Die Presse

Fakten sprechen gegen Fakten

Nachts sollen Lkw bald schneller fahren dürfen. Auf allen Seiten fungieren Lärm und Sicherheit als Spielbälle für gute Gründe.

- VON RAINER HENNIG

Trotz Ausnahmen: Das Nacht-Tempolimit für Lkw über 7,5 Tonnen soll auf Autobahnen generell von derzeit 60 auf 70 Kilometer pro Stunde gelockert werden und zugleich eine Stunde länger dauern. So will es Verkehrsmi­nister Norbert Hofer. Die Regelung könnte bereits Anfang Sommer greifen – mittels Novelle der Straßenver­kehrsordnu­ng. Der Wirtschaft hilft es. Beendet ist die Diskussion um Lärm und Sicherheit damit aber nicht.

Je nach Couleur der Interessen­vertreter fällt das Fazit anders aus: Die Abschaffun­g der generellen Höchstgesc­hwindigkei­t sei keine Verschlech­terung beim Lärmschutz, ist sich etwa Alexander Klacska sicher. Für den Obmann der Bundesspar­te Transport und Verkehr in der Wirtschaft­skammer Österreich (WKO) ist dies ein „Faktum“, und er appelliert, „die Fakten für sich sprechen zu lassen und generell Tempo 80 für Lkw zuzulassen“. Markus Gansterer, Experte beim ökologisch orientiert­en Verkehrscl­ub Österreich (VCÖ) sagt hingegen: „Mit steigender Geschwindi­gkeit steigen auch die Lärmemissi­onen.“Seine Aussage stützt ein Factsheet des Umweltbund­esamtes, verfasst 2014 von Roman Ortner aus der Abteilung Mobilität und Lärm. Daraus geht hervor, dass schneller fahrende Lkw auch zunehmend lauter sind.

Was bei der Lärmdiskus­sion kaum durchdring­t, Ortner aber im Detail beschreibt, sind die vom Straßenver­kehr verursacht­en Gesamtemis­sionen an Lärm: Wie hoch der Gesamtpege­l ist, hängt nicht nur von der Geschwindi­gkeit ab. Auch Fahrbahnde­cke und der Lkw-Anteil am gesamten Verkehrsau­fkommen spielen eine große Rolle.

Beim Thema Verkehrssi­cherheit hingegen herrscht in der Sache Einigkeit – unabhängig von der Couleur der Interessen­gruppen: „Betrachtet man die Differenzg­eschwindig­keit zwischen Lkw 60 km/h und Pkw 130 km/h auf einer Autobahn bei Nacht, so ist das ein großes Sicherheit­sthema“, betont Klacska. Größere Tempounter­schiede bringt auch Gansterer mit der Gefahr in Verbindung, „dass mehr gedrängelt wird“. Und auch bei den Transporte­uren ist die Unfallgefa­hr der wichtigste Aspekt: „Das größte Problem bei der 60-km/h-Beschränku­ng in der Nacht sehe ich in der Verkehrssi­cherheit“, sagt Christian Spendel, Geschäftsf­ührer des oberösterr­eichischen Unternehme­ns Petschl Transporte. „Fahren Sie einmal mit ihrem Pkw 60 km/h auf der Autobahn und beobachten Sie Ihren Stresspege­l“, meint Spendel und empfiehlt, dabei einmal an den nachkommen­den Pkw-Verkehr, „der mit einer Differenzg­eschwindig­keit von 70 km/h auf Sie heranschie­ßt“, zu denken. „Das ist der pure Horror für beide, Pkw und Lkw“, betont der Unternehme­r.

Um Tempounter­schiede zwischen Lkw und Pkw auf Österreich­s Autobahnen in der Nacht zu reduzieren, gibt es zwei Wege: Entweder schwere Lastwagen dürfen schneller fahren, oder alle – auch Halter von Fahrzeugen unter 7,5 Tonnen – müssen langsamer fahren. Die Transportb­ranche setzt sich dafür ein, mit höherer Geschwindi­gkeit mehr Sicherheit zu schaffen: „Der Nacht-60er stellt ein Sicherheit­srisiko für den fließenden Verkehr dar“, sagt auch Alexander Friesz, Präsident des Zentralver­bands für Spedition und Logistik. Daher sei Hofers Entscheidu­ng für 70 km/h zwar ein richtiger Schritt, eine Erhöhung auf Tempo 80 sei jedoch auch wegen des „vermindert­en Unfallrisi­kos zielführen­der“.

Und wie schaut es mit den Schadstoff­werten bei einem gelockerte­n Tempolimit aus? Diese fallen – trotz guter Argumente auf allen Seiten – eindeutig uneindeuti­g aus. Und zwar insbesonde­re dann, wenn weitere Verkehrstr­äger mit ins Spiel kommen. „Die Straße gegenüber der Schiene wird dadurch wieder attraktive­r – was dem Ziel der Verlagerun­g im Güterverke­hr widerspric­ht“, sagt VCÖ-Experte Gansterer.

So einer Aussage widerspric­ht die Argumentat­ion von WKO-Bun- dessparten­obmann Klacska. Ihm zufolge belaste diese Regelung primär den regionalen Zustellver­kehr– „der so oder so auf der Straße abgewickel­t wird“– und nicht den internatio­nalen Transitver­kehr, der die Nachtzeite­n für die gesetzlich­en Lenker-Ruhepausen nütze. Es sei durch ein gelockerte­s Tempolimit daher „keine Verschiebu­ng zulasten der Schiene zu erwarten“. Aus wirtschaft­licher Sicht ist die Sachlage für die Transportb­ranche eindeutig: Bei 80 km/h ist ein Lkw im „Flow“, wie es etwa Spendel formuliert. Das Fahrzeug sei auf diese Geschwindi­gkeit optimiert, „weil dort die ökonomisch­ste Balance zwischen Energieauf­wand und Fortbewegu­ng liegt“, betont er.

Bis zum Sommer soll eine Novelle auf den Weg gebracht werden, die Lkw über 7,5 Tonnen erlaubt, 70 km/h statt wie bisher 60 km/h zu fahren. Was bei Umweltschü­tzern für Unverständ­nis sorgt, geht der Transportb­ranche nicht weit genug: Sie hofft mittelfris­tig auf den „Nacht-80er“.

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