Islamisten in der Stadt von Dreyfus
Antisemitismus in Frankreich. Links- wie Rechtswähler glauben ans zionistische Komplott. Ein jüdischer Friedhof wird geschändet. Und ein Aggressor von Alain Finkielkraut entpuppt sich ausgerechnet als islamischer Konvertit aus Mulhouse.
Ein Aggressor von Alain Finkielkraut in Frankreich entpuppt sich ausgerechnet als islamischer Konvertit aus Mulhouse.
Rund ein Dutzend Mal sind jüdische Friedhöfe im Elsass in den vergangenen drei Jahrzehnten in großem Stil geschändet worden, mehr als in jeder anderen Region Frankreichs. In ihm liegen auch die meisten jüdischen Friedhöfe. Jahrhundertelang blühten hier große jüdische Gemeinden, bevor die Juden vertrieben oder vernichtet wurden. In der Stadt waren sie nicht zugelassen, sie ließen sich in den Dörfern nieder. Wie in Quatzenheim im östlichen Elsass, an der Grenze zu Deutschland – von dem das Elsass von 1871 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs ein Teil war. Dort auf dem jüdischen Friedhof fand man am Dienstag 80 vor allem mit Hakenkreuzen beschmierte Gräber – an ebenjenem Tag, an dem für Frankreich landesweit ein „Marsch gegen den Antisemitismus“ausgerufen war. Die Täter: noch unbekannt.
In Milli-Görüs-Kreisen islamisiert
Jedenfalls keine Neonazis waren jene Aktivisten, die bei einer Gelbwesten-Demo den jüdischen Philosophen Alain Finkielkraut als „dreckigen Scheißzionisten“beschimpften, der „in die Hölle kommen“werde. Vor allem ein leicht bärtiger Mann hatte sich hervorgetan, der inzwischen festgenommen wurde: Benjamin W., ein 36-jähriger Handyverkäufer, Sohn eines Algeriers und einer Französin, Palästina-Aktivist und der einzige praktizierende Muslim in seiner Familie. Islamisiert wurde er als Jugendlicher im Umkreis der islamistischen Bewegung Milli Görus. Im Elsass. In Mulhouse.
Mulhouse, ausgerechnet. Der Zufall gewinnt hier Symbolkraft – es ist die Geburtsstadt des Juden Alfred Dreyfus. Als ElsassLothringen nach dem deutsch-französischen Krieg 1871 zu Deutschland kam, konnten Einwohner wegziehen, um Franzosen zu bleiben. Das brachte den 13-jährigen Dreyfus nach Paris. Als Offizier wurde er 1894 fälschlich wegen Hochverrats verurteilt – die Affäre Dreyfus enthüllte den massiv erstarkten Antisemitismus in Frankreich.
Jetzt ist in Mulhouse – nach Straßburg die zweitgrößte Stadt des Elsass – unter anderen radikalislamischen Organisationen auch Milli Görüs gut etabliert, deren Gründer, Necmettin Erbakan, sein Streben nach einem islamischen Europa nie verhehlte. Ein gewaltiges Gemeindezentrum wurde nach Bürgerprotesten verweigert. Dafür entsteht derzeit im nahen Straßburg auf Betreiben von Milli Görüs eine Riesenmoschee, auf 5500 Quadratmetern und für geschätzte 32 Mio. Euro. Behördenstatistiken entnimmt man, dass Mulhouse von allen französischen Städten den größten Anteil an jungen Leuten hat (mit viel Abwanderung) und einen Migrantenanteil von 25 Prozent.
Auch die bestehende MilliGörüs-Moschee in Mulhouse wurde mehrmals mit Nazisymbolen beschmiert. Der Glaube an eine jüdische Weltverschwörung freilich ist ein verbindendes Element. „Seit 5700 Jahren“würden Juden die Welt regieren, mit „Unrecht, Gewalt und Grausamkeit“, heute in Form der „zionistischen Weltverschwörung“, verkün- dete Milli-Görüs-Gründer im Interview mit der Zeitung „Die Welt“2010.
Vom Antisemitismus hat sich die Vorsitzende des Rassemblement National, Marine Le Pen, in den vergangenen Jahren klar distanziert. Einer soeben veröffentlichten Studie des französischen Marktforschungsinstituts IFOP zufolge glauben aber 36 Prozent ihrer Sympathisanten an die Existenz eines „zionistischen Komplotts auf globaler Ebene“(laut Studie sind sie überhaupt die komplottgläubigste Wählergruppe: 61 Prozent der Le-Pen-Wähler seien von der systematischen Verheimlichung von Impfschäden überzeugt, 57 davon, dass Diana durch ein Attentat starb). Die Zeitung „Le Monde“, die am Mittwoch über die Studie berichtete, machte aus den ans zionistische Komplott glaubenden Le-Pen-Wählern eine Schlagzeile. Spät erst las man in einem Nebensatz, wie hoch der Prozentsatz bei den Sympathisanten der linken Partei La France insoumise (Vorsitzender: Jean-Luc Melen-´ chon) ausgefallen war: 33 Prozent, also fast genauso hoch (insgesamt erwiesen sie sich als weniger komplottgläubig).
Das manipulative Finkielkraut-Video
Am Abend nach der Attacke auf Finkielkraut machte auf Twitter ein Video die Runde, ein Interviewausschnitt von 2007, in dem der Philosoph mit zugegeben irritierender Wortwahl die demografische Situation im Gazastreifen ansprach: Man setze dort ständig Kinder in die Welt, die „keinen Platz in der Welt haben“, „überzählige Menschen“. Das Video wird seit Jahren als Beweis dafür herumgereicht, dass Finkielkraut zum Genozid aufrufe. Benjamin W. hat es wohl auch gesehen. Die Zeitung „Liberation“´ erklärte am Mittwoch im Rahmen ihres Service „Check News“den Zusammenhang, aus dem die Sätze gerissen sind (Finkielkraut prangert hier die Politik an, die den Menschen keine Zukunft lässt). Aufklärung, als Tropfen auf dem heißen Stein. Oder nicht einmal das.
Seit 5700 Jahren regieren Juden die Welt. Sie regieren die Welt über die kapitalistische Weltordnung. Milli-Görüs-Gründer Erbakan