Künstler, die sich politisch äußern: Ja, dürfen die denn das?
Christoph Waltz’ kritischer Befund über Österreichs politische Entwicklung hat zu hitzigen Debatten geführt. Wichtige Fragen zu den USA hat man ihm nicht gestellt.
Christoph Waltz hat also der deutschen Zeitung „Die Welt“ein langes Interview gegeben. Drei markige Sätze wurden auch von den österreichischen Medien flott herausgerissen: Sinngemäß hatte Waltz darin neunzig Prozent der Hollywoodproduktionen als „Scheißdreck“bezeichnet und schließlich sein Missbehagen über die politische Entwicklung in Österreich formuliert.
Darf er denn das? Prompt sprang die Empörungsmaschinerie an, poppten hitzige Debatten auf, allein im „Standard“Forum gab es mehr als 1400 Postings. Die einen stimmten Waltz’ Befund zu, die anderen sprachen dem zweifachen OscarPreisträger nicht nur politischen Durchblick, sondern gleich auch seine schauspielerische Brillanz ab, unschöne Wörter wie „Nestbeschmutzer“fielen.
Wieso, schimpften etliche User, fühlten sich Kunstschaffende überhaupt zu politischen Einschätzungen bemüßigt? Abgesehen vom Recht auf freie Meinungsäußerung: Einfach, weil sie von Journalisten dazu interviewt werden. Dem am Freitag verstorbenen, genialen Charakterdarsteller Bruno Ganz gingen solche Fragen übrigens, wie er einmal bemerkte, ziemlich auf den Geist. (Dass der ORF in memoriam Rosamunde Pilcher das Hauptabendprogramm ausgeräumt hat, Filme des Schauspielgiganten aber ins Mitternacht- und Nachmittagsprogramm verräumt, ist, ganz nebenbei bemerkt, äußerst betrüblich.)
Und ja, die Außenansicht eines weltläufigen Menschen auf unser Land ist interessant. Waltz hat in dem Interview, das offenbar niemand zur Gänze gelesen hat, auch erläutert, warum: Man könne ein Bild nur dann als Bild wahrnehmen, wenn man nicht mit der Nase draufstoße. In die amerikanische Kultur sei er nicht zu sehr eingebunden, „ich habe mich freiwillig da hineinbegeben, ich bin dort weniger begrenzt, als ich selbst es in Österreich wäre. Und die amerikanische ist eine andere Kultur.“
Kluge Worte, schade, dass die beiden „Welt“-Kollegen nicht nachhakten.
Aufschlussreich wäre nämlich schon auch, was ein kritischer Kopf wie Christoph Waltz dazu sagte, dass in seiner amerikanischen Wahlheimat eine sozialistische Partei quasi inexistent ist. Dass die Republikaner mehrheitlich weit rechts der FPÖ siedeln und die Demokraten eher nicht links der ÖVP. Dass zwischen Tea Party und Identitäre kein Teeblatt passt – mit dem Unterschied, dass Tea-Party-Mitglieder im Senat sitzen, Identitäre Gott sei Dank nicht im Parlament.
Dass Kreationisten nicht ein paar versprengte Spinner sind, sondern in und aus der Mitte der Gesellschaft ihren religiös-fundamentalistischen Unfug verbreite(r)n. Dass militante Pro-Life-Aktivisten nicht nur gegen Spätabtreibungen, sondern gegen legalen Schwangerschaftsabbruch an sich aggressiv Stimmung machen – und bei Trump auf eher offene Ohren stoßen. Dass eine allgemeine Krankenversicherung als Teufelswerk des Sozialismus gilt. Und dass in zwanzig Bundesstaaten noch die Todesstrafe verhängt wird: Von 1976 bis Ende 2018 wurden 1313 Todesspritzen verabreicht, 160 Menschen starben auf dem elektrischen Stuhl, elf in der Gaskammer, drei wurden gehängt, drei erschossen.
Dieser Tage gab Waltz übrigens auch dem „Kölner Stadtanzeiger“ein langes Interview und philosophierte, pointiert wie immer, nur über die Schauspielkunst. Daraus zitierten andere Medien nichts – weil: zu wenig Aufregungspotenzial.
Dabei hätte sein Verdikt über Klaus Kinski – „Ich konnte ihn nicht ausstehen. Ums Verrecken nicht. Es kommt noch dazu, dass Herr Kinski ein diagnostizierter Schizophrener war, der nur dann wirklich funktionierte, wenn er seine Medikamente genommen hatte. Die Ausraster waren bei ihm pathologisch. Da war kein genialer Funke“– eh auch eine kleine Empörungswelle in Onlineforen auslösen können: zumindest unter Filmaficionados.