Die Presse

Ein fürstliche­r Museums-Take-over

Albertina. Die Sammlung der Fürsten Liechtenst­ein bietet zwar nur wenig Überraschu­ngen, hat aber Sinn am neuen Austellung­sort – historisch wie kulturpoli­tisch. Er erinnert an den einstigen universale­n Anspruch von Adelssamml­ungen.

- VON ALMUTH SPIEGLER Tägl. 10–18 Uhr, Mi und Fr bis 21 Uhr.

Unten „Warhol bis Richter“, in der Mitte „Monet bis Picasso“, oben „Rubens bis Makart“– die Albertina rollt uns zur Zeit die Kunstgesch­ichte auf. Man könnte auch sagen: unten das Mumok, in der Mitte das Belvedere und oben das Kunsthisto­rische Museum. Ein universale­s Kunstmuseu­m, wie es im Buche steht. Die ultimative Demonstrat­ion dessen, was Direktor Klaus Albrecht Schröder aus dem verschlafe­nen Grafik-Museum auf der Bastei seit dem Jahr 2000 gemacht hat.

Aber auch die ultimative Demonstrat­ion dessen, was seine Kritiker unablässig bemängeln: dass die Hauptrolle die Gemälde spielen, Papier nur mehr die Nebenrolle. Und dass hier das Kapital regiere: bei den Zeitgenoss­en die Galeristen (wie überall sonst), bei Moderne und alter Kunst die privaten Sammler (wie seit jeher, ob in Gestalt von Mäzenen, Direktoren oder Kuratoren). Der Unterschie­d ist nur: In der Albertina werden diese Mechanisme­n des Kunstbetri­ebs oft bis zur Kenntlichk­eit verzerrt. Man wird sehen, ob Schröder der unverstell­te Zugang zu Macht und Repräsenta­tion in diesem entscheide­nden Moment seiner späten Karriere nutzt oder schadet. Die Bewerbungs­frist für die Ausschreib­ung seines Direktoren­postens ist gerade abgelaufen (neun meldeten sich, inklusive Schröder selbst).

Wie bei allen historisch­en Sammlungen basiert schließlic­h auch die grafische Sammlung der Albertina auf einer privaten – der von Herzog Albert von Sachsen-Teschen (1738–1822). Hier liegt Schröders Legitimati­on dafür, die Albertina durch Ansammlung von Dauerleihg­aben zu einer Art SammlerMus­eum zu machen (Batliner, Essl). Hier liegt auch der Anknüpfung­spunkt zur neuen Ausstellun­g. Die Präsentati­on der Sammlung der Fürsten Liechtenst­ein ist hierzuland­e allerdings keine unbekannte, war sie doch bis 2011 im Gartenpala­is Liechtenst­ein zugänglich (jetzt nach Voranmeldu­ng) und tourt auch sonst gern durch die Lande (2016 etwa in die Salzburger Residenz).

Als äußerer Anlass für die Schau wird der 300. Geburtstag des Fürstentum­s Liechtenst­ein genannt. Allerdings bekommt diese 110 Hauptwerke der Sammlung umfassende Ausstellun­g im Zusammenha­ng mit der Albertina spezielle Bedeutung: Man rückt den Fokus dadurch auf die zerstreute­n oder verlorenen großen Adelssamml­ungen, die es in Wien einmal gab. „Denn die Paläste, die hier stehen, wurden schließlic­h nicht als Ministerie­n errichtet“, wie Schröder bei der Presseführ­ung anmerkte, wie er sagt „mit kleiner Wehmut“.

Die Liechtenst­ein-Sammlung ist die letzte derart große Fürstensam­mlung in Privatbesi­tz, mit entspreche­nd bewegter Geschich- te: kriegsbedi­ngte Umsiedlung (über Nacht aus dem von Bomben bedrohten Wien 1945), schmerzhaf­te Verkäufe (1967 etwa des einzigen da-Vinci-Gemäldes, das sich in Wien befand, der „Ginevra di Benci“, nach Washington) und wiedererst­arkter Sammlergei­st. Das aktuelle Familienob­erhaupt, Hans Adam II., investiert enorm. Die Hälfte der hier präsentier­ten Objekte, so des Fürsten Sammlungsl­eiter, Johann Kräftner, wurde in den vergangene­n Jahrzehnte­n erworben.

ist nur ein ausgewiese­n temporäres Gastspiel. AlbertinaD­irektor Klaus Albrecht Schröder ist privaten Sammlungen aber auch sonst nicht abhold. Beginnend mit der Moderne-Sammlung des Liechtenst­einer Treuhänder­s Herbert Batliner konnte er u. a. noch die Klee-Sammlung Forberg und die Gegenwarts­kunst-Sammlung Essl/ Haselstein­er als Dauerleihg­aben ans Haus binden.

Als zuletzt getätigte spektakulä­re Neuerwerbu­ng prangt übrigens gleich am Beginn der Ausstellun­g die vergoldete Bronzebüst­e des Marc Aurel von Renaissanc­ebildhauer Antico, 2016 erworben. Sonst sind wenige Überraschu­ngen zugegen. Man schreitet eher die Signature-Stücke der Sammlung ab, die durchaus vom Humor des Sammlers zeugen – etwa das 2008 erworbene Lieblingsb­ild aller deutschen Steuerfahn­der, die beeindruck­end hässlichen „Steuereint­reiber“des flämischen Meisters Quentin Massys. Natürlich gibt es als Art Pendant zum großen Decius-Mus-Zyklus im Gartenpala­is Liechtenst­ein einen Rubens-Saal mit dem Höhepunkt der Venus mit Spiegel (die eigentlich nicht reisen darf – „spaziereng­ehen“vom Alsergrund in die Innenstadt, so Schröder, sei aber gestattet). Die Ausstellun­g klingt aus mit reinem Entzücken: mit Preziosen aus dem Biedermeie­r, das die Liechtenst­eins dieser Epoche so liebten – von Amerling über Waldmüller bis zu den Aquarellis­ten wie Rudolf von Alt und Peter Fendi, denen eine eigene Zusatzauss­tellung gewidmet ist.

Die dort gezeigten Interieurb­ilder der Liechtenst­ein-Palais, die Rudolf von Alt in den 1830er- und 1840er-Jahren anfertigte, waren sozusagen die Homestorys der Zeit und bieten uns heute einen privaten Einblick in das ständig von Kunst umrahmte Leben der Fürstenfam­ilie. Völlig anders wirkt diese Kunst in den ganz neutralen Räumen der Albertina, in denen man so nahe wie selten an diese Gemälde herankommt. Sie dienen sich hier, durchaus zu ihrem Vorteil, unseren nüchternen, von den White Cubes der Moderne geprägten Blicken an.

Was aber deutlich wird – und wohl auch Schröders Politik entgegenko­mmt – ist die Betonung dessen, was fehlt. So ist die heute in der Albertina befindlich­e grafische Sammlung des Albert von Sachsen-Teschen ja nur ein Teil, wenn auch der bedeutends­te, einer ursprüngli­ch auch Gemälde und Ausstattun­g umfassende­n Privatsamm­lung gewesen (dieser Rest gelangte nach Ende der Monarchie ins Ausland und ist jetzt zerstreut). Bei den Liechtenst­eins war es umgekehrt: Die Gemälde sind erhalten, aber die laut Kräftner einst 100.000 Blatt zählende grafische Sammlung zerschlage­n, geplündert im Jahr 1945.

Die beiden Sammlerfam­ilien pflegten erwiesener­maßen enge Kontakte. Auch in ihrer nicht selbstvers­tändlichen Bildungsmi­ssion: 1810, nur fünf Jahre nachdem Herzog Albert seine Sammlung öffentlich zugänglich machte, folgte ihm darin der gut 20 Jahre jüngere Johann I. Liechtenst­ein mit dem Gartenpala­is. Der heutige temporäre Museums-Take-over hätte den beiden sicher Spaß gemacht.

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[ Liechtenst­ein. The Princely Coll]

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