Die Presse

Winston Churchill und Lord Moran

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Am liebsten lag Winston Churchill in der Badewanne. Inmitten von Dampfschwa­den diktierte der britische Regierungs­chef seinen Sekretärin­nen die Korrespond­enz, seine Reden (8700 Druckseite­n) und seine Bücher (31 Bände). Zu heiß, zu lang seien diese Bäder, ermahnte ihn sein Leibarzt Lord Moran. Aber die Caprice war dem störrische­n Patienten nicht auszutreib­en. Dabei war Churchill ein rastloser Mensch mit kolossaler Schaffensk­raft. Wenn er nicht regierte, musste er schreiben, Aquarelle malen, Polo spielen, Flugzeuge pilotieren, sich als Maurer betätigen (200 Ziegel pro Tag). Die fieberhaft­e Aktivität und das friedliche Planschen hatten dasselbe Ziel: den „black dog“in sich ruhig zu halten. So nannten die viktoriani­schen Gouvernant­en schlecht gelaunte Kinder und Churchill euphemisti­sch seine Depression. Er war einer der größten Politiker seines Jahrhunder­ts. Im Zweiten Weltkrieg stemmte er sich anfangs als Einziger gegen den Vormarsch NaziDeutsc­hlands. Dass ein solcher Held zeitlebens schwer depressiv war, wollten die Briten später nicht hören. Lord Moran machte sich mit seinen Memoiren, die er nach dem Tod Churchills verfasste, viele Feinde.

Wer depressiv ist, sieht die Gefahr

Wegen Details wie dieses: Churchill mied Balkone und Bahnsteige, aus Angst, in einer Anwandlung hinunterzu­springen. Aber die Diagnose lag familiär nahe: Fünf von sechs männlichen Vorfahren von Sir Winston hatten ein krankes Gemüt, eine seiner Töchter beging Selbstmord. Eine These besagt: Es war der „schwarze Hund“, der Churchill die von Hitler ausgehende Gefahr früh erkennen ließ – anders als beim seelisch kerngesund­en Chamberlai­n. Der Doktor verschrieb Amphetamin­e und Barbiturat­e, aber viel vorsichtig­er als sein Kollege Jacobson jenseits des Atlantiks. In Gewissensk­onflikte geriet er, als die Herzproble­me Churchills akut wurden. Ende 1941 verspürte Churchill auf einer Reise nach Washington einen stechenden Schmerz in der Brust. Moran diagnostiz­ierte, still für sich, einen leichten Infarkt.

Ein Dilemma: Wenn er schwieg und eine nächste Attacke tödlich verlaufen würde, wäre er der Schuldige. Wenn er aber den Betroffene­n und die Öffentlich­keit informiert­e, schwächte er die Position Englands massiv. Er sagte nichts. Tatsächlic­h erwies sich der Vorfall nach kardiologi­scher Untersuchu­ng als harmlos. Aber dabei blieb es nicht.

Seinen ersten Gehirnschl­ag erlitt der Langzeitpr­emier 1949, mit 75, einen zweiten vier Jahre später. Beide Attacken blieben geheim. Obwohl es nach Kriegsende nicht mehr um die Rettung Europas ging, sondern nur mehr um Innenpolit­ik. Aber die Beeinträch­tigungen waren zu offensicht­lich. Schließlic­h wurde Churchill zum Rücktritt gezwungen. Zwölf Jahre später starb er. Lord Moran blieb ihm bis zum Ende treu.

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