer schweren Nebenniereninsuffizienz, einer Geschlechtskrankheit, einer kaputten Wirbelsäule. Die Öffentlichkeit durfte davon nichts wissen, der Schein des kraftstrotzenden Kriegshelden war zu wahren. Nichts half dabei besser als Jacobsons Cocktail. Schon in Berlin hatte er damit Furore gemacht und seinen Kollegen Theo Morell inspiriert. Er wurde des Führers Leibarzt und injizierte Hitler eine ähnliche Mixtur, die dessen Wahn wohl noch verstärkte.
Jacobson begleitete Kennedy 1961 nach Wien, zum Treffen mit Chruschtschow. Aber die Dosis war wohl zu vorsichtig bemessen, der Russe machte den Amerikaner zur Schnecke. Das präsidiale Ärzteteam protes- tierte gegen den Kollegen. In Phasen des Entzugs traf Kennedy bessere Entscheidungen, etwa in der Kuba-Krise. Aber auf Dauer ließ er sich den Kick nicht nehmen. In einem New Yorker Hotel hatte er nach einer Injektion eine psychotische Attacke, lief nackt durch die Gänge, und der Geheimdienst war in Panik, die Paparazzi könnten davon Wind bekommen. Auch Ehefrau Jacky wurde versorgt. Und als Marilyn Monroe 1962 ihm vor versammelter Menge wie geistesabwesend „Happy birthday, Mister President“zuraunte, stand sie unter dem Einfluss von Jacobsons Speed. Wäre all das schlecht ausgegangen? Die Schüsse von Dallas setzten ein ganz anderes Ende. Erst 1975 wurde Jacobson nach mehreren verschuldeten Todesfällen von Patienten die Lizenz entzogen.