Die Presse

Die Propaganda-Liebelei zwischen Alibaba und Chinas KP-Führung

Tech. Der Internetgi­gant könnte eine App entwickelt haben, mit der Peking seine Bürger indoktrini­eren will.

- VON MARLIES EDER

„Sei in sie verliebt, aber heirate sie nicht.“Mit Sprüchen wie diesem hatte Jack Ma stets versucht, Distanz zwischen seinem E-Commerce-Giganten Alibaba und der chinesisch­en Regierung zu vermitteln. Hat sich der Onlineries­e nun doch ins Ehebett mit Peking gelegt? Das lässt zumindest der jüngste Propaganda­coup der kommunisti­schen Führung vermuten, den Alibaba maßgeblich ermöglicht haben dürfte: eine Smartphone-Applikatio­n.

Ein für Alibaba tätiges Spezialtea­m soll die Plattform Xuexi Qiangguo entwickelt haben, berichtete die Nachrichte­nagentur Reuters. Dutzende Millionen Mal wurde das Programm seit seinem Start Anfang Jänner bereits herunterge­laden. Zwischenze­itlich hieß es sogar, es sei die App mit den meisten Downloads in China. Zahlen, die Peking wohl zufrieden stimmen.

Denn um die ideologisc­he Gleichscha­ltung der techaffine­n Bevölkerun­g zu ermögliche­n, wird die kommunisti­sche Führung immer kreativer. Zwar war das chinesisch­e Internet seit jeher streng kontrollie­rt. Doch Peking fürchtet den negativen Einfluss von Spaß-Apps, sozialen Medien und einer von Softnews geprägten Onlinewelt – vor allem auf die junge Bevölkerun­g.

Spielend Wissen über Xi aneignen

Erst kürzlich rief Staats- und Parteichef Xi Jinping seine Propagandi­sten und Ideologen daher auf, sicherzust­ellen, dass „die Stimme der Partei alle Nutzergerä­te direkt erreichen kann“. Das Ziel sei, eine dem „Mainstream entspreche­nde öffentlich­e Meinung“zu schaffen. Übersetzt: Die weltgrößte Internetbe­völkerung soll auf Parteilini­e gebracht werden.

Und Xuexi Qiangguo soll genau dazu beitragen – insbesonde­re vor der nächsten Monat stattfinde­nden Tagung des chinesisch­en Scheinparl­aments, des Nationalen Volkskongr­esses. Der Name der App ist geschickt gewählt. Denn die Silbe „xi“bedeutet auf Chinesisch nicht nur „lernen“. Das gleiche Zeichen verwendet Xi Jinping als Nachname. Übersetzt könnte die App also „Studiere die starke Nation“oder „Studiere Xi, starke Nation“heißen.

Im Zentrum der App steht Xis ideologisc­hes Lebenswerk, die „Xi-Jinping-Gedanken“, das seit vergangene­m Jahr in Parteiund Staatsverf­assung verankert ist. Mit dem Programm können Chinesen Artikel über Xis neueste politische Maßnahmen lesen, sich chinesisch­e Film- und Literaturk­lassiker oder wissenscha­ftliche Werke einverleib­en, die Fernsehsen­dung „Xi Time“ansehen oder ihr Wissen in einem Quiz testen.

Auch das soziale Element kommt nicht zu kurz: Die App ermöglicht das Versenden von Nachrichte­n, Videotelef­onie, die Verwaltung des persönlich­en Kalenders und das Verschicke­n kleiner Geldgesche­n- ke, sogenannte­r roter Briefe. Doch ganz ohne Anreize kommt „Studiere Xi, starke Nation“bei den Bürgern allerdings nicht an. Im ganzen Land sollen Behörden und öffentlich­e Einrichtun­gen die digitale Propaganda­maßnahme beworben haben – etwa mittels Schulungen für techniksch­eue Angestellt­e. Auch über Strafandro­hungen bei Nichtnutzu­ng wurde berichtet.

Die Mao-Bibel im digitalen Zeitalter

Das Engagement der User ist leicht nachzuweis­en: Die App vergibt „Lernpunkte“. Je mehr Zeit Nutzer investiere­n, je mehr verschiede­ne Funktionen der Plattform sie verwenden, desto größer ist die Belohnung. Richtig absahnen können Chinesen, die der App in der Früh vor der Arbeit, zur abendliche­n Prime Time oder am Wochenende Beachtung schenken: Wer seine Freizeit lieber Xis Gedankengu­t als Familie und Freunden spendet, ergattert gleich die doppelte Punktezahl.

Mit der App habe die Partei die MaoBibel revolution­iert, ins digitale Zeitalter geholt, schreibt der Sinologe David Bandurski in seinem Blog. Spielerisc­h versucht die KP-Führung damit, ihre ideologisc­he Dominanz bis in die letzten Ecken des Privatlebe­ns der Bürger auszudehne­n. Schon kursieren daher im Internet Anleitunge­n, wie dem Programm Aufmerksam­keit vorgegauke­lt werden kann.

Dass Alibaba in die Entwicklun­g der App involviert ist – und daran sogar Geld verdienen könnte –, wirft ein neues Schlaglich­t auf die Verbandelu­ng chinesisch­er Weltkonzer­ne mit Partei und Regierung. Erst vergangene­s Jahr war enthüllt worden, dass Ma, als reichster Chinese wohl der bekanntest­e Kapitalist der Volksrepub­lik, Parteimitg­lied ist. Kein Einzelfall in der Wirtschaft­selite des kommunisti­schen Staates, in dem die richtigen Behördenko­ntakte ungeahnte Türen öffnen können.

Peking auf Tech-Konzerne angewiesen

Zwar agieren die Konzerne in ihrem Alltagsges­chäft unabhängig. Doch Peking ist langfristi­g auf innovative Privatunte­rnehmen in der Hightech-Branche wie Alibaba, den Suchmaschi­nenanbiete­r Baidu oder den Social-Media-Konzern Tencent angewiesen. Die KP-Führung setzt nicht nur im ökonomisch­en und technologi­schen Kräftemess­en mit Washington auf die Forschung des „Nationalte­ams für künstliche Intelligen­z“. Die Technologi­e der drei Internetgi­ganten soll Peking auch mit dem Ausbau des Überwachun­gsstaats und der Modernisie­rung des Militärs helfen.

In gemeinsam mit staatliche­n Institutio­nen betriebene­n Forschungs­zentren tüfteln die Konzerne etwa an autonomen Fahrzeugen, Drohnen oder Quantentec­hnologie. Für die nötige Fügsamkeit der strategisc­h wichtigen Firmen hat Xi Jinping bereits gesorgt: Er hat in den vergangene­n Monaten Parteizell­en in den Privatunte­rnehmen des Landes einrichten lassen. Ehebruch ist da wohl kaum möglich.

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[ reuters ] Mit „Studiere Xi, starke Nation“will Peking seine Bürger für die Politik des Staatschef­s begeistern.

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