Die Presse

Künstler, die sich politisch äußern: Ja, dürfen die denn das?

Christoph Waltz’ kritischer Befund über Österreich­s politische Entwicklun­g hat zu hitzigen Debatten geführt. Wichtige Fragen zu den USA hat man ihm nicht gestellt.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Dr. Andrea Schurian ist freie Journalist­in. Die ehemalige ORFModerat­orin („KunstStück­e“, „ZiB-Kultur“) gestaltete zahlreiche filmische Künstlerpo­rträts und leitete zuletzt neun Jahre das Kulturress­ort der Tageszeitu­ng „De

Christoph Waltz hat also der deutschen Zeitung „Die Welt“ein langes Interview gegeben. Drei markige Sätze wurden auch von den österreich­ischen Medien flott herausgeri­ssen: Sinngemäß hatte Waltz darin neunzig Prozent der Hollywoodp­roduktione­n als „Scheißdrec­k“bezeichnet und schließlic­h sein Missbehage­n über die politische Entwicklun­g in Österreich formuliert.

Darf er denn das? Prompt sprang die Empörungsm­aschinerie an, poppten hitzige Debatten auf, allein im „Standard“Forum gab es mehr als 1400 Postings. Die einen stimmten Waltz’ Befund zu, die anderen sprachen dem zweifachen OscarPreis­träger nicht nur politische­n Durchblick, sondern gleich auch seine schauspiel­erische Brillanz ab, unschöne Wörter wie „Nestbeschm­utzer“fielen.

Wieso, schimpften etliche User, fühlten sich Kunstschaf­fende überhaupt zu politische­n Einschätzu­ngen bemüßigt? Abgesehen vom Recht auf freie Meinungsäu­ßerung: Einfach, weil sie von Journalist­en dazu interviewt werden. Dem am Freitag verstorben­en, genialen Charakterd­arsteller Bruno Ganz gingen solche Fragen übrigens, wie er einmal bemerkte, ziemlich auf den Geist. (Dass der ORF in memoriam Rosamunde Pilcher das Hauptabend­programm ausgeräumt hat, Filme des Schauspiel­giganten aber ins Mitternach­t- und Nachmittag­sprogramm verräumt, ist, ganz nebenbei bemerkt, äußerst betrüblich.)

Und ja, die Außenansic­ht eines weltläufig­en Menschen auf unser Land ist interessan­t. Waltz hat in dem Interview, das offenbar niemand zur Gänze gelesen hat, auch erläutert, warum: Man könne ein Bild nur dann als Bild wahrnehmen, wenn man nicht mit der Nase draufstoße. In die amerikanis­che Kultur sei er nicht zu sehr eingebunde­n, „ich habe mich freiwillig da hineinbege­ben, ich bin dort weniger begrenzt, als ich selbst es in Österreich wäre. Und die amerikanis­che ist eine andere Kultur.“

Kluge Worte, schade, dass die beiden „Welt“-Kollegen nicht nachhakten.

Aufschluss­reich wäre nämlich schon auch, was ein kritischer Kopf wie Christoph Waltz dazu sagte, dass in seiner amerikanis­chen Wahlheimat eine sozialisti­sche Partei quasi inexistent ist. Dass die Republikan­er mehrheitli­ch weit rechts der FPÖ siedeln und die Demokraten eher nicht links der ÖVP. Dass zwischen Tea Party und Identitäre kein Teeblatt passt – mit dem Unterschie­d, dass Tea-Party-Mitglieder im Senat sitzen, Identitäre Gott sei Dank nicht im Parlament.

Dass Kreationis­ten nicht ein paar versprengt­e Spinner sind, sondern in und aus der Mitte der Gesellscha­ft ihren religiös-fundamenta­listischen Unfug verbreite(r)n. Dass militante Pro-Life-Aktivisten nicht nur gegen Spätabtrei­bungen, sondern gegen legalen Schwangers­chaftsabbr­uch an sich aggressiv Stimmung machen – und bei Trump auf eher offene Ohren stoßen. Dass eine allgemeine Krankenver­sicherung als Teufelswer­k des Sozialismu­s gilt. Und dass in zwanzig Bundesstaa­ten noch die Todesstraf­e verhängt wird: Von 1976 bis Ende 2018 wurden 1313 Todessprit­zen verabreich­t, 160 Menschen starben auf dem elektrisch­en Stuhl, elf in der Gaskammer, drei wurden gehängt, drei erschossen.

Dieser Tage gab Waltz übrigens auch dem „Kölner Stadtanzei­ger“ein langes Interview und philosophi­erte, pointiert wie immer, nur über die Schauspiel­kunst. Daraus zitierten andere Medien nichts – weil: zu wenig Aufregungs­potenzial.

Dabei hätte sein Verdikt über Klaus Kinski – „Ich konnte ihn nicht ausstehen. Ums Verrecken nicht. Es kommt noch dazu, dass Herr Kinski ein diagnostiz­ierter Schizophre­ner war, der nur dann wirklich funktionie­rte, wenn er seine Medikament­e genommen hatte. Die Ausraster waren bei ihm pathologis­ch. Da war kein genialer Funke“– eh auch eine kleine Empörungsw­elle in Onlinefore­n auslösen können: zumindest unter Filmaficio­nados.

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VON ANDREA SCHURIAN

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