Der Papst und der Augenblick der Wahrheit
Analyse. Heute, Donnerstag, beginnt im Vatikan der Krisengipfel zum Missbrauch durch Priester. Das Treffen wird entscheidend für das Pontifikat von Franziskus sein – und für den Weg der katholischen Kirche in die Zukunft.
Das Oberhaupt von mehr als einer Milliarde Katholiken musste beim Thema Priester als Missbrauchstäter selbst einen Lernprozess durchmachen. Papst Franziskus hat noch vor einem Jahr den chilenischen Bischof Juan Barros vehement gegen Vorwürfe verteidigt, sexuelle Gewalt gegen Kinder, begangen durch Priester, vertuscht zu haben. Ein halbes Jahr später musste der noch von Johannes Paul II. Ernannte genauso wie sieben andere chilenische Bischöfe wegen des Verhaltens bei Missbrauchsfällen gehen.
Papst Franziskus schrieb zwei öffentliche Briefe an die Chilenen, in denen er um Vergebung für Unzulänglichkeiten katholischer Amtsträger bat – auch eigene. Mehrere Gespräche mit Opfern hat er inzwischen bei mehreren Reisen geführt. Auch am Mittwoch nach der Generalaudienz mit polnischen Opfern. Danach küsste Papst Franziskus dem Sprecher der Gruppe Marek Lisinski die Hand. Bei dem heute, Donnerstag, beginnenden Krisengipfel vor 190 Teilnehmern – darunter die Chefs aller nationalen Bischofskonferenzen – werden Opfer berichten, persönlich oder per Videobotschaft. Charles Scicluna, Erzbischof auf Malta, gilt als Chefankläger des Papstes. In der Glaubenskongregation zeichnet er für die Aufklärung von Missbrauchsfällen verantwortlich. Papst Franziskus hat ihn davor als Sonderermittler nach Chile gesendet, wo er sich auch mit zahlreichen Missbrauchsopfern getroffen hat. Er hat das aktuelle Treffen im Vati- kan maßgeblich mit vorbereitet. Erst am Mittwoch meinte Scicluna, es gelte, ähnlich wie bei der Mafia, eine Kultur des Schweigens zu durchbrechen. Theodore McCarrick ist als gefallener Kardinal der ranghöchste und bedeutendste Kleriker der Kirchengeschichte, der wegen sexuellen Missbrauchs degradiert wurde. Der heute 88-Jährige hat, wie Papst Franziskus erst vor einer Woche verlauten ließ, letztgültig sein Priesteramt verloren. Er hat, so das Ergebnis eines Verfahrens, das gegen ihn im Vatikan geführt wurde, gegen mindestens zwei Minderjährige sexuelle Gewalt ausgeübt und zwischen den Jahren 1970 und 1990 zahlreiche Priesterkandidaten zu sexuellen Handlungen verführt. Teilweise erfolgten diese Taten, was laut katholischem Kirchenrecht erschwerend hinzukommt, im Rahmen von Beichtgesprächen.
McCarrick war lange Zeit ein hoch angesehener Kardinal (im Juli 2018 wurde ihm von Papst Franziskus zunächst diese Würde entzogen) und Ex-Erzbischof in Washington (2001–2006). Er galt als kommunikativ und in der politischen wie gesellschaftlichen Elite der US-Hauptstadt bestens vernetzt. So traf er mit Präsident Barack Obama mehrfach zusammen. Für den Vatikan hat er beginnend mit 1988 in geheimer Diplomatie die Annäherung des Kirchenstaates an Länder wie Kuba, den Iran und auch China durch Reisen und Treffen mit den jeweiligen politischen Spitzen diskret – und nicht unerfolgreich – vorbereitet. Nun lebt der frühere Starkleriker und Täter abgeschirmt in einem Kapuzinerkloster in Kansas.